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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 1 - Nr. 9 (3. Januar - 31. Januar)
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Nr. 6.

Samſtag, den 20. Januar 1872.

5. Jahrg.

Eeſcheint Mittwoch und Samſeag. Preis monatlich 18 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckeret, Schiſfgaſſea

und ber den Trägern.

Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Die Gräfinnen von Schauenſtein.
Novelle von Wilhelm Blumenhagen.
(Fortſetzung.)

„Still,“ fiel Richard ein, „laß den tadelnden Nachſatz
fallen, weiß ich ihn doch voraus. Ich war ein Knabe
und ſchäme mich ſelbſt vor Dir. Doch frei geſtanden,
dieſe Frau hat eine ſeltſame Gewalt auf mich geübt und
die geheimnißvolle Macht, von der die junge Welt faſelt,
und die der unerſchöpfliche Born der Poeten iſt und welche
ich bisher mitleidig belachte, iſt an mir ſelber gar wun-
derbar bewährt worden. Ich glaͤube jetzt dem Arzte, daß
ich krank geweſen war und bedeutend; war doch Alles
von mir gefallen, auf das mein Weſen ſich kräftig ge-
ſtützt, das Bewußtſein der Männlichkeit, des ſchwer ge-
wonnenen Ehrenplatzes, des Waffenruhmes, der Gunſt mei-
nes Königs. Ich mag poſſierlich genug in meiner kindi-
ſchen Nacktheit dageſtaͤnden haben.“
„Ein Adam unter dem Baume der Erkenntniß!“ lachte
der Hauptmann; „aber bei meinem Degen, ſo verführe-
riſch, wie ich nie möglich geglaubt. Boten Dir doch auch
drei ſchöne Even ohne Scheu den Apfel dar! Richard,“
ſetzte er herzlicher hinzu, „meine Freundſchaft für Dich
war ein Götzendienſt, doch fehlte meinem Abgott ein ein-
ziger Schmuck. Deine ſpöttiſche Verſchmnähung des Wei-
bes däuchte mir eine Unnatur, ein Fleck an meinem Lieb-
lingsbilde, und ich geſtehe es, das war mir wie eine kalte
Wand zwiſchen uns und ſtörte mein Vertrauen. Wer
für das Schönſte unter den Geſchaffenen nicht empfindet,
ſitzt wie ein ſteinerner Gaſt an der fröhlichen Lebenstafel;
ihm fehlt das Ahnenſiegel der Menſchlichkeit, die Taube
im Eiſenhelm, die Schwäche in der Kraft, und wie ein
mahnender, tadelnder, mitternächtiger Spuck ſtört er die
Luſt ſeiner Nachbarn. Du warſt nicht krank mehr, Du
biſt vollauf geſund, denn nur im geſunden und ſtarken
Herzen ſproßt dieſe Himmelsblume ſo ſchnell, ſo voll, ſo

üppig empor, und doppelt heiß drücke ich Dich darum an

mein Herz.““ ö
Der Obriſt lächelte. „So meineſt Du, wir wandeln
den blanken Helm zum verkohlten Kochtopfe, und freien
friſchweg?“ fragte er. ö
„Und warum ſogleich freien, ſogleich die Kette fordern?
Sehen wir uns das Ding erſt an, koſen und koſten eine
Weile; der Schwarzrock iſt ja immer zur Hand und nur

der unbeſonnene Schiffer landet an fremder Küſte ohn
Lotſen und Senkblei.“
„Freien oder fliehen! So wäre es ehrlich gegen ſie und
mich!“ entgegnete Richard ernſt und feſt. „Oder glaubſt
Du, ich paſſe zum duldſamen Fliegenwedel, Mücken And
Wespen von meinem Idol zu ſcheuchen? Statt des wei-
chen Wedels möchte mir der Stiel zur Hand kommen und
Streit um ein Weib die Männerehre beflecken.“
„Ich ſehe nur eine Wespe,“ lachte der Hauptmann,
„und hat ſie auch den Stachel, ſcheint ſie doch flügellahm.
Alſo freien? Und welche? Mutter oder Tochter?“
Der Obriſt ſah ihn betroffen an. „Das verzogene und
ungezogene Kind? Die frühreife, darum widerwärtige
Unnatur?“
„Das ungezogene Kind iſt ſchön wie irgend eine ihrer
Schweſtern. Ihre Keckheit iſt etwas Beſonderes, würzt
und reizt den Appetit. Die ſechzehnzährige Amazone, eine

zum Kampf fordernde Hypolite zu zwingen, zu bändigen,

ſcheint mir eine verlockendere Aufgabe für den Mann, als
mit der eingewöhnten, kundigen Wittwe eine leichte Fahrt
zu gewinnen. Die leuchtenden Augen dieſer Viktoria for-
dern Dich auf den Turnplatz, verſprachen Dir aber vor-

aus einen glänzenden Sieg, und läugne nicht, die Nach-

gluth des Kuſſes flammte Nordlichtsroth auf Dein Ant-
litz. Ich würde mich beſinnen, brennt uns doch das Feuer
nicht auf den Nagel.“
Der Hauptuann hatte, während er ſprach, die Fen-
ſtervorhänge gelichtet. „Siehe da, Richard,“ rief er, „der
gütigé Himmel hilft unſerer Phantaſie nach. Die Da-
men ſind im Garten am Fiſchteiche, und vertreiben ſich
im Zorn über die nachläſſigen Anbeter die Zeit nach eige-
ner Laune. Schau' dieſen Tannenwuchs, dieſe Lebhaftig-
keit der Bewegungen, dieſes edle Antlitz voll Friſche, wel-
ches mitten unter Blüthen und Blumen Farbe und Reiz
nicht verliert, und ſo die ſchwierigſte Schönheitsprobe be-
ſteht.“ — ö
„Und was macht ſie nebſt ihrer zweideutigen Duenna,

dieſer Signora Blanda, welcher keine Mutter die Tochter

anvertrauen ſollte?“ fragte der Obriſt, der zu dem Freunde
vielleicht in einer ganz andern Hoffnung getreten und deß-
halb durch den Blick zum Garten eher verſtimmt, als er-
freut ſchien.
„Sie hat die ſchneeigen Schwäne und ihre graue Brut
an dem Ufer verſammelt und ſtreut kindlich den edlen
Thieren das ſchmackhafte Futter vor.“

„Nein, Du trügeriſcher Advokat! die Boshafte lockt

die friedliche Familie zum Ufer, um ſie mit der Reit-

peitſche auf Kopf und Schnabel zu treffen und fort zu
 
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