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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 18 - Nr. 26 (2. März - 30. März)
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V

Der Schwan hing, auf Chaſſeloups Veranſtaltung, jetzt
oben. Die Taue, welche von der Näſſe zuſammengezogen
waren und keine auffällige Spur von dem Durchſchnitte

blicken ließen, harten das leere, unbeſchwerte Behältniß

noch recht gut ertragen. ö
„Ehe die Herren“ — hob Chaſſeloup mit einem ſte-
chenden Baſiliskenblick an — „wahrſcheinlich auf immer
Abſchied von ihrer theuren Flugmaſchine nehmen, könnten
wir ihnen deren Gebrauch ſchon noch einmal erlauben.
Da bereits durch die Wache an der Hausthür geſorgt iſt,
daß ſie uns nicht entſpringen können, ſo waltet dagegen
auch kein polizeiliches Bedenken ob. Steigen Sie daher
nur immer ein!“
Und wenn wirklich Loſſum und Kork hiezu die größte
Luſt verſpürt hätten, ſo würden ſie gewiß durch des Ver-
räthers Worté davon abgebracht worden ſein. Wortlos
ſtiegen ſie daher die Stufen hinab; dem Elenden konnte
man aber den Ingrimm über den verunglückten Höllenplan
leicht an den Geſichtszügen abſehen. Als die Gefangenen
vor des Geheimeraths Wohnung anlangten, zog Loſſum
die Klingel ſtark an.
„Was machen Sie da?“ fuhr ihn Chaſſeloup hef-
an.
„Ich klingle, wie Sie ſehen!“ antwortete Loſſum ziem-
„Ich verbiete Ihnen, irgend eine Bewegung mit den
Händen auszuführen, wollen Sie nicht gefeſſelt ſein!“ drohte
der Capitän.
„So werd' ich ſie denn mit den Füßen ausführen,“
entgegnete Adolph höhniſch, indem er gegen die Thüre
ſtampfte. ö
Zu neuen Verboten öffnete Chaſſeloup bereits den
Mund, als Babet erſchrocken in die geöffnete Thür trat.
„Sage Deinem Herrn,“ rief ihr Loſſum zu, „daß wir
auf Anſtiften dieſes Menſchen“ — er deutete auf den Ca-
pitän — „als Gefangene abgeführt würden.“

tig

„Kein Wort mehr!“ ſchalt Chaſſeloup, indem er dro-

hend die Fauſt erhob.
„Nichtswürdiger!“ donnerte ihn Loſſum an. „Nicht die
Gegenwart Deiner Schergen ſollte mich abhalten, Dir gleich
auf der Stelle den Hals zu brechen; allein ſolche Buben
müſſen von den Händen des Nachrichters ihren verdienten
Lohn empfangen.“ ö
Chaſſeloup knirſchte mit den Zähnen.
Indeß hatte die Verhaͤftung der jungen Männer die
Aufmerkſamkeit der Hausbewohner und der Nachbarſchaft
in hohem Grade erregt. Es bildeten ſich Gruppen, welche
unverhohlen und laut genug ihre Mißbilligung über die
weiter greifende Anmaßung der Franzoſen ausſprachen. In
dieſer Vorausſetzung hatte der Polizeicommiſſär einen Wa-
gen beſtellt, welchen Loſſum und Kork beſteigen mußte.
ten. Als derſelbe vom Hauſe abfuhr, öffnete ſich oben im
erſten Stockwerk ein Fenſter und händeringend bog ſich die
ſchreiende Eugenie heraus. An ihr lehnte ſich, einer Ohn-
macht nahe, die bleich gewordene Natalie. Nach wenigen
Minuten hatten ſich die Thüren des Gefängniſſes hinter
den beiden Freunden geſchloſſen und triumphirend kehrte
Chaſſeloup nach des Generals Brieux Behauſung zurück.
Hier fand er ſchon den Geheimerath, welcher ſich nach

0

der Urſache der befremdlichen Verhaftung ſeiner beiden
Hausgenoſſen erkundigte und den Bräutigam ſeiner Nichte
— den Grafen Loſſum — reclamirte. Bedauernd zuckte
der General die Achſeln. „Die Gerechtigkeit,“ ſprach er,
„muß ihren geregelten Gang nehmen. Die Vergehungen
der jungen Männer ſind erwieſen und größtentheils politi-
ſcher Natur. Der Flaſch — oder wie ich ſo eben mit
großer Befremdung höre — Graf Loſſum hat ſich ſtaats-
gefährlicher und höchſt ſtraffälliger Aeußerungen und Ur-
theile über meiner Katſer erlaubt, hat einen angeblich un-
ſerem Gewahrſam Entſprungenen bei ſich aufgenommen,
ihm ein Aſyl verſtattet, meinen Adjutanten gröblich belei-
digt und ein Incognito beobachtet, hinter welchem wohl
mehr als eine jugendliche Grille zu ſuchen iſt. Noch weit
ſchuldiger jedoch erſcheint der andere Gefangene, Kork, der
ſich in ein bis jetzt undurchdringliches Dunkel zu verber-
gen gewußt hat. So viel jedoch iſt klar, daß derſelbe in
einer hier weit verzweigten Verbindung ſteht, deren Schutz
er ſich zu erfreuen hatte. Endlich aber iſt es uns gelun-
gen, ſeine ungedeckte Seite aufzufinden, an welcher wir ihn
faſſen können. Mehr kann und darf ich Ihnen vor der
Hand nicht mittheilen. Sie können nichts weiter thun,
als die Sache ruhig abwarten und ich muß Sie und Ihre
liebenswürdige Nichte bedauern, daß Sie an ein ſo un-
glückliches Subject gerathen ſind.“
Mißmuthig über den ſchlechten Erfolg ſeiner Fürſprache
begab ſich der Geheimerath nach Hauſe und verſetzte da-
ſelbſt durch ſeinen Bericht die beiden Jungfrauen in große
Betrübniß.
„Ja,“ fuhr der Baron fort, „hier iſt nicht viel zu
thun. Unſer jetziger Gebieter iſt —“ er ſah ſich um —
ein Bruder Napoleons und obendrein abweſend. Alle Ver-
waltung befindet ſich in den Händen der franzöſiſchen Ge-
walthaber, welche immer rein militäriſch verfahren —
ſchnell verhört und ſchnell abgethan. Ich bedauere den
Grafen Loſſum, daß er ſich mit dem Kork ſo genau ein-
gelaſſen hat. Dieſe innige Verbrüderung mit dem bür-
gerlichen Avanturier hat mir nie recht gefallen wollen. Er
allein hat ihn mit in den Strudel geriſſen. Der Menſch
mit ſeinem ſtarren Blick kam mir immer recht unheimlich
vor. Seine glühenden, kohlrabenſchwarzen Augen bohrten
ſich bis ins tiefſte Herz hinein, als wollten ſie jedes Ge-
heimniß darin erſpähen. Verfuchte man dagegen, ihm ſelbſt
nur ſo ein wenig an den Puls zu fühlen — die Sonde
anzuſetzen — hu! da blitzten Einem die ſtrengen Wächter
mit den Worten zurück: „Wag' es nicht, kühner Sterb⸗—
licher!“ ö
In allem Kummer mußte hier Eugenie auflachen.
„Man ſieht,“ ſprach ſie, — „daß der Hr. Onkel ſich auf
die Augen und deren ſtumme Sprache beſſer verſteht, als
wir Mädchen, denen man ſonſt das Gegentheil einzuräu-
men pflegt. Gewiß ſind die kleinen, grauen, ſtechenden
Augen Chaſſeloups weit ſchöner als die großen, dunkeln
Augen Korks. Natalie! daß Du künftig ja nicht mehr vor
des Capitäns Blick zurückſchauderſt, ſonſt —“
„Himmel! da iſt er ſchon!“ rief Natalte mit Entſetzen
und wendete ſich haſtig ab. ö
Wirklich war es der verhaßte Menſch, der mit kröten-
artiger Freundlichkeit in's Zimmer kroch. — „Wenn ich
 
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