ihm? verrechnete ſie ſich, wenn ſie dachte, daß auch er ſeit
dem geſtrigen Abend den Augenblick erſehnte, wo er vor
ſie hintreten würde? Faſt ſchien es ſo. „Richard könnte
längſt da ſein“, ſagte ſie endlich zu Dorotheen, die ihr ge-
genüber ſaß.
„Wahrſcheinlich will er das Mädchen mitbringen,
Mutter; er allein würde früher gekommen ſein.“
Frau Halter ſeufzte. Aus Liebe zu ihrem Sohne hatte
ſie Groll und Vorurtheile überwunden, aber es war ihr
ſchwer, ſehr ſchwer geworden. Sie hatte ſich heimlich nach
Willa erkundigt, von allen Seiten waren ihr Berichte über
die excentriſche Lebensweiſe derſelben zu Ohren gekommen,
aber es ſchien noch kein ernſter Makel auf dem Ruf der
Tänzerin zu haften. So entſchloß ſie ſich, um den Sohn
nicht zu verlieren, das ſeltſame Mädchen kennen zu lernen,
in der ſchwachen Hoffnung, vielleicht einigen Einfluß über
ſie zu gewinnen. ö
Dorothee fuhr von ihrem Sitze in die Höhe; die Mut-
ter hatte eine Bewegung gemacht. Jetzt ſaß ſie horchend
da, die Arbeit war ihr entfallen; leichte Schritte nahten
ſich der Thür, ein ſchüchternes Klopfen wurde laut, ein
reizendes Köpfchen ſchob ſich herein und nun ſtand die
Kleine, in ihrem allereineachſten geſchürzten Seidenkleide
vor der alten Frau und die Wittwe ſchloß ſie in die Arme
und weinte.
Mit ſeligem Gefühl kam jetzt auch Richard näher; es
war ein Wiederſehen wie nach jahrelanger Trennung, ſo-
gar Schweſter Dorothee lächelte freundlich nach Willa
hinüber. Dieſe war aber auch gar allerltebſt, beſcheiden
und geſetzt; ſie ſpeiſte mit der wiedervereinigten Familie,
und als ſie am Nachmittag Abſchied nahm, um zur Probe
zu gehen, da hatte Frau Halter noch Hoffnung, und Ri-
chard war der glücklichſte Menſch unter der Sonne.
Er blieb es auch eine ganze Weile. Willa war faſt
täglich bei ſeiner Mutter. Oft ſprang ſie freilich nur die
Treppe hinauf, ſtellte einen friſchen Blumenſtrauß auf den
Tiſch, küßte die alte Frau und die ſteife Schwägerin und
eilte dann wieder fort, „in die Probe“.
Dieſe kurzen Beſuche gelangen ihr am beſten und wa-
ren viel mehr dazu angethan, einen guten Eindruck zu ma-
chen als längeres Bleiben. Brachte Willa einen ganzen
Nachmittag bei der Schwiegermutter zu, ſo wußte ſie ſich
in den engen Räumen nicht recht zu faſſen; unſtät wie ſie
war, ſaß ſie bald hier, bald da und verſetzte die alte Frau
in eine nervöſe Unruhe.
„Haſt Du denn keine Handarbeit, welche Du mitbrin-
gen könnteſt?“ fragte die alte Dame zuletzt verzweifelt.
„Oh, Mama, verzeih' — der Teppich, an welchem ich
zu Hauſe ſticke, iſt zu groß zum Transporttren; auch würde
ich die Wollknäuelchen unterwegs verlieren.“
„Ein Teppich! Du ſtickſt einen Teppich! Den möchte
ich ſehen.˖.“ ö
„Wahrhaftig, liebe Mama“, betheuerte Willa.
„Warum aber ſieht man niemals einen vernünftigen
Strickſtrumpf bei Dir?“ ö
„Einen Strickſtrumpf? haha; zur Dekoration meiner
Perſon könnte ich mir einen ſolchen wohl anſchaffen und
186
ſie ihm auf Schritt und Tritt. Irrte ſie ſich ſo ganz in
mich damit photographiren laſſen, wenn Du es wünſcheſt.
Das würde auch aber Alles ſein — ich kann nicht ſtricken.“
„Nicht ſtricken! Du kannſt nicht ſtricken!“ riefen die
Mutter und Dorothee zu gleicher Zeit und im Tone des
größten Entſetzens. ö
„Nein. Uebrigens trage ich auch nur gewe bte Strümpfe.“
Es war dieſer Mangel an weiblicher Geſchicklichkeit frei-
lich gerade keine Immoralität, aber die Entdeckung deſſel-
ben trug nicht wenig dazu bei, das gute Einvernehmen
zwiſchen der ehrbaren Familie und der kleinen Komödian-
tin, welches überhaupt auf ſehr ſchwacher Baſis ruhte, zu
untergraben. Für Frau Halter war der Umſtand wichti-
ger, als ſeine eigentliche Bedeutung zu rechtfertigen ſchien:
ſie zog daraus die ungünſtigſten Schlüſſe auf die Herkunft
der Schwiegertochter. Willa war nicht eben mittheilſam
über die Geſchichte ihrer frühen Jugend: ſie ſei die Toch-
ter von Schauſpielern und ſchon in ihrer Kinderzeit viel
herumgereiſt — mehr wußte weder Richard noch ſeine Mut-
ter von ihr. ö
„Nicht einmaͤl ſtricken hat ſie gelernt; gewiß iſt fie
nie in die Schule gegangen“, ſagte die alte Frau be
kümmert. „Mir kommt es manchmal vor, als ſei ſie hin-
ter der Hecke geboren und von Zigeunern groß gezogen;
ſie wird nie eine Hausfrau für Richard werden.“
Der junge Mann verblendete ſich am längſten über
das Verhältniß Willa's zu ſeiner Mutter. Die Kleine ſel-
ber klärte ihn darüber auf. „Du biſt in drei Tagen nicht
bei meiner Mutter geweſen, Kind“, ſagte er liebreich, als
er eines Abends bei ihr ſaß. ö
„Es ſind vier“, entgegnete ſie mit ihrer harten Kin-
derſtimme, „und ich gehe auch gar nicht wieder hin.“
Entſetzt ſah er ſie an. „Was ſagſt Du, Willa, um
Gotteswillen — hat Dich meine Mutter gekränkt?“
„Nein — ja — ſie kränkt mich beſtändig und ich ſie.
Es geht nicht ſo, Schatz“ — ſie dehnte ſich bequem in ih-
rem Seſſel, lehnte den Kopf auf die Lehne zurück und
blickte angelegentlich nach der Decke des Zimmers — „haſt
Du das nicht längſt gemerkt? Ich paſſe nicht zu ihnen
und ſie paſſen nicht zu mir. Willſt Du, daß ich mich
dorthin ſetze, Mittage lang, auf das Sopha mit den ge-
häkelten „Schonern“ und ſtricke? Und wovon ſoll ich ſpre-
chen, ohne ſie zu choguiren? Ich habe ſo ſehr auf mei-
ner Huth ſein müſſen, daß ich es müde wurde zuletzt.
Nein! ich kann nicht ruhig leben!“ rief ſie und ſprangſauf.
„Ich habe Feuer in den Adern, ich erſticke, wenn der Tag
herumgeht, ohne mir Aufregung zu bringen; ich muß mich
frei bewegen können — ich liebe den Champagner und ich
werde nie im Stande ſein, ein Haushaltungsbuch zu füh-
ren. Aber ich liebe Dich auch, trotzdem“ — ſie war ne-
ben ihm und hielt ſeinen Kopf zwiſchen ihren Händen —
„und wenn Du mich aufgäbeſt, ich würde —“
Er ſchloß ſie in die Arme. „Ich gebe Dich nicht auf,
aber o Willa, was verlangſt Du von mir?“
„Daß Du mir ganz gehörſt“, ſchmeichelte ſie. „Du
verkommſt hier in dieſem „anſtändigen“ Leben. Vertraue
Dich mir an; ich bin nicht ſo unpraktiſch, als Du glaubſt.“
Seufzend hörte er ihr zu. Der arme Junge litt die
ſchwerſte Pein; ſein ehrliches Herz war getheilt zwiſchen
der treuen Mutter und der gefährlichen Sirene und wenn
dem geſtrigen Abend den Augenblick erſehnte, wo er vor
ſie hintreten würde? Faſt ſchien es ſo. „Richard könnte
längſt da ſein“, ſagte ſie endlich zu Dorotheen, die ihr ge-
genüber ſaß.
„Wahrſcheinlich will er das Mädchen mitbringen,
Mutter; er allein würde früher gekommen ſein.“
Frau Halter ſeufzte. Aus Liebe zu ihrem Sohne hatte
ſie Groll und Vorurtheile überwunden, aber es war ihr
ſchwer, ſehr ſchwer geworden. Sie hatte ſich heimlich nach
Willa erkundigt, von allen Seiten waren ihr Berichte über
die excentriſche Lebensweiſe derſelben zu Ohren gekommen,
aber es ſchien noch kein ernſter Makel auf dem Ruf der
Tänzerin zu haften. So entſchloß ſie ſich, um den Sohn
nicht zu verlieren, das ſeltſame Mädchen kennen zu lernen,
in der ſchwachen Hoffnung, vielleicht einigen Einfluß über
ſie zu gewinnen. ö
Dorothee fuhr von ihrem Sitze in die Höhe; die Mut-
ter hatte eine Bewegung gemacht. Jetzt ſaß ſie horchend
da, die Arbeit war ihr entfallen; leichte Schritte nahten
ſich der Thür, ein ſchüchternes Klopfen wurde laut, ein
reizendes Köpfchen ſchob ſich herein und nun ſtand die
Kleine, in ihrem allereineachſten geſchürzten Seidenkleide
vor der alten Frau und die Wittwe ſchloß ſie in die Arme
und weinte.
Mit ſeligem Gefühl kam jetzt auch Richard näher; es
war ein Wiederſehen wie nach jahrelanger Trennung, ſo-
gar Schweſter Dorothee lächelte freundlich nach Willa
hinüber. Dieſe war aber auch gar allerltebſt, beſcheiden
und geſetzt; ſie ſpeiſte mit der wiedervereinigten Familie,
und als ſie am Nachmittag Abſchied nahm, um zur Probe
zu gehen, da hatte Frau Halter noch Hoffnung, und Ri-
chard war der glücklichſte Menſch unter der Sonne.
Er blieb es auch eine ganze Weile. Willa war faſt
täglich bei ſeiner Mutter. Oft ſprang ſie freilich nur die
Treppe hinauf, ſtellte einen friſchen Blumenſtrauß auf den
Tiſch, küßte die alte Frau und die ſteife Schwägerin und
eilte dann wieder fort, „in die Probe“.
Dieſe kurzen Beſuche gelangen ihr am beſten und wa-
ren viel mehr dazu angethan, einen guten Eindruck zu ma-
chen als längeres Bleiben. Brachte Willa einen ganzen
Nachmittag bei der Schwiegermutter zu, ſo wußte ſie ſich
in den engen Räumen nicht recht zu faſſen; unſtät wie ſie
war, ſaß ſie bald hier, bald da und verſetzte die alte Frau
in eine nervöſe Unruhe.
„Haſt Du denn keine Handarbeit, welche Du mitbrin-
gen könnteſt?“ fragte die alte Dame zuletzt verzweifelt.
„Oh, Mama, verzeih' — der Teppich, an welchem ich
zu Hauſe ſticke, iſt zu groß zum Transporttren; auch würde
ich die Wollknäuelchen unterwegs verlieren.“
„Ein Teppich! Du ſtickſt einen Teppich! Den möchte
ich ſehen.˖.“ ö
„Wahrhaftig, liebe Mama“, betheuerte Willa.
„Warum aber ſieht man niemals einen vernünftigen
Strickſtrumpf bei Dir?“ ö
„Einen Strickſtrumpf? haha; zur Dekoration meiner
Perſon könnte ich mir einen ſolchen wohl anſchaffen und
186
ſie ihm auf Schritt und Tritt. Irrte ſie ſich ſo ganz in
mich damit photographiren laſſen, wenn Du es wünſcheſt.
Das würde auch aber Alles ſein — ich kann nicht ſtricken.“
„Nicht ſtricken! Du kannſt nicht ſtricken!“ riefen die
Mutter und Dorothee zu gleicher Zeit und im Tone des
größten Entſetzens. ö
„Nein. Uebrigens trage ich auch nur gewe bte Strümpfe.“
Es war dieſer Mangel an weiblicher Geſchicklichkeit frei-
lich gerade keine Immoralität, aber die Entdeckung deſſel-
ben trug nicht wenig dazu bei, das gute Einvernehmen
zwiſchen der ehrbaren Familie und der kleinen Komödian-
tin, welches überhaupt auf ſehr ſchwacher Baſis ruhte, zu
untergraben. Für Frau Halter war der Umſtand wichti-
ger, als ſeine eigentliche Bedeutung zu rechtfertigen ſchien:
ſie zog daraus die ungünſtigſten Schlüſſe auf die Herkunft
der Schwiegertochter. Willa war nicht eben mittheilſam
über die Geſchichte ihrer frühen Jugend: ſie ſei die Toch-
ter von Schauſpielern und ſchon in ihrer Kinderzeit viel
herumgereiſt — mehr wußte weder Richard noch ſeine Mut-
ter von ihr. ö
„Nicht einmaͤl ſtricken hat ſie gelernt; gewiß iſt fie
nie in die Schule gegangen“, ſagte die alte Frau be
kümmert. „Mir kommt es manchmal vor, als ſei ſie hin-
ter der Hecke geboren und von Zigeunern groß gezogen;
ſie wird nie eine Hausfrau für Richard werden.“
Der junge Mann verblendete ſich am längſten über
das Verhältniß Willa's zu ſeiner Mutter. Die Kleine ſel-
ber klärte ihn darüber auf. „Du biſt in drei Tagen nicht
bei meiner Mutter geweſen, Kind“, ſagte er liebreich, als
er eines Abends bei ihr ſaß. ö
„Es ſind vier“, entgegnete ſie mit ihrer harten Kin-
derſtimme, „und ich gehe auch gar nicht wieder hin.“
Entſetzt ſah er ſie an. „Was ſagſt Du, Willa, um
Gotteswillen — hat Dich meine Mutter gekränkt?“
„Nein — ja — ſie kränkt mich beſtändig und ich ſie.
Es geht nicht ſo, Schatz“ — ſie dehnte ſich bequem in ih-
rem Seſſel, lehnte den Kopf auf die Lehne zurück und
blickte angelegentlich nach der Decke des Zimmers — „haſt
Du das nicht längſt gemerkt? Ich paſſe nicht zu ihnen
und ſie paſſen nicht zu mir. Willſt Du, daß ich mich
dorthin ſetze, Mittage lang, auf das Sopha mit den ge-
häkelten „Schonern“ und ſtricke? Und wovon ſoll ich ſpre-
chen, ohne ſie zu choguiren? Ich habe ſo ſehr auf mei-
ner Huth ſein müſſen, daß ich es müde wurde zuletzt.
Nein! ich kann nicht ruhig leben!“ rief ſie und ſprangſauf.
„Ich habe Feuer in den Adern, ich erſticke, wenn der Tag
herumgeht, ohne mir Aufregung zu bringen; ich muß mich
frei bewegen können — ich liebe den Champagner und ich
werde nie im Stande ſein, ein Haushaltungsbuch zu füh-
ren. Aber ich liebe Dich auch, trotzdem“ — ſie war ne-
ben ihm und hielt ſeinen Kopf zwiſchen ihren Händen —
„und wenn Du mich aufgäbeſt, ich würde —“
Er ſchloß ſie in die Arme. „Ich gebe Dich nicht auf,
aber o Willa, was verlangſt Du von mir?“
„Daß Du mir ganz gehörſt“, ſchmeichelte ſie. „Du
verkommſt hier in dieſem „anſtändigen“ Leben. Vertraue
Dich mir an; ich bin nicht ſo unpraktiſch, als Du glaubſt.“
Seufzend hörte er ihr zu. Der arme Junge litt die
ſchwerſte Pein; ſein ehrliches Herz war getheilt zwiſchen
der treuen Mutter und der gefährlichen Sirene und wenn