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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 1 - Nr. 9 (3. Januar - 31. Januar)
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Nr. 3.

Mittwoch, den 10. Januar 1872.

5. Jahrg.

Icheint Mittwoch und Sam ſcag. ö
und bei den Trägern.

Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiaa ſſel
Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Die Gräfinnen von Schauenſtein.
Novelle von Wilhelm Blumenhagen.
(Fortſetzung.)

Gräfin Florentine hatte ihre Gäſte ſelbſt zu der Luſt-
reiſe angetrieben und wider ihre Gewohnheit auch der
Tochter, die ſie niemals von ihrer Seite ließ, die Erlaub-
niß zur Mitfahrt im Schutze der Marquiſe ertheilt und

ihren ganzen Marſtall leeren laſſen, damit jedes Hinder-

niß beſeitigt werde, ihren Wittwenſitz auf ſechs Tage zu
einer menſchenleeren Eremitage umzuwandeln.
„Sie iſt eine Zauberin, wenn ſie auch nicht Sidonia
heißt und erräth Gedanken und Wünſche,“ ſetzte Grath bei

ſeinem Rapporte ſchelmiſch lächelnd hinzu; „und nur ein

Kannibal würde ſolches Zartgefühl mit Undank vergelten.
Richard,“ fuhr er launig fort, indem er den ſichtbaren
Eindruck der Nachricht am Obriſten bemerkte, „es wird
mir eine in's Auge ſpringende Sympathie zwiſchen Dir
und der Dame klar und es lebt in mir eine Ahnung, daß
über Deinen Sprung in den finſtern Schacht eine unſicht-
bare Hand gewaltet, der wir nicht entſpringen werden.
Auch Du ſelbſt trägſt ja eine Art von Fatumsglauben in
Deiner Seele.“ ö
„Thor!“ antwortete der Obriſt, doch nicht mit ſeiner
gewöhnlichen Schroffheit. „Deine ſympathiſche Ahnung
vergißt, daß das Gleiche ſich abſtoßt, daß Phyſik und Che-

mie uns lehrt, wie nur das Ungleichſte ſich bindet, und

nur entgegengeſetzte Pole ſich ſuchen.“
„Die Menſchen ſind keine Eiſenſtäbe, Menſchenherzen
find nicht wie Säure und Alkalt,“ lacht der Hauptmann
und der übrigens nicht gar tief ſchauende, lebensluſtige,
heitere Krieger, der die Welt und die Tagesbegebniſſe für
gewöhnlich, ohne ſie zu bekritteln, ſo genommen hatte, wie
ſie gerade kamen, ſchien dieſes Mal von einem propheti-
ſchen Geiſte angehaucht geweſen zu ſein. ö
Der Obriſt erwähnte weder die Reiſe, noch die dazu
gegebenen Aufträge. Milder, wie man es an ihm ge-
wohnt, ertrug er die Sprachſeligkeit des Freundes, wenn
auch eine innere Unruhe die Geſpräche zuweilen durch
Spaziergänge in den Zimmern des ihm eingeräumten Flü-
gels unterbrach und er dieſe mit der Neugierde entſchul-
digte, aus allen Fenſtern die Lage des Quartiers, welches
ihm wochenlang zum Gefängniß geworden, nach allen
Weltgegenden zu recognosciren. Sein gebräuntes Ge-
ſicht röthete ſich, als die Einladung zur Tafel eintraf,



und der Hauptmann ſah den feſten Mann ſchwanken, als
ſie durch die Galerien dem goldbetreßten Lakaien folgten;
doch als dieſer die Thür öffnete und die Namen der bei-
den Herren mit einer monotonen Stentorſtimme hineinrief,
lag der alte Ernſt auf Richard's Geſicht, und geſetzt, als
ſchritt er ſeinem Regimente voran, trat er ein. Die kleine
Tafel fand ſich in einem Gartenſaale ſervirt und von dem
feinen Blumenduft, der durch die offenen Fenſter herein-
zog, war die Luft in ihm geſchwängert. Nur vier Cou-
verts zeigten ſich auf dem reich beſetzten Tiſche, und die
Gräfin verließ ihren Geſellſchafter, in welchem Richard
ſeinen Arzt erkannte und näherte ſich ihren Gäſten. Gräfin
Florentine und der Obriſt öffneten zugleich die Lippen. Beide
begannen zugleich einen Dank auszuſprechen, doch da ſie
ſich dabei in die Augen geblickt, verſtummten Beide ſelt-
ſamer Weiſe und ſenkten zugleich die Augen wie in Schaam
vor einer Bewegung, die zu ihrem Alter wie zu ihrer
Stellung im Leben nicht zu paſſen ſchien und ſie ſelbſt
überraſchte.
Der Leibarzt, welcher beſonders ſeinen Patienten mit

ſeinen kleinen blaßblauen Augen ſcharf beobachtet, über-

nahm ſchnell ſein Mittleramt und ſäumte nicht mit der
nöthigen Arznei. — ö
„Keine Alteration, Erlaucht,“ rief er geſchmeidig her-
beieilend, „ich muß bitten, meinen Pflegling heute noch
als elnen Todtkranken zu betrachten. Was die lieben Herr-⸗
ſchaften ſich wechſelſeitig ausſprechen möchten, wiſſen die
verehrten Partheien, ohne daß ein Dollmetſcher in irgend
eine Volksſprache es zu überſetzen nöthig hätte. Die er-
laͤuchte Frau Gräfin möchten danken für die wunderbare
Rettung einiger ihrer getreuen Unterthanen; unſer wackerer
Kriegsmann hingegen für das ſaudere Hoſpital, die feinen
Wundbinden, edlen Medikamente, den umſichtigen Medi-
kus und ſo ferner. Ich meine, man liefert, wie bei den
meiſten Friedensſchlüſſen, die Ratifikationen aus ohne ge-
naue Abwägung der gegenſeitigen Anforderungen und
ſchließt ab ohne Erörterung.“
„Sie ſpotten meiner, Hofrath,“ fiel lebhaft die Gräfin
ein, „und unſer lieber Gaſt würde dieſem unzeitigen Spott
wehren, glaubte er ſich uns in etwas verbunden, da er
gegentheils uns mit einer Schuld beladen, die wir nim-
mer abzuzahlen vermögen.“ ö
Der Hofrath hob ſeine feine Hand leicht gegen den
Mund der Gräfin. „Still, Erlaucht! Still, mein Herr
Obriſt,“ ſagte er mit ſchneller Zunge. „Wir Aerzte ſind
zwar immerdar nur erbärmliche Knechte, eine Art Kam-
merjuden des ganzen Menſchengeſchlechts, doch für heute
habe ich mir das Regiment ausdrücklich vorbehalten und
laſſe mir ſelbſt von der liebenswürdigſten Frau des Lan-
 
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