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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 27 - Nr. 34 (3. April - 27. April)
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Samſtag, den 27. April 1872.

5. Jahrg.

und bei den Trägern.

ſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 18 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schi ae ſſe 4
Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Wunderbare Wiedervergeltung.
Nach einem franzöſiſchen Offizier erzählt.

Die Nacht des 27. Juli 1830 lag ſtill und verhäng-
nißvoll über dem brütenden Paris. Die Erinnerung an
ſie iſt lebendiger in meinem Gedächtniſſe, als ſo manche
ſchauerliche Scene, deren Zeuge ich mein Leben hindurch
war, Die ſchwüle Stille vor einem Gewitter oder das
Aechzen der See vor einem Sturm iſt nicht majeſtätiſcher,
erdrückender, als es Paris in dieſer Nacht war. Die Stra-
ßen waren öde uͤnd menſchenleer. Ich ging nach Mitter-
nacht über die Boulevards, ihre ganze Länge durch, lauſchte
aufmerkſam, blickte begierig umher. Der klare, tiefblaue

Himmel leuchtete ſchillernd auf das Trottoir herunter, die.

Sterne funkelten, aber die Häuſer waren verſchloſſen, fin-
ſter, todt. Alle Laternen waren zerbrochen und die Blei-
Einfaſſungen der Scheiben hingen an den Strebepfählen
herab. Hin und wieder ſtand unter dem dunkeln Schat-
ten eines Baumes eine Gruppe Handwerker oder Tagelöh-
ner, ſich berathend oder irgend einem unbekannten Manne
zuhörend, der ihnen leiie Erkennungsworte oder Pläne für
den folgenden Taß zuflüſterte. Hörten ſie Fußtfritte, ſo
ſtob Alles auseinander und in den dunkeln Settenſtraßen
verſchwanden die nächtlichen Geſtalten. Sie drückten ſich
in die Vertiefungen der Hausthüren. klopften leiſe, wie
Fallthüren öffneten ſich dieſe, nahmen den Klopfenden auf
und ſchloſſen ſich wieder. Dann war wieder Alles ſtill.
Die Stadt ſchien ausgeſtorben und die Häuſer verödet,
wie bei einer Peſt.
Hin und wieder ſtieß man auf eine dunkle, unbeweg-
liche Maſſe, die man nicht eher erkannte, bis man dicht
daran war. Es war ein Bataillon der königlichen Garde,
dicht angeſchloſſen ſtehend, ohne Bewegung, ohne Laut.
Weiter hin ſchienen Feuerwürmchen in der Luft zu ſchwe-
bah, es waren die Lunten einer leichten Batterie, deren
Geſchütze den Boulevard beſtreichen konnten.
Man konnte ungehindert bei dieſen dunkeln, imponi-
renden Maſſen vorübergehen, ſie betrachten, umkreiſen,
ohne gefragt, ohne aufgehalten zu werden. Die Stimmung
der Soldaten war ernſt, entſchloſſen und erwartend.
Als ich mich einem dieſer Bataillone nahte, kam einer
der Offiziere auf mich zu und fragte mich ſehr höflich, ob
die Flammen, welche man von weitem den Triumphbogen
der Pforte St. Denis erleuchten ſah, etwa von einer Feuers-
brunſt herrührten und wollte dann mit ſeiner Compagnie
dahin rücken, um ſich zu überzeugen. Ich ſagte ihm, daß

das Feuer von einigen großen Bäumen herrühre, welche
die Kaufleute jener Gegend umhauen und verbrennen lie-
ßen, weil ſie von der allgemeinen Verwirrung Nutzen zie-
hen und durch das Wegſchaffen der Bäume die Schilder
ihrer Läden ſichtbarer und in die Augen fallender machen
wollten. Dann ſetzte er ſich auf eine der ſteinernen Ban-
ken des Boulevards und ſchrieb mit einem ſpaniſchen Rohr
nachdenkend in den Kies. Jetzt erſt erkannte ich den Of-
fizier und zwar an ſeinem ſpaniſchen Rohr. Ich redete ihn
bei ſeinem Namen an, er erinnerte ſich meiner und for-
derte mich auf, neben ihm Platz zu nehmen.
Der Kapitän Renaud war ein Mann von feſtem,
ſtrengem Charakter und ausgebreitsten Kenntniſſen, ein
Mann, wie es damals viele in der königlichen Garde gab.
Sein Charakter und ſeine Gewohnheiten waren uns Al-
len längſt bekannt. Er hatte von ſeinen Soldaten den
Beinamen „Das ſpaniſche Rohr“ erhalten und war unter
dieſem Namen allen Offizieren der Garde bekannt. Er
ſprach nur ſelten und ſtets ſo wenig, wie möglich, las den
ganzen Tag und war, ohne ſich gerade abzuſondern, doch
ſelten mit ſeinen Kameraden zuſammen. Groß, blaß und

von düſtern Geſichtszügen, hatte er auf der Stirn, gerade

zwiſchen den beiden Augenbrauen, eine vernarbte Wunde,
die dem Geſicht einen eigenthümlich finſtern Ausdruck gab.
Den Beinamen „Spaniſches Rohr“ hatte er erhalten, weil
er ſich ſtets eines ſolchen bediente, um ſich be'm Gehen?
darauf zu ſtützen, denn er hatte im ſpaniſchen Kriege eine
Bleſſur am rechten Schenkel erhalten, die ihn häufig am
Gehen hinderte. Seine Soldaten liebten ihn außerordent-
lich und im ſpaniſchen Kriege war ſeine Compagnie eine
der ausgezeichnetſten in der Armee. Er hatte das Recht,
ohne Degen an der Spitze ſeiner Compagnie zu marſchi-
ren, blos ſein ſpaniſches Rohr in der Hand.
„Haben Sie heute Morgen die Schweizerregimenter
chargiren ſehen?“ begann der Kapitän die Unterhaltung;

„ſie haͤben das Feuern im Avanciren mit Sectionen vor-

trefflich ausgeführt. Seit ich diene, habe ich es eigentlich
noch nie ſo gut ausführen ſehen, als heute; aber in den
Straßen einer großen Stadt hat es ſein Gutes, voraus-
geſetzt, daß die Leute lebendig und raſch genug an den
Flügeln der Section vorbeikommen“. (In der franzöſiſchen
Armee wird bei'm Vordringen auf einer Chauſſee oder in
den Straßen ſo gefeuert, daß das erſte Glied der' erſten
Section feuert, dann rechts und links um macht, neben
dem rechten und linken Flügel vorbeiläuft und ſich dann
laufend hinter die letzte Section des Bataillons ſetzt.
Dadurch wird nun das zweite Glied der erſten Section
frei, es feuert und folgt dann ſeinen Vorderleuten. Das
 
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