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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 53 - Nr. 61 (3. Juli - 31. Juli)
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Nr. 59.

Mittwoch, den 24. Juli 1872.

5. Jahrg.

Zeicheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 18 kr.

Einzelne Nummer à 2 kr.
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Man abonnirt in der Druckerei, Sch ffgaſſe 4

Johannes Guttenberg und Peter Schöffer.
Hiſtoriſche Novelle.
(Fortſetzung.)

Ihm war die Erde noch Etwas, ihm das Leben noch ein
Buch, in dem er zu leſen wünſchte, während Guttenberg mit
ſeinem Inhalte ſchon vertraut, es gleichſam auf immer zuge-
ſchlagen hatte. Schöffers Herz, deſſen Knospe noch nicht durch
den erwärmenden Strahl der Liebe getroffen und gelüftet
worden war, ſehnte ſich nach einem unbegriffenen Etwas, das
ihm zu ſeiner völligen Reife nothwendig zu ſein ſchien; er wußte
aber nicht, daß es die Liebe war, die ihm fehlte, die Liebe,
ohne die die holde Blume des Lebens unbefruchtet vom Baume
ſinkt, denn was ſie uns iſt, welche Zauber ſte in uns wirkt,
das wiſſen wir erſt, wenn wir ihre Macht erprobt haben.
Die Stunde, in der ſich Schöffer von ſeinem Freunde
trennen und wieder jener großen Weltſtadt zuwandern
ſollte, die er vor einem halben Jahre gern verlaſſen hatte,
war endlich da und der Abſchied fiel Beiden ſo ſchwer, daß
ſie übereinkamen, keinen von einander zu nehmen.
Schöffer war mit Allem fertig und hatte nur noch von
Johann Fuſten die letzten Befehle einzuholen, weßhalb er
zu dieſem ging. Er traf ihn nicht zu Hauſe, wohl aber

Chriſtine, die ehen mit ihrem Bruder Johann, den Schöf-

fer jetzt zuerſt ſah, in einem eifrigen, wenn gleich leiſe ge-
führten Geſpräche begriffen war, als er eintrat. Sie ſchien,
ſo kam es ihm wenigſtens vor, geweint zu haben, und
auch auf dem edlen, aber bleichen Geſichte des Bruders
war eine lebhafte Aufregung nicht zu verkennen,
„Ich komme, um Abſchied von Euch zu nehmen, Jung-
frau Chriſtine“, ſagte Schöffer beim Eintritte in das Ge-
mach und war entſchloſſen, ſich gleich wieder zu entfernen,
da er, nachdem was er an den beiden Geſchwiſtern be-
merkte, zu ſtören fürchten mußte.
„Ihr wollt verreiſen?“ fragte Chriſtine faſt erſchrocken,
denn ſie wußte von nichts. „Was ſoll dann aus meinem
Unterrichte werden, Herr Peter?“
„Wir werden ihn nach meiner Rückkehr fortſetzen“,
war ſeine Antwort. ö
„So kehrt Ihr bald hierher zurück 2“ *
„Das ſteht noch dahin, Jungfrau Chriſtine; ich gehe
wieder nach Paris, von wannen ich kam.“
Sie antwortete nichts hierauf, ſondern ſah ihn trau-

rig an; dann wendete ſie ſich mit einem Seufzer von ihm

ab, vielleicht um eine Thräne vor ihm zu verbergen, die
ihrem Auge entſtrömte. Er ging jetzt, ſie ſah ihm lange

nach und ſetzte ſich dann wieder zu ihrem Bruder, der,
wie es ſchien, in Gedanken verloren, auf das nicht Acht
gegeben hatte, was um ihn her vorging.
„Mein Bruder“, ſagte Chriſtine nach einer Pauſe mit
mehr Ernſt und Feierlichkeit, als ihr ſonſt eigenthümlich
war, „mein theurer Johann, bedenke, daß Du den Schritt
nicht wieder zurückthun kannſt, denn Du jetzt zu thun ge-
willt biſt; denke auch an die Bitten und Thränen unſerer
guten Mutter, an die Angſt, die ſie darüber empfindet,

Dich einen Stand wählen zu ſehen, für den Du, wie ſie

ſie wähnt, keinen innern Beruf haſt: hat ſie doch keinen
andern Sohn als Dich, habe ich doch keinen andern Bruder!“
Sie umfing ihn bei dieſen Worten liebevoll mit bei-
den Armen und weinte an ſeiner Bruſt.
„Mein Entſchluß iſt unwiderruflich gefaßt“, verſetzte
der angehende Prieſter mit feſter Stimme. „Rechtet nicht
mit mir darüber, ſondern haͤdert mit dem, der mich durch
ſeine Härte zur Verzweiflung getrieben hat. Er iſt uner-
bittlich — ſein Fluch trennt mich auf immer von dem
Gegenſtande meiner Liebe; wohin ſoll ich jetzt flüchten, als
in die Arme der Religion? Oder ſoll ich, Dyna, ſoll ich
Vaterfluch auf mein Haupt und das Weſen laden, das ich
ſo über Alles liebe?“ ö
„O, ich will unſern Vater auf meinen Knieen bitten,
will ihn anflehen, daß er die Vereinigung mit Deiner ge-
liebten Anne geſtatte“, ſagte Dyna unter Thränen; „Du
weißt, er hält viel auf mich, er erfüllt gern meine Wünſche,
wenn er es nur vermag.“ ö
„Dieſen wird er nicht erfüllen, halte Dich davon
verſichert,“ ſagte Johann mit einiger Bitterkeit: „Anne iſt
arm, ihr Vater ein ſchlichter Bürgersmann ohne Amt und
Anſehen, ſo wird er mich lieber im Grabe ſehen, als ſie
in meinen Armen wiſſen. Glaube mir, ich habe bereits
Alles aufgeboten, ſein Herz zu rühren, Bitten, Thränen,
Ausbrüche der Verzweiflung, doch vergebens; vergebens
waren auch die Vorſtellungen meines braven Oheims, der
anders denkt als unſer Vater; vergebens die Thränen un-

ſerer Mutter.“

Er verhüllte bei dieſen Worten das bleiche Antlitz mit
ſeinem Tuche, um den Strom von Thränen nicht zu zei-
gen, der ſeinen Augen entquoll. In dieſem Augenblicke
öffnete ſich die Thür und Herr Johann Fuſt, der Vater,
trat zu ihnen ein. Er warf, ſo wie er ſeinen Sohn er-
blickte, einen finſtern Blick auf ihn und ſagte dann in ei-
nem ſchneidend harten Tone: „Thränen im Auge eines
Mannes ? —
A„Ihr ſollt ſie nicht wieder erblicken, Vater“, ſagte der
Sohn, erhob ſich und ſchwankte zum Gemache hinaus.
 
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