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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 1 - Nr. 9 (3. Januar - 31. Januar)
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Nr. 2.

Samſtag, den 6. Januar 1872.

. 5. Jahrg.

erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 18 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schitfaaſtel
und bei den Trägern. Auswärts bet den Landboten und Poſtanſtalten.

Die Gräfinnen von Schauenſtein
Novelle von Wilhelm Blumenhagen.

Cortſetzung.)

„Der alte weibiſche Herr iſt ein Narr,“ antwortete der
Obriſt, „wenn er es auch ganz gut gemeint haben mag.
Solch' ein Friedensprofeſſor in zierlich gekräuſeltem Grau-
haar, mit Manchette und im Seigenſtrumpf, ſchätzt Alles
ab nach ſeinen Damen und Fräuleins, denen ein Tritt
auf's feuchte Gras, ein Regenſchauer, welcher ſie auf der
Promenade überraſcht, ein Windzug im Ballſaal Krämpfe
und todesſchwaͤngere Fieber bringt, und die er mit milden
Säften und zarten Tröpfchen kuriren muß, um ſie nicht

vollends umzuwerfen. Das vorſichtige, flüſternde Männchen

haͤtte mit ſeinen ſchneideluſtigen Kollegen auf unſeren
Schlachtfeldern ſein müſſen, ſicherlich hätte er mich dann
nicht um eine lumpige Schramme an der Schläfe
und eine elende Quetſchung am Knie eine ganze Woche
lang wie ein Gefangener behandelt und mich mit lauter
Karthäuſern umgeben, welche ſchlichen wie Geſpenſter und
alle meine Fragen mit automatiſchen Winken und Zeichen
beantworteten. Daß Du, plauderhafter Konradin, mir
zum Aerger Dich auch der Komödie unterwarfſt, blieb mir
das Unbegreiflichſte.“
„Du biſt geneſen,“ verſe tzte der Hauptmann, „denn
Du redeſt mit dem langen Athem eines Gemsjägers, und
mit der friſchen Laune eines muntern Tafelgaſtes und

mag der-Aeskulap die Sache immer zu ernſt genommen

haben, er hat ſeinem rothen Hute Ehre gemacht, den ka-
ſtaliſchen Lorbeer verdient, denn er rettete mir mein zwei-
tes Ich und nahm die bängſte Sorge von vielen Dir plötz-
lich —— Herzen.“
„Bange Sorge um ſechs leichte Fiebertage?“ fragte
der Obriſt. ö hie frag
„dDaß Du ſie nicht bemerkt, möge Dir das beſte Zeug-
niß für ihre Wahrheit werden. Wir ritten im ſchönen
Mai an das Thor von Schloß Schauenſtein, und jetzt iſt
der heiße Johannistag vor der Thür.
reſt vom ſcharfen Ritt erhitzt, als Du Dich in den ver-
dammten Brunnen warfeſt, gleich einem tollkühnen, bocks-
bärtigen Sappeur der Pariſer Garde; zähle dazu zwei
tüchtige Bleſſuren, und das Facit, ein gefährliches ſechs-
wöchentliches Fieber, welches nur ſelten in die Fenſter Dei-
nes Geiſtes einem Verſtandsſtrahle den Eingang und Aus-
gang zuließ, wird Dir nicht unerklärlich bleiben.“

ner längeren Zeit angehören müſſen.

der Beſfitzer Zeugniß gebend.

Bedenke, Du wa-

—„
„Sechs Wochen?“ fragte ſinnend der Kranke. „Ja,

es war lange und manche ſchleichende Stunde quälte mich

wo ich mich gebunden fand, wie ein verſprengter Soldat,
der in grobe Bauernhände gefallen und ihre barbariſchen
Knebel und Stricke fühlt. Auch iſt Vieles, gar Manches
in meinem Gedächtniſſe, Geſtalten, Geſichter, wohlklingende
leiſe Stimmen, oft kehrend und gar manichfaltig, die ei-
Und doch finde ich
Dich noch hier an meiner Seite? Mich erwartet Nie-
mand daheim als mein ſteifer Gerichtsherr und meine
grobdeutſchen Verwaͤlter; auf Dich warteten mit Sehnſucht
Eltern und Geſchwiſter, und Du weilteſt bet mir? Das
iſt Pflichtverletzung, deren Schuld Du auf mich legteſt,
und deßhalb Frevel an der Freundſchaft.“
„Frevel wäre es geweſen, ließ ich Dich allein unter
Fremden, in einem Hauſe voll Getümmel, wenn auch gaſt-
frei aufgenommen, doch vielleicht der unaufmerkſamen Die-
nerſchaft überlaſſen. Ja, hätte ich früher gewußt, welch'
eine mächtige und liebevolle Fee die Wacht über Deinem
Haupte gehalten, vielleicht würde ich mein Bleiben unnö-
thig gehalten haben.“
„Wo ſind wir und bei wem? Du weißt, der Krieg
führte mit ſeinen Schlangenmärſchen uns niemals in dieſe
Gegend,“ ſagte der Obriſt geſpannt. —
„Du darfſt heute Dein Bett verlaſſen und ein Blick
aus jenem Fenſter wird Dir das Theater Deiner letzten,
wenn auch tief bürgerlichen Heldenthat in ſeinem ganzen
Umfange überſchauen laſſen. Die Lieblinge Deiner Au-
gen, Berge, Felskuppen, mächtige, breitwogende Ströme
wirſt Du umſonſt ſuchen. Du findeſt in einer flachen,
aber heiteren Landſchaft auf ihrem einzigen Hügel ein ge-
räumiges Schloß, außen noch etwas altväterlich, mit Por-
talen, Wappenſchildern Ringmauern und ſogar einigen go-
thiſchen Thürmchen am Eck, von den engliſchen Novelliſten
nicht ohne Witz mit den Pfefferbüchschen verglichen, die
auf der Tafel unſerer Väter nicht fehlen durften, doch in-
nen ſo bequem, als fürſtlich ausgebaut, dekorirt und ein-
gerichtet, und überall vom Reichthume und dem Geſchmack
Dieſes Schloß führt ſogar
den Titel Reſidenz, denn in ihm wurden erzeugt, geboren
und begraben die Herren und Frauen, die Söhne und
Töchter eines reichsgräflichen Geſchlechts, vor Zeiten ge-

fürſtet und ihre Herrſchaft ohne Einmiſchung von Kaiſer

nnd Reich nach Hausgeſetzen vererbend auf Lanze und Kun-
kel. Du kannſt im gewölbten Feſtſaale zu Deiner erſten
leichten Unterhaltung die Bekanntſchaft eines halben Hun-
dert dieſer knebelbärtigen Helden und ehrſamen Hausmüt-
ter machen, die von den Wänden ſtolz und verächtlich auf
unſere Zeit herabzublicken belieben. Doch ſo ſteif und
 
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