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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 27 - Nr. 34 (3. April - 27. April)
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Ir. 31.

Mittwoch, den 17. April 1872.

5. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 128 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schi geſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Die Verwechslungen.
Erzählung von C. W. Koch.
(Fortſetzung.)

Eine lange Pauſe folgte — endlich verſuchte Marie,
die ſelbſt des Troſtes bedurfte, den Armen zu tröſten —
ſie ergriff ſeine Hand, und ſprach mit hinreißender Bered⸗—
ſamkeit, er legte ſein Haupt auf ihre Schultern, führte
ihre Hand an ſeine Lippen und rief ſeufzend: „Himmel!
warum haſt du mir dieſes Engelsweſen nicht zur Gefähr-
tin meines Lebens beſtimmt? Die Hälfte meines Da-
ſeins wollte ich geben für ihren Beſitz. Doch jetzt iſt Al-
les zu ſpät, mir bleibt nichts übrig, als nach dem Ver-
geſſen dieſer Stunde in der Ferne zu ringen. ö
ö Marie ſuchte den Zerknirſchten zu erheben, ſie beſchwor
ihn, nicht unüberlegt zu handeln und ſich in das Unver-
meidliche zu fügen, ſie tröſtete ihn mit der Hoffnung, daß
noch Alles anders werden könne, und ſuchte in ihrer un-
endlichen Gutmüthigkeit ſelbſt ihre Anklage zweifelhaft zu
machen. ö

„Nun, ſo will ich noch hoffen,“ verſetzte Heinrich. „Mir

iſt's nicht um meinetwillen, nur um Deinetwillen, theures
Mädchen. Du biſt der Stern, der mir in der Nacht des
Grames leuchtet, der Hoffnung Genius, der mich führen
ſoll durch die Irrgänge des Lebens. Um Deinetwillen
werde ich Alles ertragen. Noch heute rede ich mit Hein⸗—
rich!“ Marie horchte auf. So glühend hatte ſie ihn noch
nie geſehen — jedes ſeiner Worte war eine Erinnerung
an die Briefe ihres Verlobten, ſo — ganz ſo hatte er aus
Heidelberg geſchrieben, wie Heinrich jetzt ſprach.
Unwillkührlich hatte ſie ſeine Hand ergriffen und an
ihre Bruſt gedrückt, ein Gefühl, für das ſie keinen Namen
wußte, erfüllte ihre Seele und ſie verſprach auch ihm, mit
ihrer Schweſter zu reden, und ſie zur Treue zu beſchwö-
ren, denn ihr Glück gelte ihr ja auch nichts, wenn ſie ihn
nicht glücklich ſehe.
Unter ſolchen Geſprächen, deren Inhalt immer inniger,
immer wärmer wurde, hatten ſie den Garten einige Mal
durchwandelt. Marie vermied es abſichtlich, in die Nähe
der Laube zu kommen, es that ihr ſo wohl, mit dem Manne,
der ein Muſter von Bildung und zarter Aufmerkſamkeit
war, ſo zwanglos reden zu können und beinahe hätte ſie
über dem herzlichen Geſpräche die Urſache ihres Schmer-
zes vergeſſen. Sie fühlte den gewaltigen Unterſchied zwi-
ſchen den beiden Freunden, und überzeugte ſich immer

mehr, daß herzloſe Schönheit der Häßlichkeit bei Geiſt und

Gefühl weichen müſſe, und daß ein ſchöner Mann, mit
Empfänglichkeit für alle Reize, wo er ſie findet, durchaus
nicht glücklich mache.
Der Abend war bereits angebrochen, ohne daß es die
Redſeligen gewahrten. Marie zitterte, mit ihrem Verlob-
ten heute noch zuſammen zu kommen — endlich entſchloß
ſie ſich, ihn für den Abend nicht mehr zu ſehen, denn er

hatte allzutief ihr Herz verwundet.

Deſto freudiger wurde ſie überraſcht, als ſie bei ihrer
Zurückkunft erfuhr, Heinrich ſei mit einigen ſeiner Freunde
nach dem Tivoli gefahren und werde nicht eher zurückkeh-
ren, als morgen Abend, zum Feſte der Verlobung.
„Zur Verlobung? ſchon morgen?“ fragte ſie und Thrä-
nen traten in ihr Auge. Die Stunde, nach der ſie ſich
einſt ſo ſehr geſehnt, erfüllte ſie jetzt mit Zagen. Sie
hätte dieſen entſcheidenden Moment noch auf ein Jahr hin-

ausgewünſcht, ſo ſehr hatte ſie dieſe Scene in der Laube

aus all' ihren Himmeln herabgeſtürzt.

In dem Hauſe der Frau v. Seebald herrſchte am an-
dern Tage das geſchäftigſte Treiben. Allenthalben wurde
geputzt und geſcheuert — in der Küche loderte das Feuer,
als ſollte eine Königstafel bereitet werden; wo man hin-
ſah, gab es Opfer der Kochkunſt unter den Händen rüh-
riger Köchinnen, über die Emilie die Aufſicht führte und
ſelbſt beſchäftigt war, die ausgeſuchteſten Leckerbiſſen zum
Verlobungsſchmaus zu bereiten.
Der wirkliche Heinrich hatte in dem geſtrigen Geſpräche
mit Marien im Garten Grund genug gefunden, das Feſt
zu beſchleunigen, und die Löſung aller bisherigen Span-
nungen herbeizuführen. Wenn er auch ſeine Ungeduld
gerne bezähmt hätte, ſo bemitleidete er doch Marien, die
unter dem einmal angefangenen Poſſenſpiele unbeſchreiblich
litt; deßhalb wünſchte er es zu beenden und auch die
Tante, was auch Karl und Emilie ihm vorſtellten, daß
ein ſolcher Scheitt doch immer noch zu gewagt ſei, daß
man auf eine vom Schmerze erpreßte Aeußerung Mariens
keine Schlöſſer bauen dürfte; er blieb unbeweglich und
ſollte er auch Gefahr laufen, Marien zu verlieren. „Sie
leidet zu ſehr bei dieſer Täuſchung, daß ihr die Enttäu-
ſchung nicht ſo ſchmerzlich fallen kann, auch wenn ſie da-
bei den künftigen Gatten verlieren ſollte,“ ſprach er und
ordnete in ſtiller Geſchäftigkeit das glanzvolle Feſt. Mit
Karl hatte er beſonders noch eine lange Unterredung ge-
habt, auf welche dieſer, ohne daß Marie es wußte, das
Haus verließ. ö
 
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