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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 1 - Nr. 9 (3. Januar - 31. Januar)
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Samſtag, den 27. Januar 1872.

5. Jahrg.

Preis monatlich 12 kr.

erſcheint Mittwolch und Samſcag.
und ber deg Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Einzelne Nummer 3 2 kr.

Man abonnirt in der Druckerei, Schuſas ſſel

—5
.
*

Die Gräſinnen von Schauenſtein.
Novelle von Wilhelm Blumenhagen.
(Fortſetzung.)

Darum erhebe Dich zum ernſten Kampf; nimm die
ſchwere Schickung, wie der Menſch Alles nehmen muß,
was von oben kommt. Du biſt nicht allein mehr, ein
Starker ſteht neben. Dir, der ſeine höchſte Ehre, ſein reich-
ſtes Glück darin finden wird, Blut, Gut und Leben ſelbſt
als Zeugniſſe ſeines heiligſten Gefühl's Dir zu opfern.
Aber alsdann, wenn Deine Widerſacher beſchämt vor der
Welt und Dir daſtehen, dann magſt Du nach Deinem
Willen ihnen hinwerfen, wonach ſie ſeufzen, magſt mir
folgen ohne einer Stecknadel Werth mitzunehmen von dem
unglücklichen Erbe des Grafen Adalbert. Leichter werde
ich dann träumen, ich hätte das Fräulein Florentine aus
den Armen ihrer Mutter empfangen, und ſie ſei nie Er-
laucht genannt worden.“ ö ö
„Bravo!“ rief der Hofrath mit weicher Stimme. „Un-
ſer Theſeus trägt den ächten Meduſenſchild, der den Dra-
chen tödtet ohne Schwertſtreich. Ich leſe es im Antlitze
unſerer Freundin. Sein Wort iſt ein Antidot gegen die
moraliſchen Gifte, welche uns bedroheten. O ſchöner Vor-
zug der Jugend! Der Stimme Ton thut mehr, als eine
lange Rede des alten Freundes. Fort dann mit der Fel-
ſenlaſt von unſerer Bruſt; unſere Gnädige wird ſich dem
Siegreichen auf Gnade und Ungnade ergeben; und ſo
ſegne ich den Bund, den eine Stunde der Noth gebar, der
aber durch Nacht zum ſchönſten Licht führen wird.“ —
Heiß und herzlich umſchlang Florentine ihren kühn ge-
wonnenen, glücklichen Freund und auf ihren Wangen ſtieg
das Morgenroth einer jungen Hoffnung auf, das ſie ver-
klärte, als wäre ſie die jüngſte Braut.

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Mit einer Vollmacht der Gräfin in der Hand trat
ohne Zögerung Obriſt Offeny ſein neues Amt an, ohne
ſich um die ſcheelen Blicke zu kümmern, welche den rüſti-
gen Adjutanten der befehdeten Dame empfingen. Die ern-
ſten Verhandlungen begannen und unermüdlich folgte der

Kriegsmann den kleinlichſten Unterſuchungen der Rechts-
männer und zeigte überall ein Uebergewicht von Kennt-

niſſen auf dem fremden Terrain, mit einem Scharfſinne,

einem Freimuth und einer leichten Heiterkeit verbunden,
die Jedermann, beſonders ſeinen Buſenfreund ſtutzig machte,
deren Grund jedoch nur von dem weiblichen Theil geahnet
wurde. Von dem einſtigen fröhlichen Zufammenleben auf
Schauenſtein war natürlich kaum ein Schatten übrig ge-
blieben. Der böſe Feind aller Geſelligkeit, eine miß-
trauiſche Spannung, ein ſcheues Behorchen und gegenſei-
tiges geheimes Beachten, ſaß überall mitten unter den
Schloßbewohnern. Man ſah ſich nur noch an der Tafel,
wo die Bande der Sitte und der Schicklichkeit, wenn auch
immer morſcher werdend, noch zuſammen hielten, was
läugſt zerriſſen. Gräfin Florentine bot alle Kraft auf,
die Zerrüttung in ihrem Innern zu bekämpfen und nicht
den Fremden Preis zu geben und es gelang ihr die ſchwere
Aufgabe, da Richards Nähe ſie ſtützte, wenn der Blick
auf ihre Tochter wie ein Schlangenbiß ihren Buſen traf.
Der Graf ſpielte den Kalttrotzigen, der gerechten Sieges
ſich gewiß fühlt; Marquiſe Blanda die unbefangene Un-
ſchuldige, welche zur Verſöhnung beider Partheien ſtünd-
lich bozeit ſteht und die Comteſſe wurde täglich wortarmer,
verſchloſſener und düſterer, bleichte ab, ſuchte die finſter-

ſten Parthieen des Gartens auf, die einſamſten Schlüchte

des Wäldchens, und ward von dem Hofrathe in voreiliger
Freudigkeit ſchon als eine mit einer rettenden Criſis rin-
genden Reconvaleszentin bezeichnet.
Die königlichen Commiffarten verfolgten indeß ohne
Einhalt das ihnen aufgeträgene Werk. Alle Angriffe auf
das ominöſe Teſtamet wurden vereitelt, denn die Zeugen
jenes ernſten Aktes, Stadtvögte, Amtsleute, Gutsherren,
ſtanden als Käbelloſe Vertheidiger der vor ihren klaren Au-
gen erſchaffenen und nach allen geſetzlichen Forderungen
geregelten Rechtſchrift da. Die Archive des Schloſſes, je-
bes dick beſtaͤnbte Bücherbrett, jeder Aktenſchrein, wenn
auch der Roſt der Schlöſſer darthat, daß er ein Menſchen-
alter hindurch ſich nicht dem Tageslichte geöffnet, mußten
daran; man ſuchte mit der Liſt und Gier des Fuchſes
nach einem möglichen zweiten Teſtament, nach brieflichen
Aeußerungen des gräflichen Willens, nach Hausgeſetzen,
aber überall war der Obriſt zugegen, und wachte mit ei-
nem Falkenblicke über jede mögliche Einſchiebung, jeden
möglichen Unterſchleif, und achtete nicht die verkappten
Invectiven im Scherzwort und Spottrede des Grafen, die
ihm ſein Geſchäft verleiden ſollten, bis die Commiſſarien
endlich nach langen Wochen achſelzuckend erklärt, ſie ſchöpf-
ten in das durchlöcherte Faß des Danaiden und den Nechts-
ſpruch gethan, das Teſtament ſei ein unverletzliches und
unantaſtbares, der Verdacht ein unbewieſener und unbe-
gründeter und es ſtehe der Gräfin zu, gegen ihre Belei-
 
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