ernſt dieſe Herren an der Steinwand ſich ausnehmen, ſo
ſcheinen ſie jedenfalls verſtändiger als manche ihres Glei-
chen geweſen, denn ſie vereinten in ihrem Wohnſitze Stadt-
und Landleben und ſparten ſicherlich damit die immenſen
Reiſekoſten, die bei unſern jetzigen Herrſchaften gar oft
Schloß und Land bis zur heilloſen Schwindſucht abſchwä-
chen. Rechts vom Schloſſe trittſt Du in die reinlichen,
gepflaſterten und ſogar ſauber erleuchteten Straßen eines
Städtchens und kannſt mie ehrſamen Bürgern in's Wein-
haus gehen; wendeſt Du Dich hingegen links, ſo findeſt
Du Dich nach wenigen Schritten mitten unter den Hüt-
ten und zwiſchen den Ställen eines anſehnlichen Dorfes.
So ſteht Dir an einem Tage Stadtleben und Landleben
offen, wie Deine Laune befiehlt; Du haſt die Wahl, im
Saatfelde ciner nacktfüßigen Chloe, oder auf dem Markte
einer enggeſchnürten Chriſtiane den Hof zu machen, haſt
die Wahl zwiſchem dem Konzert der brüllenden Rinder
oder der kreiſchenden Stadtpfetfer; doch bleibt Dir über-
dies noch ein Drittes, ein köſtlicher Laubwald nicht gar
weit hinter dem Schloſſe, aus dem ein helles Flüßchen
ſich hervorwindet, einem Silberbande gleich, das am licht-
grünen Atlaskleide zum Knie einer Tänzerin ſich hernieder
ſchlängelt, ein Paradies für Philoſophen, Liebesſieche und
angehende Selbſtmörder, und voll der köſtlichſten Nachti-
gallen, deren melodiſche Zeit Du freilch leider in Deinem
triften Gemach haſt verſchlafen müſſen.“
„Du biſt unausſtehlich, Freund, und faſt ſo langwei-
lig in Deiner geographiſchen Breite wie unſerer neueſten
Romantiker. Sprich mir von den Menſchen darin; Stadt,
Dorf und Wald werden wir uns ſchon ſelbſt beſehen.“
„Erſt das Theater, dann die Acteurs,“ antwortete
lu. ohne ſich in der Manier ſeiner Predigt ſtören zu
laſſen.
„Nun, der Herr?“ fragte Offeny unwillig.
„Caret!“ verſetzte Conradin. „Der Gewaltige ſchläft
ſeit zwei Jahren unſer dem Eſtrich der Schloßkapelle.
Eine weibliche Erlaucht regiert und ſie verſteht wahrlich
das Regiment ſo gut zu führen, wie man andererſeits ſich
zum Gehorſam gegen dieſe majeſtätiſche Florentina ſich ge-
zwungen ſieht.“
„Eine Wittwe?“ rief der Obriſt ſtutzend, und lebhaft
ſetzte er hinzu: „doch nicht die Dame im dunkeln Kleide
am Brunnen, deren Geſtalt mir noch wie im Zwielichte
vorſchwebt und die ich nicht eben galant behandelt zu ha-
ben mich beſinne?“
„Es läßt ſich nicht läugnen, daß Deine dermalige Waſ-
ſerſpringerwuth Dich den Codex der galanten Ritterlichkeit
in etwas vergeſſen ließ, doch mir konnte der Verſtoß nicht
außerordentlich dünken, da man von Dir gewohnt war,
Dich an Deinen Forellenſchimmel und Deinen Neufund-
länder feinere Zärtlichkeiten verſchwenden zu ſehen, als an
irgend einer geprieſenen Ballkönigin; und Gräfin Floren-
tine muß auch davon keinen Dorn in ihrer ſchönen Bruſt
behalten haben, denn ſie redet von Dir wie ein Römer
von ſeinem Markus Curtius, ein Schweizer von Win-
kelried und ein Schotte von ſeinem Wallace.“
„Sie iſt hoch und edel geformt, nicht wahr?“ fiel der
Obriſt ein, das dunkle Auge ſtarr auf die ſeidenen Bett-
decken geheftet. „Ihr Geſicht hat den reinen, harmoniſchen
Schnitt der griechiſchen Antike; ihre Haut iſt fein, weiß,
klar, von zarter Röthe durchſchimmert; ihr Auge iſt groß,
blau wie der reine Himmel, und über der freien Stirn
liegt ein reiches Haar, glänzend und blond wie leichtes
Sommergewölk am Schneeberg; voll wölbt ſich die Bruſt
in friſcher Ueppigkeit, die Taille ſpottet dem modiſchen
Zwang, doch paßt ſie zu dem herriſchen Wuchſe; dazu
klingt ihre Stimme wie Muſik, und der ſchmale Mund
mit den blendenden Zahnreihen läßt den Schmelz der Töne
voraus vermuthen, der dahinter wohnt.“
Der Hauptmann ſah einen Augenblick mit dem Aus-—
drucke der Verwundernng auf den Freund. „Du maleſt
wie ein Guido und beſchreibſt wie ein Wieland,“ ſagte
er. „Am Brunnen waren Deine ſcharfen Augen doch nur
mit dem ſchmutzigen Geſindel beſchäftigt und ſpäter lageſt
Du in Todesnacht gehüllt in meinem Arme, und ſaheſt
die Thräne nicht, die von dem ſchönen Auge auf die bleiche
Wange des Weiberverächters vergendet wurde.“
„Die ich beſchrieben, ſah ich hier, hier in meinen Träu-
men, antwortete der Obriſt, noch immer in ſeinem Sinnen
verſunken. „Oft, gar oft ſah ich ſie, dort am Fenſter,
dort in der Thür, hier, wo Du ſitzeſt. Ich fühlte ihre
Hand an meiner Stirn au meinen gelähmten Fingern. Für
Fiebertraum hab' ich's gehalten und —“
„Es iſt Wirklichkeit geweſen!“ rief lebhaft der Haupt-
mann. „Und ſo iſt das Gerücht Wahrheit, das in der
Schloßgeſellſchaft umherſpazierte, die hohe, kalte, gemeſſene
Herrin habe oft und in heimlichſter Nachtſtunde, nur un-
ter Wiſſenſchaft ihrer Vertrauten, den fremden Wagehals
beſucht und ihre junoniſche Stellung ſo weit vergeſſen, daß
ſie mit höchſt eigenen Augen ſich um die Pflege ihres Ga-
ſtes bemüht.“
„Schloßgeſellſchaft?“ fragte Offeny, den Plapperer
ſcharf anſchauend, und von den Worten auffallend unan-
genehm berührt.
Wie natürlich, zahlreiche und mannichfaltige,“ verſetzte
Grath aufgeregt. „Wir logiren bei keiner Wittwe von
Epheſus, eher möchtr die göttliche Penelopcia, von hundert
Freiern umdrängt, unſerer Gräfin ähneln. Da iſt zuerſt
ein Töchterlein, Comteſſe Victorie, ſechzehnjährig, ſchön wie
die Mutter, doch braunlockicht, wild wie Bergwaſſer, eine
junge Amazone, eine Zwitter-Erſcheinung von Grazie und
Eumenide, die man lieben und ſcheuen muß, ſo wie man
in ihren Circeiſchen Zauberkreis gerathen. dann eine Mar-
quiſe, Blanda getauft, eine Baſe vom Hauſe, italieniſchen
Urſprungs, Mitternacht in dem Auge und Veſuviſche
Feuerſäulen in der Mitternacht; der Gemahl ſoll aus
Furcht ſich von der brennbaren Gattin geſchieden und Ab-
kühlung im Petersburger Winterpalais geſucht haben. Wei-
ter findeſt Du den Grafen Auguſtin, den unbedeutenden
Nebenzweig eines unbedeutenden Hofes; in Paris erzogen,
focht er gegen ſein Vaterland, ſcheint dennoch die deutſche
Frauenliebe den überrheiniſchen Irrlichtern vorzuziehen,
obgleich man nicht recht dahinter kommt, wem, der Mut-
ter oder der Tochter, ſeine Flamme gilt, und außer dieſen
ein volles Dutzend edler Nachbarn und Nachbarinnen, von
mancherlei Geſtaltung, doch ſämmtlich zu indifferent, um
ſie ſchnell ſikizziren zu könner, farbloſe Blaſen auf flachem
ſcheinen ſie jedenfalls verſtändiger als manche ihres Glei-
chen geweſen, denn ſie vereinten in ihrem Wohnſitze Stadt-
und Landleben und ſparten ſicherlich damit die immenſen
Reiſekoſten, die bei unſern jetzigen Herrſchaften gar oft
Schloß und Land bis zur heilloſen Schwindſucht abſchwä-
chen. Rechts vom Schloſſe trittſt Du in die reinlichen,
gepflaſterten und ſogar ſauber erleuchteten Straßen eines
Städtchens und kannſt mie ehrſamen Bürgern in's Wein-
haus gehen; wendeſt Du Dich hingegen links, ſo findeſt
Du Dich nach wenigen Schritten mitten unter den Hüt-
ten und zwiſchen den Ställen eines anſehnlichen Dorfes.
So ſteht Dir an einem Tage Stadtleben und Landleben
offen, wie Deine Laune befiehlt; Du haſt die Wahl, im
Saatfelde ciner nacktfüßigen Chloe, oder auf dem Markte
einer enggeſchnürten Chriſtiane den Hof zu machen, haſt
die Wahl zwiſchem dem Konzert der brüllenden Rinder
oder der kreiſchenden Stadtpfetfer; doch bleibt Dir über-
dies noch ein Drittes, ein köſtlicher Laubwald nicht gar
weit hinter dem Schloſſe, aus dem ein helles Flüßchen
ſich hervorwindet, einem Silberbande gleich, das am licht-
grünen Atlaskleide zum Knie einer Tänzerin ſich hernieder
ſchlängelt, ein Paradies für Philoſophen, Liebesſieche und
angehende Selbſtmörder, und voll der köſtlichſten Nachti-
gallen, deren melodiſche Zeit Du freilch leider in Deinem
triften Gemach haſt verſchlafen müſſen.“
„Du biſt unausſtehlich, Freund, und faſt ſo langwei-
lig in Deiner geographiſchen Breite wie unſerer neueſten
Romantiker. Sprich mir von den Menſchen darin; Stadt,
Dorf und Wald werden wir uns ſchon ſelbſt beſehen.“
„Erſt das Theater, dann die Acteurs,“ antwortete
lu. ohne ſich in der Manier ſeiner Predigt ſtören zu
laſſen.
„Nun, der Herr?“ fragte Offeny unwillig.
„Caret!“ verſetzte Conradin. „Der Gewaltige ſchläft
ſeit zwei Jahren unſer dem Eſtrich der Schloßkapelle.
Eine weibliche Erlaucht regiert und ſie verſteht wahrlich
das Regiment ſo gut zu führen, wie man andererſeits ſich
zum Gehorſam gegen dieſe majeſtätiſche Florentina ſich ge-
zwungen ſieht.“
„Eine Wittwe?“ rief der Obriſt ſtutzend, und lebhaft
ſetzte er hinzu: „doch nicht die Dame im dunkeln Kleide
am Brunnen, deren Geſtalt mir noch wie im Zwielichte
vorſchwebt und die ich nicht eben galant behandelt zu ha-
ben mich beſinne?“
„Es läßt ſich nicht läugnen, daß Deine dermalige Waſ-
ſerſpringerwuth Dich den Codex der galanten Ritterlichkeit
in etwas vergeſſen ließ, doch mir konnte der Verſtoß nicht
außerordentlich dünken, da man von Dir gewohnt war,
Dich an Deinen Forellenſchimmel und Deinen Neufund-
länder feinere Zärtlichkeiten verſchwenden zu ſehen, als an
irgend einer geprieſenen Ballkönigin; und Gräfin Floren-
tine muß auch davon keinen Dorn in ihrer ſchönen Bruſt
behalten haben, denn ſie redet von Dir wie ein Römer
von ſeinem Markus Curtius, ein Schweizer von Win-
kelried und ein Schotte von ſeinem Wallace.“
„Sie iſt hoch und edel geformt, nicht wahr?“ fiel der
Obriſt ein, das dunkle Auge ſtarr auf die ſeidenen Bett-
decken geheftet. „Ihr Geſicht hat den reinen, harmoniſchen
Schnitt der griechiſchen Antike; ihre Haut iſt fein, weiß,
klar, von zarter Röthe durchſchimmert; ihr Auge iſt groß,
blau wie der reine Himmel, und über der freien Stirn
liegt ein reiches Haar, glänzend und blond wie leichtes
Sommergewölk am Schneeberg; voll wölbt ſich die Bruſt
in friſcher Ueppigkeit, die Taille ſpottet dem modiſchen
Zwang, doch paßt ſie zu dem herriſchen Wuchſe; dazu
klingt ihre Stimme wie Muſik, und der ſchmale Mund
mit den blendenden Zahnreihen läßt den Schmelz der Töne
voraus vermuthen, der dahinter wohnt.“
Der Hauptmann ſah einen Augenblick mit dem Aus-—
drucke der Verwundernng auf den Freund. „Du maleſt
wie ein Guido und beſchreibſt wie ein Wieland,“ ſagte
er. „Am Brunnen waren Deine ſcharfen Augen doch nur
mit dem ſchmutzigen Geſindel beſchäftigt und ſpäter lageſt
Du in Todesnacht gehüllt in meinem Arme, und ſaheſt
die Thräne nicht, die von dem ſchönen Auge auf die bleiche
Wange des Weiberverächters vergendet wurde.“
„Die ich beſchrieben, ſah ich hier, hier in meinen Träu-
men, antwortete der Obriſt, noch immer in ſeinem Sinnen
verſunken. „Oft, gar oft ſah ich ſie, dort am Fenſter,
dort in der Thür, hier, wo Du ſitzeſt. Ich fühlte ihre
Hand an meiner Stirn au meinen gelähmten Fingern. Für
Fiebertraum hab' ich's gehalten und —“
„Es iſt Wirklichkeit geweſen!“ rief lebhaft der Haupt-
mann. „Und ſo iſt das Gerücht Wahrheit, das in der
Schloßgeſellſchaft umherſpazierte, die hohe, kalte, gemeſſene
Herrin habe oft und in heimlichſter Nachtſtunde, nur un-
ter Wiſſenſchaft ihrer Vertrauten, den fremden Wagehals
beſucht und ihre junoniſche Stellung ſo weit vergeſſen, daß
ſie mit höchſt eigenen Augen ſich um die Pflege ihres Ga-
ſtes bemüht.“
„Schloßgeſellſchaft?“ fragte Offeny, den Plapperer
ſcharf anſchauend, und von den Worten auffallend unan-
genehm berührt.
Wie natürlich, zahlreiche und mannichfaltige,“ verſetzte
Grath aufgeregt. „Wir logiren bei keiner Wittwe von
Epheſus, eher möchtr die göttliche Penelopcia, von hundert
Freiern umdrängt, unſerer Gräfin ähneln. Da iſt zuerſt
ein Töchterlein, Comteſſe Victorie, ſechzehnjährig, ſchön wie
die Mutter, doch braunlockicht, wild wie Bergwaſſer, eine
junge Amazone, eine Zwitter-Erſcheinung von Grazie und
Eumenide, die man lieben und ſcheuen muß, ſo wie man
in ihren Circeiſchen Zauberkreis gerathen. dann eine Mar-
quiſe, Blanda getauft, eine Baſe vom Hauſe, italieniſchen
Urſprungs, Mitternacht in dem Auge und Veſuviſche
Feuerſäulen in der Mitternacht; der Gemahl ſoll aus
Furcht ſich von der brennbaren Gattin geſchieden und Ab-
kühlung im Petersburger Winterpalais geſucht haben. Wei-
ter findeſt Du den Grafen Auguſtin, den unbedeutenden
Nebenzweig eines unbedeutenden Hofes; in Paris erzogen,
focht er gegen ſein Vaterland, ſcheint dennoch die deutſche
Frauenliebe den überrheiniſchen Irrlichtern vorzuziehen,
obgleich man nicht recht dahinter kommt, wem, der Mut-
ter oder der Tochter, ſeine Flamme gilt, und außer dieſen
ein volles Dutzend edler Nachbarn und Nachbarinnen, von
mancherlei Geſtaltung, doch ſämmtlich zu indifferent, um
ſie ſchnell ſikizziren zu könner, farbloſe Blaſen auf flachem