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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 1 - Nr. 9 (3. Januar - 31. Januar)
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des meinen Szepter nicht entwinden. Die Silberſchaale
dort vergeudet ihre würzigen Dämpfe; nehmen wir Platz
und verhandeln ſitzend, wie es die Väter thaten, das Wich-
tige, was Noth thut. Geſcheides bedarf ja überall einer
ruhigen Seſſion.“
Die Gräfin lächelte und reichte dem Obriſten die Hand
und dieſer hielt die weiche warme Hand noch, als man
ſchon ſaß und entließ ſie nur mit Widerſtreben, obgleich
er erſchrack, indem er ſeinen Verſtoß bemerkte.
Das Leben iſt ein wunderbarer Conflikt von Gemei-

nem und Beſonderem, von Schalem und Wunderſamem;

es iſt der große Spiegel des gar abſonderlichen Weſens,
das ſich Menſch nennt, der Spiegel dieſes eiteln Geſchö-
pfes, das ſich ſelbſt das Meiſterwerk des letzten Schöpfungs-
tages betitelt, obgleich dem ernſten Beſchauer vorkommt,
als ſei es aus den Fetzen und Ueberreſten der Schöpfung
gleich einem Harlekin zuſammengenädelt, dieſes Räthſelwe-
ſen, das in dieſer Stunde ſeine Seligkeit an der Tafel ei-
nes franzöſiſchen Würzkoches gefunden zu haben ſcheint,
und in der nächſten Stunde ſich in das Eis des Stromes
ſtürzt, um ein Bettlerkind zu retten, das am Tage gleich
einem kindiſchen Fant leichtfertig und ſpöttelnd über alles
Heilige und Große dahin tanzt, und in nächſter Mitter-—
nacht von dem Laut eines Nachtvogels in Ahnungen zu-
ſammenſchauert, und vor Demuth und Bangen in den
Staub geworfen, gleich einem bittenden, fürchtenden Kinde
in die Tiefe des unſichtbaren Geiſterreiches ſtarrt, und
Angögebete zu einer unbekannten Macht ſtammelt, um die
es ſich ſonſt ſelten bekümmert. Auch das Leben leiert ſich
oft Jahre lang ab, wie in langweiligen Gaſſenhauer, in
dem alltäglichen Einerlei, das vor dem Thierleben nichts
voraus hat, in der Wiederkehr derſelben Sorgen und Mü-
hen um die armſelige Hälfte des menſchlichen Weſens;
doch dann fällt plötzlich eine Stunde hinein, wie Him-
meloͤlicht in den dunkeln verſchütteten Schacht; — und
wer hätte ſolche nicht erlebt! Und wehe dem Bedauerns-
würdigen, dem ſie nie geleuchtet! — Eine Stunde, die
ihn geweckt vom Scheintodte, die ihn erkennen läßt, was
Leben iſt, deren Silberblick den Blindgeborenen, den Taub-
ſtummen zu einem neuen Daſein ruft, und wie ein Zau-
ber eine ungeahnte Zukunft vor ihm aufſchließt. ö
Das war es, was Richard dachte und empfand in die-
ſer Stunde; ſchön und bang, wo der kecke und trotzige,
der beſonnene und lebenskundige Mann ſcheu und wort-
arm gleich einem Knaben neben der Gräfin ſaß, und mit
Ingrimm das Fremde, was er in ſich fühlte, vergebens
zu bekämpfen und aus ſich herauszuwerfen ſtrebte: Nur
die Bemerkung, die ſich ihm nach und nach aufdrängte,
daß ſeine Nachbarin in einem dem ſeinigen nicht unähn-
lichen Zuſtande befangen ſei, erhob ihn, wenn auch gar
langſam aus ſeiner ſeltſamen Entmannung und ſeine bei-
den Tiſchgeſellſchafter thaten gleichfalls ihr Theil, den
Zauber ſeiner peinlichen Stimmung zu löſen, indem der
Medikus ſie für den Reſt der Krankheit hielt, der Haupt-
mann aber, betroffen über die kaum glaubliche Veründe-
rung an ſeinem bisher wie aus Erz gegoſſenen Rolando,
die Wahrheit ahnete und der Entwickelung beſorgt entge-
gen ſah. — Der Obriſt wurde freier und heiterer, da
Niemand ſeiner Edelthat ferner erwähnte; der kürzlich be-
endete Krieg gab dem Hauptmann Stoff zu glänzenden

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Beſchreibungen geſchehener Waffenthaten und pikanter Aben-
teuer, von denen Soldatenzüge gewürzt ſind und der Hof-
rath, der alle die großen Städte, die der Feldzug berührt
bereiſet hatte, miſchte humoriäiſche Erinnerungen ſeiner Ju-
gendzeit hinein, vergaß aber nie dabri dem Obriſten, der
ihm gegenüber ſaß, kühles Quellwaſſer zum Wein zu mi-
ſchen. Die Berichte des Hauptmanns zogen, wie natür-
lich, zum öftern auch ſeinen Waffenbruder, den er, wo es
ſchicklich, nicht unbelobt ließ, in's Geſpräch und die Gräfin,
welche früher an mehreren Höfen gelebt, miſchte manche
Bemerkung in die Schilderungen des Hofraths, die von
Geiſt, Hochbildung und weichem Gefühl zeugten. So ent-
wickelte ſich zuletzt ein trauliches Familienverhältniß unter
den Freunden und als man zum Nachtiſch kam, und der
Hofrath die poetiſchen Beilagen der Bourbons mit dem
Ernſt eines Talma deklamirte und ihren wäſſerigen Witz
geiſtreich zu kommentiren verſuchte, entſpann ſich ſogar eine
leichte Fröͤhlichkeit, die auch den Obriſt ergriff, wenn er
auch, ſobald ſein dunkles Auge dem hellen Blick der Gräfin
begegnete, dieſelbe Beklemmung von vorhin nicht ganz be-
meiſtern konnte. ö
Man brachte den Nachmittag in dem Garten zu und
die reine, erquickende Luft, die der Obriſt ſo lange ent-
behrt, der Duft der wohlgepflegten, reichen Blumenparkets
und Gebüſche, die Friſche, welche von dem Schwanenteiche
zum ſammetgrünen Ufer wehte, auf dem die Geſellſchaft
Platz genommen, vollendete die geiſtige Entfeſſellung des
Mannes, der zum erſten Male den Eindruck einer edlen
Weiblichkeit empfunden, um ſo gewaltſamer empfunden,
weil er ihn ſpäter traf als gewöhnlich.
Gräfin Florentine müßte nicht Weib geweſen ſein, wäre
die Einwirkung ihrer Erſcheinung auf ihren lieben Gaſt
ihr unbemerkt geblieben und hätte dieſelbe nicht wohlthuend
auf ſie zurück gewirkt. Auch ſie war ſich, ſo lange der
Obriſt unter ihrem Dache weilte, einer beſondern, nie vor-
her gekannten Theilnahme für einen Mann bewußt gewor-
den, doch ſchob ſie bisher ihre Erregung auf die ſchöne
Mannesthat, mit der ſich der Fremde bei ihr eingeführt.
Jetzt in ſeiner Nähe, von ſeinen Blicken ſo wunderbar be-
rührt und entzündet, von ſeiner ehrfurchtsvollen Scheu ſo
ungewohnt geſchmeichelt, bei einem Benehmen, welches mit
ſeiner hohen, kriegeriſchen hesn und ſeinen feſten, männ-
lich ausgeprägten Zügen in Widerſpruch ſtand, ertappte
auch fie ſich auf einer tiefen Empfindung die ihrem Herzen
fremdartig erſchien. Doch wie der Mann durch ſtarren
Kampf gegen ſiegende Gewalten ſeine Lage verſchlimmt,
ſo verminderte ſie weiblich durch Hingebung, was ſie an-
fangs beunruhigt, ſorgte nicht das Intereſſe zu verſchleiern,
welches ſie an dem neuen Freunde gefunden und löſete in
wachſender Vertraulichkeit immer mehr den geiſtigen Starr-
krampf, der ihren Geiſt gebunden hielt. ö
Der Obriſt ſtand wie vor einer Wunderblume, die in
jedem Augenblicke neues Farbenſpiel und neue Schönheit-
ten entwickelt. Indem ihm aber Florentine immer ſchö-
ner erſchien, fiel dennoch in jedem Augenblicke der Nim-
bus, der die fremde, hochſtehende Dame von ihm
geſchieden und den ſie glücklich und mit Freuden ſel-
ber aufgab. Bald ſah er nur das herrliche, reizende

Wieib in ihr, um deren Beſitz ein Mann, wie er, werben

durfte, deren Beſitz keineswegs für ihn im Reiche der Un-

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