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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 27 - Nr. 34 (3. April - 27. April)
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134

dritte Glied eben ſo und ſo fort, bis das Defilée paſ-
ſirt iſt.)
Bei dieſen Worten ſtand er auf, nahm mich bei'm Arm
und entfernte ſich mit mir von dem Bataillon, indem er
den Boulevard entlang ging. Ich bemerkte in dem gan-
zen Weſen dieſes Mannes eine eigenthümliche Aufregung,
die ſich ſchon dadurch zu erkennen gab, daß er mehr ſprach,
als ihm ſonſt eigen war.
„Werden Sie wohl die Güte haben, mir Ihren Ring-
kragen auf ein Paar Tage zu leihen, wenn Stie ihn noch
haͤben? Da Sie früher in der Garde gedient, ſo haben
Sie ihn vielleicht noch aufgehoben. Ich habe den meini-
gen in meiner Wohnung vergeſſen und kann weder ſelbſt
hingehen, ihn zu holen, noch einen Soldaten hinſchicken,
denn der Pöôbel ermordet uns ja wie tolle Hunde, wenn
wir uns einzeln ſehen laſſen. Sie müſſen nämlich wiſſen,
daß ich vor vierzehn Tagen meinen Abſchied genommen
hatte, weil ich des Soldatenlebens herzlich überdruͤſſig war;
aber als ich vorgeſtern die Ordonnanzen las und die Auf-
regung in Paris gewahrte, zog ich meine Uniform wieder
an, meldete mich in der Kaſerne und war ſo glücklich,
meine brave Compagnie noch unbeſetzt zu finden. Ich
konnte doch meine alten Soldaten nicht verlaſſen in einem
Augenblick, wo es nach langer Ruhe wieder Arbeit geben
ſollte. Was hätten ſie von mir denken ſollen, wenn ich
kurz vor der Gefahr die Uniform verlaſſen, die oft mit
ihnen durch Staub und Blut beſchmutzt worden iſt. Wer
weiß, wie lange ihr „ſpaniſches Rohr“ noch hier auf Er-
den herumhinkt!“
Wir waren im Herumgehen wieder in die Nähe des
Bataillons gekommen. Einige Offiziere baten den Kapi-
tän um Cigarren; er theilte ſie, ohne ein Wort zu ſpre-
chen, aus. Das Geſpräch drehte ſich bei ihnen um ganz
gleichgültige Dinge, kein Wort von den überſtandenen oder
noch zu erwartenden Gefahren. Die Grenadiere ſtanden
noch immer ſtumm, das Kinn auf die Mündungen der Ge-
wehre gelehnt. Einige junge Soldaten hatten ſich auf
ihre Torniſter geſetzt und ruhten von der ſchweren Anſtren-
gung des vergangenen Tages aus. Alles war ſtill, hin
und wieder änderte einer oder beſſerte etwas an ſeinem Le-
derzeug, ſchraubte einen neuen Feuerſtein auf oder kramte
in ſeinem Torniſter. Nichts verrteth Unruhe, Beſorgniß
oder Unzufriedenheit: Sie ſtanden ſo ruhig im Gliede,
wie vor einer Revue, das Zeichen zum Einrücken in die
Linie erwartend.
Wir ſetzten unſere Promenade fort und kamen endlich
vor eines der vielen Kaſſeehäuſer, welche in jener Gegend
des Boulevards ſich befinden. Wir fanden ein Tiſchchen
und einige Stühle vor dem verſchloſſenen Eingang, nahmen
Platz und rauchten friedlich unſere Cigarren. Unſer Ge-
ſoräch kam auf den Feldzug von 1814 und ich wunderte

mich über die Geſprächigkeit des Kapitäns, der heute ganz

eigenthümlich erregt ſchien. Er ſprach häufig von Todes-
ahnungen, von Vorgefühlen, von gewiſſen Zeichen und
meinte, daß er ſich über ſich ſelbſt wundern müſſe, heute
ſo geſprächig zu ſein; aber er wiſſe nicht“, wie es käme,
es wäre, als ob ihn Jemand zwänge, zu erzählen, was
er in dem genannten Feldzug erlebt und was ihm nie aus
dem Gedächtniß käme; ſo qualvoll auch die Erinnerunz ſei,

ſo ſei ich doch der Erſte, dem er etwas davon mittheilte.
Ich ſprach meine Verwunderung und Neugier aus und der
Kapitän Renaud erzählte mir ungefähr Folgendes;
„Es war im Anfang des Jahres 1814. Unſere arme,
geſchlagene Armee verthetdigte mit der letzten Kraft das
Vaterland und der Kaiſer und Frankreich ſahen mit Be-
ſorgniß, die ſie früher nicht gekannt, auf den Ausgang des
Kampfes. Soiſſons war von den Preußen unter Bůlow
genommen worden, die ſchleſiſche und die Nord-Armee bat-
ten ſich vereinigt, Macdonald hatte Troyes räumen
müſſen und das ganze Ponne-Thal dem Feinde bloßgege-
ben, um zwiſchen Nogent und Montereau eine Defenſiv-
Stellung mit 30,000 Mann einzunehmen.
Wir ſollten Rheims attakiren, das der Kaiſer um je-
den Preis wieder haben wollte. Das Wetter war trübe
und ein endloſer Regen ſtürzte aus den Wolken. Wir hat-
ten am Tage vorher einen Stabsoffizier verloren, der eine
Kolonne ruſſiſcher Gefaͤngenen führte. Die Ruſſen hatten
ihn überfallen, getödtet und ihre gefangenen Kameraden
befreit. Unſer Oberſt, der ſich nicht gern etwas bieten
ließ, wollte ſich revangiren. Wir waren damals dicht bei Eper-
nay und. umgingen die Höhenzüge jener Gegend. Der Abend
brach an, wir ſehnten uns nach Ruhe und kamen gerade
an einem hübſchen, weißen Schloß mit Thürmchen, ich
glaube, es hieß Bourſault, vorüber, als der Oberſt mich
rufen ließ. Er nahm mich auf die Seite, befahl, daß
das Regiment die Waffen zuſammenſetze und ſprach dann
mit ſeiner heiſeren, rauhen Stimme zu mir:
„Sehen Sie wohl die Scheune da oben auf dem ein-
zelnen Hügel? Da, wo der große, lange, ruſſiſche Sol-
dat mit ſeiner ſpitzen Biſchofsmütze als Schildwache her-
umgeht?“
„Ja, Herr Oberſt, ich ſehe ſowohl die Scheune als
den ruſſiſchen Grenadier!“
„Gut alſo! — Das iſt ein Punkt, den die Ruſſen
vorgeſtern genommen haben, was übrigens den Kaiſer ſehr
beunnruhigt. Er meint, jener Poſten ſei der Schlüſſel von
Rheims und ſo wird es denn auch wohl ſein. Jedenfalls
hoffe ich, dem Woranzoff doch einen kleinen Streich zu
ſpielen. Um elf Uhr heute Abend nehmen Sie zweihun-
dert unſerer beſten Leute und heben die Feldwache auf,
die dort oben in der Scheune ſteckt. Damit es aber kei-
nen Lärm gibt — gebrauchen Sie blos das Bajonett!“
Dabei blies er ruckweiſe den Tabaksrauch aus ſeinem
Munde, ſo wie ich jetzt, und ſprach dazwiſchen in kurzen
Abſätzen weiter:
„Ich bin natürlich mit meiner Kolonne dicht hinter
Ihnen, höchſtens verlieren Sie fünfzig bis ſechzig Mann;

aber die ſechs Kanonen müſſen Sie jedenfalls haben, es

koſte, was es wolle, ſie ſtehen da weiter hinten! Um elf
Uhr — oder nein! beſſer um halb zwölf Uhr, ſo ſind wir
um Mitternacht fertig. Wir ſchlafen dann bis drei Uhr,
um uns ein wenig von der verdammten Schlappe bei Craonne
zu erholen. Es iſt da hart hergegangen.“
Als der Oberſt geendet hatte, ſuchte ich den andern
Lieutenant meiner Compagnie auf und traf alle Vorkeh-
rungen für den Tanz zur Nacht. Die Hauptſache war
natürlicherweiſe, keinen Lärm zu machen. Ich ſelbſt ſah
alle Gewehre nach, ließ alle ſcharfen Patronen mit dem
 
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