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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 18 - Nr. 26 (2. März - 30. März)
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„Ganz und gar nicht, Herr Onkel!“ entgegnete Eu-
genie, indem ſie einen kleinen, ſpöttiſchen Zug um den
Mund nicht ganz bemeiſtern konnte. „Alſo durchlauchtigſte,
großmächtigſte Prinzeſſin,“ wendete ſie ſich unter einem tie-
fen Knixe zu Natalie, „ich wage —“
Hier brach die Fürſtentochter in Thränen aus. „Eu-
genit!“ rief ſie mit überſtrömenden Augen, „das kam nicht
aus Deinem Herzen! Willſt Du, daß der heutige Tag,
den Millionen unſerer deutſchen Landsleute als den feſt-
lichſten feiern, mir zum Trauertage werden, an dem ich
die liebſte Freundin verlor? Ach, was bleibt uns armen
Fürſtenkindern außer der Freundſchaft noch übrig? Er-
halte mir dir Deinige, damit ich doch wenigſtens eines
Glückes mich erfreue. Laß uns bleiben, was wir waren,
oder lieber gar Schweſtern werden.“
Eugenie küßte dem lieblichen Kinde die blitzenden Per-
len aus den blauen Augen, und ſprach dann, zu ihrem
Onkel gewendet: „Hören Sie wohl, Onkel! was der Prin⸗—
zeſſin Wille iſt? Ihre ſteife, förmliche Diplomatie ſchei-
tert völlig an uns weichen Jungfrauen. Frei ſage ich's
heraus, daß ich Natalie, oder wie ſie nun heißen ſoll —
Helene — gehaßt haben würde, hätte ſie meine nur er-
heuchelte Huldigung angenommen. Was kümmert mich
die Fürſtenkrone? Daß ſchon eine gräfliche drücken könne,
hab' ich gar ſehr gefühlt, als mein Loſſum noch Adolph
Flaſch war. Onkel! ha! ha! nun muß ich Ihnen einen
argen Verdacht abbitten, den ich auf ſie geworfen hatte.
Als Sie über Kork's Bewerbung um die vermeinte Kauf-
mannstochter ſo außer ſich geriethen, glaubte ich wirklich,

Sie ſelbſt hätten zärtliche Abſichten auf Ihre Mündel. Ei,

jetzt erſt weiß ich Ihre Aeußerung, daß zehn ſolche Grä-
finnen wie ich noch nicht die bürgerliche Jungfrau Nata-
lie aufwägen, richtig auszulegen.“
„Iſt es wohl einem durch ſich ſelbſt ranzionirten Ge-
fangenen vergönnt, ſo früh ſchon ſeine Aufwartung ma-
chen zu dürfen?“ tönte jetzt eine ſehr befremdete Stimme
durch die geöffnete Thüre.

„Mein Loſſum!“ jauchzte Eugenie und hing an ſeinem

Munde. Dann führte ſie ihren Verlobten zu der Prin-—
zeſſin, ihn mit deren Würde bekannt machend. Während
der höchlichſt überraſchte Graf der Fürſtentochter ſeine Hul-
digung darbrachte, liſpelte die überglückliche Braut derſel-
ben zu: „Ich tauſche doch nicht mit Dir! Der arme
Kork! — Verzeih', Du Gute!“ fuhr ſie beſchämt fort, als
ſie bemerkte, wie ihre Rede Helenens Engelsantlitz getrübt
hatte, „nie will ich wieder ſo unartig ſein.“ ö
Verſöhnt umarmte ſich das Schweſterpaar.

Der Privatſecretär. —
Der Congreß zu Wien im Jahre 1814 hatte alle Für-
ſten Europa's in dieſer Hauptſtadt vereinigt. Auch He-
lenens Vater, der in ſeine Länder wieder eingeſetzte Her-
zog von * *, befand ſich mit ſeiner Familie daſelbſt. Eu-
genie, jetzt Gräfin Loſſum, war faſt täglich die Geſell-
ſchafterin ihrer ehemaligen Couſine, welche als Prinzeſſin
das Freundſchaftsband zwiſchen Beiden nur noch feſter ge-
knüpft hatte. Eines Tages lenkte Eugenie das Geſprach
auf die frühern Ereigniſſe in ihres Onkels Hauſe. „Mein
Adolph“ — hob ſie an — „hat mir heute die Nachricht

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mitgetheilt, was aus zwei Hauptperſonen unſeres Drama's

zeworden iſt. — Ich meine“ — fuhr ſie lächelnd fort,
als ein höherer Schimmer Helenens Wangen überzog —
„den General Brieux und den ſchändlichen Chaſſeloup.
Erſterer hat in einer Schlacht einen ruhmvollen, Letzterer
als Spion einen ſchimpflichen Tod gefunden. Somit wäre
denn bis auf Einen, denn ich nicht nennen mag, das Stück
zu Ende. Aber gerade dieſer Eine hat meinem Adolph
ſchon manche Sorge gemacht. Alle Nachforſchungen, was
nach ſeiner Flucht aus dem Gefängniſſe ihn betroffen ha-
ben möge, ſind bis jetzt erfolglos geblieben. Mich ſelbſt“ —
„Ew. Hoheit,“ meldete der eintretende Kammerdiener,
„ein Herr Kork bittet unterthänigſt um die Ehre, Ew.
Hoheit ſeine kurze Aufwartung machen zu dürfen.“
Die Worte des Dieners verſetzten Helene in die äu-
ßerſte Beſtürzung. Selbſt Eugenie war ſehr überraſcht.
„Ach liebe, liebe Eugenie,“ ſprach die erblaßte Für-
ſtentochter, „rathe mir doch, was ich thun ſoll2“
„Die Beantwortung dieſer Frage,“ entgegnete Euge-
nie, indem ſie auch hier ihren Muthwillen nicht ganz zu
unterdrücken vermochte, „würde ſelbſt einem wirklichen Ge-
heimerathe mit Sitz und Stimme zu ſchaffen machen, wie
viel mehr einer ſchwachen Frau. Laß Dein Herz Dir ra-
then — iſt mein Rath.“ ö ö
„Nein, nein,“ erwiederte Helene nicht ohne ſchmerzli-
chen Ausdruck, „das darf ich nicht — die Fürſtentochter
ſoll ja kein Herz haben.“
„Der Aermſte!“ bedauerte Eugenie. Willſt Du ihn
wirklich ſchnode abweiſen laͤſſen? Schon um meines Gat-
ten willen wünſcht' ich ihn zu ſprechen.“
„Er ſoll kommen!“ befahl Helene dem Diener, wel-
cher ſich während der leiſe geführten Berathung der Da-
men in eine beſcheidene Entfernung zurückgezogen hatte.
Er ging. Die Prinzeſſin aber wendete ſich von ihrer
Freundin ab und in ſtummer Angſt die kleinen Hände zu-
ſammenpreſſend, ſchien ſie in einem zum Himmel gerichte-
ten Blicke um Kraft von oben zu der bevorſtehenden Scene
zu flehen. Ihre Farbe verwandelte ſich faſt in die des
weißen Atlaskleides, welches ihre ſchönen Glieder um-
ſchloß, als die Thüre ſich wiederum öffnete und Kork un-
ter einer ſtummen Verbeugung hereintrat. Er war männ-
licher und dadurch nur noch ſchöner geworden. Seine
Kleidung war nicht reich, aber geſchmackvoll gewählt. Den
antik gezeichneten Kopf umringelte das glänzend ſchwarze
Haar und die dunkeln Augen blitzten mit ungetrübtem
Feuer aus ihrer reinen weißen Umgebung hervor. Die
natürliche Röthe und Fülle des Geſichts verrieth weder
Noth noch Gram, obſchon ſeine Züge einen ernſilichen An-
ſtrich gefaßt hielten. So ſchritt Kork, mit Anſtand und
Würde, den überraſchten Damen näher.
Eugenie, welche das vergebliche Ringen ihrer Freun-
din nach Faſſung gewahrte, ließ den gefährlichen Beſuch
gar nicht erſt zu Worte kommen, ſondern empfing denſel-
ben mit dem freudig erſtaunten Zurufe: „Wie? Herr
Kork! iſt es wohl zu entſchuldigen, wenn Sie Ihre alten
Freunde, zu welchen ich mich mit Recht zählen darf, ſo
ganz vernachläſſigen? Sie dürften deßhalb einen harten
Strauß mit meinem Adolph zu beſtehen haben. Können
Sie ſich rechtfertigen, daß Sie uns bisher in völliger Un-
 
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