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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 44 - Nr. 52 (1. Juni - 29. Juni)
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Nr. 47.

Mittwoch den 12. Juni 1872.

5. Jahrg.

Erſſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffnaſſel
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Ein Irrlicht.
Von S. Junghans.
(Fortſetzung.)

Vein, nein“, ſagte die Wittwe raſch und erhob ſich;
„dazu iſt hier nicht der Ort. Komm morgen, komm wann
Du willſt, das Haus Deiner Mutter ſteht Dir offen.“
Erſchüttert preßte Richard ihre Hand an ſich. „Laß
uns gehen, Dorothee,“ ſagte ſie, „die Leute werden auf-
merkſam. Gute Nacht, Richard, Gott ſegne Dich.“
Die Scene hatte nur wenige Minuten gedauert, aber
wie anders erſchien dem ernüchterten jungen Manne jetzt
plötzlich die tolle Luſtigkeit, zu welcher er zurückkehren ſollte.
Er vermochte es nicht gleich; er wendete ſich nach den
dunkeln einſamen Parthieen des Parks und ſchritt dort
auf und ab, indem er über das ſeltſame Leben der letzten
Monate nachdachte, von dem Augenblicke an, wo Willa,
in Gaze und Flittern dem dicht vor der Lampe Sitzenden
ſo ſinnberückend zugelacht hatte. Er war gefeſſelt wor-
den durch das Koboldartige in ihrem Weſen; Willa war
ein fremdes Element unter ihren gewöhnlichen, ärmlichen
Genoſſinnen vom Corps de Ballet; eine eigene Kraft of-
fenbarte ſich in ihren kecken Rückſichtsloſigkeiten; ſogar ihre
unverhohlene Selbſtſucht äußerte ſich ſelten auf verletzende
Weiſe. Richard glaubte feſt an etwas „Edleres“ in ihrer
Natur und baute darauf ſeine Bekehrungspläne; ſo uner-
fahren und verliebt war er, daß er hoffte, dieſes Irrlicht
als wohlthätige, ſtetige Flamme an ſeinen Heerd bannen
zu können.
Das Irrlicht flackerte gerade luſtig, als er wieder zu
ſeiner Geſellſchaft trat. Willa hatte während ſeiner Ab-
weſenheit ihren Platz verlaſſen und neben dem Baron ge-
ſeſſen; eben ſprang ſie auf und kehrte zu ihrem früheren
Sitze zurück.
„Bleiben Sie, ich verſpreche Ihnen, mich zu beſſern;
ich wollte Sie nicht erzürnen, ſchöne Willa“, ſagte der
Ruſſe in gedämpftem Tone. Er ſah nach Floretten; di eſe
ſchien in der Betrachtung der Toiletten einiger vorüber he-

henden Damen vertieft und achiete nicht auf ihn; er beu-

ſich mehr und mehr zu der Kleinen hinüber, welche la-
chend ſtets weiter zurückwich. „Reden Sie lauter, Herr
nicht.“ rief ſie dabei; „was war das, ich verſtehe Sie
nicht. ö
Richard trat jetzt herzu und legte ſeine Hand auf ih re
Schulter. „Ich denke, wir gehen nach Hauſe, Willa,“
lagte er ernſt. Sie warf den Kopf herum. „Ei ſieh, da

biſt Du ja; ich hatte Dich ganz vergeſſen. Nach Hauſe?

nein, ich mag noch nicht.“ ö
„Ich bitte Dich, Willa, laß uns gehen; ich will Dir
unterwegs die Gründe meines ausdrücklichen Wunſches er-
klären“, fügte er leiſe hinzu. Willa warf die Lippen auf.
„Das Fräulein ſcheint wenig Luſt zu haben, unſer re-
zendes Souper vorzeitig abzubrechen“, ſagte der Baron,
„es iſt erſt elf Uhr; ſind Sie wirklich unerbittlich, Herr
Halter? Auch Florette hat ihre Koſtümſtudien noch keinesi
wegs zum Abſchluß gebracht; he, mein Kind?“
„Ich hoffe, daß Sie ſich durch unſer Fortgehen in kei-
ner Weiſe ſtören laſſen, Herr Baron; meine Begleitung wird
meiner Braut wohl genügende Sicherheit auf dem Heim-
weg gewähren.“ ö
Das war deutlich. Richard hatte ſcharf und haſtig
geſprochen, Willa ſah ihn verwundert an und blickte dann
mit kaum merklichem Lächeln zu dem Baron hinüber.
„Gute Nacht denn, Baron; ich muß mich, wie es ſcheint,
meinem Tyrannen fügen. Gute Nacht, Florette! ach, die
ſchläft, der Wein war ihr zu ſchwer!“ ö
Durch lachende und trinkende Gruppen, durch das Ge-
wühl der Promenirenden und durch ein wahres Kreuzfeuer
von kecken Blicken führte Richard ſeine Braut nach dem
Ausgange des Parks und war ſeelenfroh, als er ſie in der
Stille der heiligen Nacht, in den ruhigen Straßen, unter
dem Sternenhimmel, der hier, unverdunkelt durch bunte
Lampen, freundlich hereinſchaute, endlich für ſich hatte.
Nun ſpach er von ſeiner Mutter; er war ſo beredt in ſei-
der Reue und in ſeiner Rührung über die unwandelbare
Liebe derjenigen, die ihm das Leben gegeben hatte, daß
ſelbſt Willa für einen Augenblick ergriffen wurde und aus-
rief: „Wahrhaftig, Du biſt ein guter Junge, Richard,
morgen will ich zu der alten Frau gehen und mich ſo tu-
gendhaft wie möglich benehmen, um Dir keine Schande zu
machen.“ ö

Frau Halter ſaß auf dem Tritt vor ihrem Fenſter
und ſtrickte. Von Zeit zu Zeit blickte Dorothee beſorgt
zu ihr hinüber; ſie verſtand ſich auf die Zeichen der Er-
regung, welche ein Anderer wohl ſchwerlich dem unbeweg-
ten Geſichte der alten Frau abgemerkt hätte. Durch die
Geranienzweige und Fuchſienblätter ſpähte dieſelbe unab-
läſſig auf die Straße hinunter; kaum nahm ſie ſich Zeit,
nach der Uhr zu blicken; indeß konnte ja Jemand ungeſe-
hen von ihr in's Haus treten.
Sie wartete auf ihren Sohn. Seit dem frühen Mor-

gen beſchäftigte ſie ſich nur mit ihm; in Gedanken folgte
 
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