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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 18 - Nr. 26 (2. März - 30. März)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44618#0106

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Der alte Großherzog ſoll nämlich ſeinem Sohne die Er-
laubniß zugeſtanden haben, ſich unter den Fürſtentöchtern
Europa's eine nach ſeinem Herzen wählen zu dürfen. He-
lene, das herrliche Geſchöpf, fand bei dem erſten Anblick
Gnade vor ſeinen Augen. Von ihr ungekannt, gelang es
ihm, ihr in nähere Bekanntſchaft zu treten. Allein bei-
nahe wäre ſein wahrer Stand von der franzöſiſchen Be-
hörde entdeckt worden. Mit genauer Noth entging er den
Nachſtellungen; doch mußte ſein Freund Kork in's Gefäng-
niß wandern, aus welchem ihn aber ſchnell des Erbgroß-
herzogs Geld wieder befreite.“
Faſt laut auf lachte Loͤſſum, als er entgegnete: „Du
haſt mir, lieber Rechenberg, da eine Geſchichte erzählt, in
welcher ſich Wahres und Lüge gar wunderlich die Hände
reichen. Niemand kann Dir hierin beſſere Auskunft er-
theilen, als ich, der ich am meiſten in die Sache verwebt
bin. Mein Freund, allerdings nur ein Bürgerlicher, aber
ein Ehrenmann in jeder Beziehung, hieß Kork, mit welchem
ich in Leipzig ſtudirte. Aus mehrerlei Gründen hatte ich
ein beſcheidenes Incognito und mit ihm den unromanti-
ſchen Namen Flaſch angenommen. Als ſolcher trat ich
auch anfangs in dem Hauſe meiner jetzigen Frau auf und
nur die Liebe zu ihr bewog mich, eher als es meine Ab-
ſicht war, wieder den Grafen anzuziehen. Kork, der, wie
wir Alle, mit Ausnahme des Onkels meiner Frau, die
Prinzeſſin Helene für die nachgelaſſene Tochter eines Kauf-
manns hielt, hatte ſich um deren Hand beworben, war
aber natürlich abgewieſen worden. Eine Voreiligkeit von
meiner Seite gegen die franzöſiſchen Machthaber zog uns
Beiden die Gefangenſchaft zu, welcher Kork durch die Flucht
und ich in Folge der Schlacht bei Leipzig entging. Das
iſt das Wahre von der Sache und die angebliche Braut-
ſchau des Erbprinzen eine Fabel, es müßte denn —“
„Bemerkſt Du nicht, lieber Loſſum,“ unterbrach ihn
ein Freund, — „daß Aller Augen auf uns gerichtet ſind?
Ich wüßte gar keine Veranlaſſung dazu. Doch nein! dieſe
Grüße der allerhöchſten Herrſchaften zu uns herüber müſ-
ſen einem Höheren gelten.“ Rechenberg beugte ſich über
die Logenbrüſtung vor.
„Aha!“ ſprach er lächelnd, — „das Räthſel iſt ge-
löſt. Der Großherzog mit ſeinem Erbprinzen hat die Loge
unter uns ſo eben in Beſitz genommen. Ein ſchöner Mann,
der Bräutigam! Er trägt heute an ſeinem Ehrentag wie-
der die Uniform ſeines vormaligen Dragoner-Regiments.
Schade, daß man ihn nicht von Geſicht ſehen kann!“
Neugierig ſchaute auch Loſſum herab. Allein bereits
hatten ſich die beiden Fürſten wieder etwas zurückgezogen,
daher von ihnen nur zuweilen der obere Theil des Kopfes
ſichtbar wurde. Als der Graf nach Beendigung des Stückes
die Loge von ihnen ſchon verlaſſen fand, tröſtete er ſich
damit, daß ſie ihm gar nicht entgehen könnten, wenn er der
erhaltenen Einladung Folge leiſte. Sein Wagen brachte
ihn ſchnell nach dem Palais von Helenens Vater. In der
Hausflur traf er auf Kork, den er mit freudigem Crſtau-
nen bewillkommnete. Ein weiter blauer Ueberrock umſchloß
denſelben bis an den Hals hinauf. Sporen klirrten an
ſeinen blitzenden Stiefeln.
„Du hier, Kork?“ rief Loſſum und ſchloß ihn in ſeine
Arme. „So neugierig ich auch auf Helenens Bräutigam

Blüthe das Brautpaar ungeduldig erwartete.

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bin, gehſt Du mir doch vor. Schnell! laß uns an einen
ruhigen Ort begeben, wo wir uns ſatt plaudern können.
Wie iſt Dir's ergangen: So lange haſt Du mich vernach-
läſſigen können? Böſer Freund!“ ö
„Lieber Loſſum!“ ſprach Kork gerührt, — „Du biſt
immer noch der alte, treue Freund und ich will es auch
ſein, wenn Dich's nicht verdrießt. Mancherlei habe ich
Dir zu erzählen, doch jetzt dazu keine Zeit. Mein Herr,
der Erbprinz, deſſen Privatſekretär ich vorſtelle, hat mich
ſchleunig zu ſich rufen laſſen, und Du weißt, das Herren-
dienſt vor Gottesdienſt geht. Alſo entſchuldige mich für
den Augenblick. In einer halben Stunde hoffe ich ganz
Dein zu ſein.“ ö
„Es kränkt mich faſt,“ — erwiederte Loſſum — „daß
Du des Erbprinzen Dienſte den meinigen vorgezogen
haſt. Mir wärſt Du ein Freund und kein Diener ge-
weſen.“
„Mir blieb ja keine Wahl,“ — entgegnete Kork —
„doch gebe ich die Hoffnung nicht auf künftig in Deiner
Nähe zu weilen.“
„Für einen Privatſecretär,“ — bemerkte Loſſum, —
„gehſt Du ziemlich ſoldatiſch gekleidet. Blinkt da nicht gar
eine blanke Säbelſcheide unter Deinem Rocke hervor?“

„Er gehört dem Erbprinzen,“ — antwortete Kork leicht
— „und mit meinem Anzuge habe ich mich inſofern nach
demſelben richten müſſen! weil er die Uniform wieder an-
gelegt hat.“
Nach einem herzlichem Händedruck ſprang Kork im
Hofe eine Seitentreppe hinan, Loſſum aber begab ſich in
den glänzend angefüllten Saal, wo des höchſten Adels
Nach einer
Viertelſtunde öffneten ſich die hohen Flügelthüren; die
Anweſenden ordneten ſich ſchnell zu einem weiten Halb-
kreiſe, in welchen das erlauchte Brautpaar grüßend ein-
trat. ö ö
Loſſum überſah Helenens unbeſchreiblichen Liebreiz, ge-
hoben durch der Kleidung Pracht und Wahl, durch Putz
und Schmuck, vor Allem aber durch die ſelige Heiterkeit
ihrer engelſchönen Geſichtszüge; er gewahrte nicht, wie alle
Anweſenden vor dem Paare huldigend ſich neigten —
überhörte den Schwall der geſpendeten Glückwünſche —
er ſtand erſtarrt. Denn der Erbprinz mit dem Anſtande
eines Königs, mit der goldgeſtickten Uniform und den Or-
densſternen — war Kork! Er war es wirklich. Loſſum
kam erſt dann von ſeinem Erſtaunen zu ſich, als der Erb-
prinz, begleitet von ſeiner Braut, ſeinem Vater, Eugenien
und dem Geheimenrathe, vor ihm ſtand und ihn herzlich
küßte. ‚
„Mein Adolph! bewährter Freund!“ redete den Ueber-
raſchten der einſtige Kork an, — „ich wußte um Dein
Incognito, als ich die Freundſchaft des Studenten Flaſch
ſuchte und fand! Du aber nicht um das meinige. Des-
halb biſt Du edelmüthiger als ich, der Du den armen
Kork wie einen Bruder liebteſt. Sei mir ein ſolcher auch
ferner und laß uns in Ausführung bringen, was wir einſt
ſo ſchön uns vorgemalt hatten: immerwährende Vereini-
gung! Dann verdanke ich Glücklicher meinem Incognito
zwei Kleinodien, wie ſie ſelten Fürſten zu Theil zu wer-
 
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