Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

DOI Kapitel:
Nr. 18 - Nr. 26 (2. März - 30. März)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44618#0095

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
unangemeldet Ihnen nahe, ſo mag mich theils die Abwe-
ſenheit irgend einer dienſtbaren Perſon, theils die Dring-
lichkeits meines Auftrags entſchuldigen. Wenden Sie, mein
Fräulein, ich bitte ſehr, nicht Ihr engelgleiches Antlitz von
mir ab. Gerade Sie ſind der Hauptgegenſtand meines
Hierſeins.“ * ö
„Ich?“ fragte Natalie befremdet. „Nicht das Ge-
ringſte habe ich mit Ihnen zu verhandeln.“
„Aber ich, mein Fräulein! Laſſen Sie uns zur Sache
kommen, welche Ihnen nur meine Perſon im Voraus ver-
haßt zu machen ſcheint. Nicht immer iſt ein hübſches Ge-
ſicht der Spiegel einer ſchönen Seele. Kork —“
„Wie gehört denn dieſer Name hierher?“ ſprach Na-
talie würdevoll.
„Das werden Sie nachher hören.
Frage: vermiſſen Sie nichts von Ihrem Eigenthume, na-
mentlich von Ihrem Schmucke?“
„Nichts, mein Herr.“ ö ö
„Ich muß Sie erſuchen, den Beſtand deſſelben genau
durchzugehen.“ ö ö
„Iſt ganz und gar nicht nöthig. Mein Schmuck iſt
ſo unbedeutend, daß ein einziger Blick hinreicht, ihn zu
überſehen.“ ö
„Dieſe Aeußerung muß mich um ſo mehr befremden,
da ein einziges Stück Ihres Schmuckes mehrere taͤuſend
Thaler an Werth hält.“ ö
„Mein Herr!“ ſprach Natalie verletzt.
„Selbſt auf die Gefahr, Ihren Zorn auf mich zu laͤ—
den, kann ich meine Behauptung nicht zurücknehmen, muß
ſie vielmehr wiederholen.“
„Hier iſt mein Onkel!
ſitze und kann Ihnen demnach den gewünſchten Aufſchluß
geben.“ Nach dieſen Worten ſchickte ſich Natalie an, das
Zimmer zu verlaſſen.
„Herr Baron,“ — wendete ſich Chaſſeloup an dieſen,
— „vermögen Sie doch gefälligſt Ihre ſchöne Nichte, mir
noch einige Minuten Ihre Aufmerkſamkeit zu ſchenken.
Ich mache Ihnen begreiflich, daß ich im Auftrage der höch-
ſten Behörde hier verfahre, indem man aus Discretion
Ihre Wohnung nicht von Polizei-Agenten betreten laſſen
wollte.“ ö
„Ich kann nur den Antrag meiner Nichte wiederho-
len,“ — bemerkte der Geheimerath — „an mich jede Ih-
rer Fragen zu richten.“ ö
„Zugegeben, unter der Bedingung, daß Ihr Fräulein
Nichte im Zimmer bleibt.“
Ein ſtummer Wink des Barons machte, daß Natalie
ein Buch ergriff und ſich, von Chaſſeloup abgewendet, an
ein Fenſter ſtellte. ö
„Vor ungefähr zwei Monaten malte ein hieſiger Künſt-
ler — ich glaube der Profeſſor Schöneich — Ihre Fräu-
lein Nichte dort in Miniatur. Zu welchem Zwecke wohl?“
„Mein Herr, dieſe Frage —“
„Geſchieht von mir nicht aus Neugierde, ſondern von

Amtswegen.“ ö
(Fortſetzung folgt)

Doch vorher die

Er kennt Alles, was ich be-

91

Ein Cabinet de Verdure.

Ludwig der Vierzehnte bemerkte eines Tages, als er
ſich in den Gärten von Verſailles erging, zu ſeinem gro-
ßen Erſtaunen, daß ein Cabinet de Verdure, deſſen Aus-
führung er Le Nötre befohlen hatte, immer noch nicht an
dem dazu angewieſenen Platze zu ſehen war. Unwillig
ließ er Le Nötre herbeirufen, der vor Schreck erbleichte,

als er den zornigen König erblickte, der, ein Zeichen ſeiner

Ungeduld, mit ſeinem Stocke Figuren in den Sand zeich-
nete. ö
„Herr Le Rötre,“ fragte Ludwig, ſobald er des Gar-
tenkünſtlers anſichtig ward, in ſtrengem Ton, „ſeit wann
werden meine Befehle nicht ausgeführt?“ ö
„Sire,“ erwiderte ſich tief verneigend Le Nötre, „ſeit
vier Nonaten arbeiten zwanzig der beſten Künſtler, die ich
in Frankreich auffinden konnte, an dem Cabinet de Ver-
dure, aber obgleich ſie in letzter Zeit ſelbſt einen Theil der
Nacht zu Hülfe genommen haben, iſt die Vollendung des
Werkes bis jetzt noch nicht möglich geweſen und wird un-
gefähr noch drei Tage dauern.“
Ein Gemurmel der Unzufriedenheit ließ ſich ob dieſer
ungeheuren Kühnheit unter den Höflingen vernehmen und
Le Nötre glaubte ſich verloren; der König aber ließ einen
eiskalten Blick über ſeine Umgebung gleiten und ſagte in
wohlwollendem Tone zu dem Gartenkünſtler: „Ich erkenne
Ihre Gründe an, Le Notre, ſtrengen Sie die Arbeiter
nicht zu ſehr an, ich will, wenn es ſein muß, lieber noch
vierzehn Tage warten.“ ö
Wie erhaben, als welches Abbild göttlicher Gnade kam
ſich wohl der Monarch, deſſen Wahlſpruch war „l'tat
c'est moi“, in dem Augenblick vor, wo er erklärte, war-
ten zu wollen, damit der Arbeiter ſich nicht zu ſehr
anſtrengen müſſe. Hätte er es für möglich gehalten, daß
einmal eine Zeit kommen könnne, wo ein Baumkiſter,
Gartendirektor oder dgl. einem Fürſten in ähnlicher Lage ganz
ruhig antworten dürfte: „Hoheit, die Arbeiter haben Strike
gemacht, ich weiß nicht, wann ich das Gartenhaus fertig
ſtellen kann.“ Doch was hätte Ludwig der Vierzehnte Al-
les für unmöglich gehalten, was doch im Laufe der Zeiten
geſchehen iſt. Er hätte ſich eben ſo wenig träumen laſſen,
daß man einen ſeiner Nachkommen guillotiniren und ver-
ſchiedene andere in's Exil ſchicken, wie daß in ſeinem Schloſſe
zu Verſailles daſſelbe deutſche Kaiſerreich proklamirt wer-
den würde, deſſen Schädigung und Vernichtung er zur
Aufgabe ſeines Lebens gemacht. Er ließ ſich endlich, um
wieder auf das Cabinet de Verdure zu kommen, nicht träu-
men, daß in Folge der großen Fortſchritte, welche die Me-
chanik und das Maſchinenweſen machen werde, eine Zeit
kommen könne, wo in wenigen Tagen hergeſtellt werden
würde, worauf er damals Monate lang warten mußte,
daß ein Luxus, den er als König ſich nur in ſeinem Gärt-
chen geſtatten durfte, ſpäter vom ſchlichten Bürger zur
Ausſchmückurg des ſeinigen, ohne für einen Verſchwender
zu gelten, zur Anwendung gebracht werden könne. „Nichts
iſt dauernd als der Wechſel.“ — ö
 
Annotationen