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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 35 - Nr. 43 (1. Mai - 29. Mai)
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Nr. 40.

Samſtag, den 18. Mai 1872.

5. Jahrg

Eeucheint Mittwoöoch und Samſtag. Preis monatlich 12 kr.

und bei den Trägern.

Einzelne Nummer à 2 kr.
Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. —

Man abonnirt in der Druckerei, Schn arſſel

Der Tod um einen Fehltritt.
Von E. S.
(Fortſetzung.)

Bei Gelegenheit dieſer Beſuche, welche ich ihr damals
abſtattete, konnte ich erſt recht die Engelsgüte dieſer Frau
würdigen, welche alle die eiferſüchtigen Grillen eines Man-
nes ohne Liebe und deſſen abgeſtumpftes und verdorbenes
Herz unter einer abgelebten Hülle ſchlug, ohne Murren er-
trug. Nie kam eine Klage über ihre Lippen, aber ihr Be-
dauern der Vergangenheit bewies, wie peinlich ihr die
Gegenwart ſchien. Sie weinte jedesmal, wenn ſie von

dem Kloſter ſprach, wo ſie erzogen worden war und wel-

ches ſie nur verlaſſen hatte, um Herrn v. Adhemar zu heira-
then. Er hatte ihr nicht einmal erlaubt, mit ihren Jugend-
freundinnen einen Briefwechſel zu unterhalten, wenn er nicht
vorher die Briefe geleſen hatte. Kurz, mein Herr,, nie iſt
eine Tyrannei weiter getrieben worden, und wenn ich in
alle die kleinen Einzelheiten von dem verdrießlichen Leben
der Frau v. Adhemar eingehen wollte, würde ich nie fertig
werden.
Vier Jahre ſchon dauerte dieſe unglückliche Verbin-
ung, und die Zeit hatte dem geheimen Kummer der Prä-
ſidentin keine Linderung gebracht; ihre hohe Tugend, ihre
Sanfmuth und unerſchütterliche Geduld hatten vor ihrem
Gatten keine Gnade gefunden: es hatte im Gegentheil den
Auſchein, als ob Gewiſſensbiſſe, die auch der ſchlechteſte
Menſch fühlt, ſeinen bösartigen Charakter nur noch mehr
reizten. In dieſer Zeit und gerade während ſo einer Ab-
weſenheit des Präſidenten geſchah es, daß der junge Vi-
comte Julius v. Adhemar auf Lacaur anlangte; er war
der Sohn eines der Brüder des Präſidenten, eine Waiſe,
ohne Vermögen und in königlichen Dienſten. Eine unſe-
lige Affaire mit ſeinem Obriſt, den er gefordert, hatte ihn
genöthigt, ſein Regiment zu verlaſſen; er kam, um bei
ſeinem Onkel Hülfe und Schutz zu ſuchen.
Seine Ankunft ſetzte Frau v. Adhemar in eine gren-
zenloſe Verlegenheit, ſie konnte nicht den Verwandten ih-
res Gatten abweiſen, ohne befürchten zu müſſen, ſich Ta-
del zuzuziehen oder ſeinen argwöhniſchen Charakter zu ent-
ſchleiern; einen jungen, ſchönen Mann bei ſich behalten,
hieß ſich der ganzen Wuth des Präſidenten Preis geben.
In dieſer grauſamen Alternative faßte ſie den Entſchluß,
ſich unter dem Vorwande von Krankheit gänzlich auf ihr
Zimmer einzuſchließen und ſchrieb an Herrn v. Adhemar,
daß er auf der Stelle zurückkehren möchte. ö ö

Sei es nun, daß der Brief verloren gegangen, oder
daß dem irgend eine andere Urſache zu Grunde lag, kurz,‚
der Herr Präſident antwortete nicht. Nach dreiwöchentli-
chem Harren nahm ſeine Gattin ſein Stillſchweigen für
eine Billigung deſſen, was ſie gethan und glaubte, aus
ihrer einſamen Zurückgezogenheit hervortreten zu können.
Frau v. Adhemar hatte zu dem Vorwande einer Krank-⸗
heit ihre Zuflucht genommen, um mich auf dem Schloſſe
zu behalten. Ich war in dieſer Zeit faſt der Freund des
jungen Vicomte geworden. Ach, mein Herr, welch' ern

Herz, was für ein Kopf! ein wenig lebhaft, aber Geiſt

und edle Eigenſchaften, dann ſo ſchön, ein lebhafter ſchwarz-
brauner Teint, wie meine Landsleute, feurige und kühne
Augen, dabei trug er ſeinen Kopf mit edlem Stolze und
hatte eine herrliche, majeſtätiſche Geſtalt.
Auf den langen Spaziergängen, die wir zuſammen-
machten, drehte ſich unſere Unterhaltung faſt ſtets um die
Präſidentin, die er nur auf einen Augenblick geſehen hatte;
aber ſie war in ſeiner Einbildungskraft wie eine phanta-
ſtiſche Erſcheinung zurückgeblieben und ich ſchürte, ohne es
zu ahnen, durch meine Reden die romantiſche Leidenſchaft,
die er für ſie faßte. Auch kann ich Ihnen nie das Glück
ſchildern, welches ſich auf ſeinem Antlitze malte, als wir
eines Morgens, da wir gerade beim Dejeuner ſaßen, Ma-
dame Adͤhemar, gekleidet, wie Sie ſie da ſehen, unter Er-
röthen über ihren kühnen Schritt, wie ſie es nannte, zu
uns eintreten ſahen ... Wie ſchön waren Beide, mein
Herr, und warum ließ ſie Gott ſich erſt ſo ſpät finden?
Da die Präſidentin wieder hergeſtellt war, verſchwanden
alle plauſibeln Gründe für meinen Aufenthalt im Schloſſe
und ich kehrte nach Hauſe zurück, indem ich mich auf meine
gewöhnlichen Beſuche beſchränkte.
Ich weiß nicht, was während meiner Abweſenheit vor-
ging, mein Herr, ich erinnere mich bloß, daß ich ſie eines
Tages von meinem Fenſter aus in einer Allee des Parkes
nebeneinander ſitzen ſah, indem ſie eine Roſe entblätterten
und abwechſelnd die gefallenen Blätter an ihre Lippen führ-
ten. Eines Abends, wir waren alle drei im großen Sa-
lon, der auf den Garten geht, es war zehn Uhr und die
Nacht drohte ſtärmiſch zu werden, da bat mich Frau von
Adhemar mit ihrer ſanften und doch zitternden Stimme,
noch da zu bleiben. „Sehen Sie, Doctor,“ ſprach ſie,
„wie ſchwarz der Himmel ſieht und wie die Blitze kaum
durch die Wolken zu dringen vermögen; wir werden Ge-
witter bekommen, und lachen Sie nicht, aber ich fürchte
mich davor, bleiben Sie, um mich zu beruhigen ... Ich

weiß nicht warum, aber mir ahnet ein Ungkück!ꝰ ..

„Sollte Gott nie ablaſſen, Sie zu verfolgen,“ mur-
 
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