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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 53 - Nr. 61 (3. Juli - 31. Juli)
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tragen, Herr Peter Schöffer, denn ſeht nur ſelbſt“ — ſie
ſchob ihm das Blatt hin, auf dem ſie ſich eben im Schrei-
ben geübt hatte — „wie gering noch die Fortſchritte ſind,
die ich in Eurer edlen Kunſt gemacht habe.“
Dieſe Aufrichtigkeit und dies zutrauliche Weſen, das
er am wenigſten von Fuſtens Tochter erwartet haben mochte,
gefielen ihm und er ſtand nicht an, wie ſie es wünſchte,
ihr ſogleich einigen Unterricht zu geben, ſowohl was die
ſchönere Form der Buchſtaben, als die beſſere Haltung der
Hand betraf. Sie war eine ſehr gelehrige und aufmerk-
ſame Schülerin und dabei voll neckiſcher Einfälle, die ihn
nicht wenig ergötzten, und die ſie mit ihrer hellen Kinder-
ſtimme anmuthig genug vortrug. ö
Dann, als ſie ſelbſt genug geplaudert hatte, forderte
ſie ihn auf, ihr von Paris und dem dortigen Leben zu er-
zählen, das ſie, wie ſie ſagte, um ſo mehr intereſſire, da
ihr Vater, deſſen Liebling zu ſein ſie offen eingeſtand, ihr
verſprochen habe, ſie dahin mitzunehmen, wenn er ſelbſt
die Reiſe nach jener berühmten Stadt antreten würde.
Unter dieſem und ähnlichem Geplauder war wohl eine
Stunde und mehr Zeit verſtrichen, als der Eintritt Herrn
Johanns es unterbrach. Er ſah — dieß bemerkte man
an ſeiner Miene — nicht ohne einiges Erſtaunen den jun-
gen Schreiber ganz zutraulich neben ſeiner Tochter ſitzen,
und ſich mit dieſer unterhalten, als ob ſie alte Bekannte
wären; Dyna — ſo nannte er ſie, wenn er beſonders
zärtlich gegen ſie war — aber ſprang gleich bei ſeinem
Eintritte von ihrem Seſſel auf, eilte ihm entgegen, nahm
ihn bei der Hand und führte ihn an den Tiſch, um ihm
die ſchöner geformten Buchſtaben zu zeigen, die ſie unter
der Leitung ihres neuen Lehrers bereits gemacht hatte und
dies verwiſchte augenblicklich den Schatten von Unmuth,
der ſich zu Anfang auf ſeiner etwas gerunzelten Stirne
gezeigt hatte.
„Ich habe gleich mit dem Unterrichte angefangen, Vä-
terchen,“ ſchmeichelte Dyna, „denn ſchon zu lange habe
ich mich darnach geſehnt, von dieſem geſchickten Manne
einige Anweiſung in ſeiner Kunſt zu erhalten, die mir
ſchöner erſcheint, als jede andere.“
„Du biſt noch immer ein ungeduldiges, ungeſtümes
Kind!“ ſchalt der Vater, aber ohne Zorn; denn dieſen
vermochte er gegen ſeinen Liebling nicht zu äußern. „Sie
wird Euch, Herr Schreiber“, wandte er ſich an dieſen,
„ſchon genug vorgeplaudert haͤben, ſie iſt geſchwätzig wie
eine Elſter und trägt ſtets das Herz auf der Zunge“.
„Möchtet Ihr denn, Vater,“ fragte Dyna, „daß ich
auch ſtets ſo ſtill und traurig und ſchweigſam wäre, wie
mein armer Bruder Johann, der ganze Tage daſitzt, ohne
ein Wort zu ſprechen?“
Der Vater biß ſich auf die Lippen und die Frage
Chriſtinens ſchien ihn unangenehm zu berühren; dann ſagte
er nach einer Pauſe:
„Dein Bruder hat ſich dem geiſtlichen Stande gewid-
met und da ſchickt ſich ein ſtilles, ſchweigſames und abge-
meſſenes Weſen gar wohl für ihn.“
„O, ich hatte ihn doch lieber, als er noch luſtig und
geſchwätzig war, wie ich's bin, Vater, und das iſt ſo lange
noch nicht her, etwa ein Jahr, länger gewiß nicht. Seit-
dem er den Prieſterrock angezogen hat, der ihm noch dazu

gar ſchlecht ſteht, iſt er ein trauriger Gaſt geworden, ein
gar trauriger!“
„Deine Mutter verlangt nach Dir, Chriſtine“, ver-
ſetzte Herr Fuſt, dem ſichtbar daran gelegen war, das ihm
unangenehme Geſpräch zu beenden und Chriſtine entfernte
ſich, indem ſie ihren neuen Bekannten freundlich beim Ab-
ſchiede begrüßte.
Herr Johann hieß jetzt dem Schreiber, an dem Tiſche
wieder Platz zu nehmen und ging ſelbſt an einen großen,
ſtark gebräunten Schrank von Eichenholz, deſſen Thüren
reich mit Schnitzwerk verziert waren, öffnete ihn und nahm
ein ziemlich ſtarkes Paquet Pergamentblätter daraus her-
vor, die er vor dem jungen Manne ausbreitete. Dieſer
ſtaunte nicht wenig, als er auf allen dieſen Blättern
Daſſelbe geſchrieben fand, und zwar mit ſo ganz gleicher
Handſchrift, daß auch nicht ein einziger Buchſtabe, ja nicht
ein einziger Schriftzug anders wie der andere ausgefallen
mut was ihm, dem Kenner, ſogleich in die Augen fallen
mußte.
„Dieß ſind die Blätter,“ ſagte Herr Johann, ohne
das Erſtaunen des Schreibers bemerken zu wollen, „die
ich von Eurer geſchickten Hand gern mit eben ſo ſchönen
Initialbuchſtaben verziert ſehen möchte, wie man ſie auf
Euren Schriften erblickt. Ich geſtehe Euch, daß ich mit
dieſen Schriften einen Handel zu treiben gedenke und zwar
einen einträglichen, denn ſie enthalten Auszüge aus der
Grammatik und ſind ſehr geſucht. Nun möchte ich zu
dem Nützlichen auch noch das Schöne hinzugefügt ſehen,
und dieſes Letztere vermögt Ihr allein dieſem Kunſtpro-
dukte durch Eure Feder und Euren Pinſel zu verleihen.“
Schöffer war beim Anblicke dieſer Blätter völlig ver-

ſtummt, nicht wegen der Schönheit der Schrift, die manche

Mängel aufzuweiſen hatte, ſondern weil ſein ſcharfer,
ſchnell begreifender Geiſt bereits die Wahrheit zu ahnen
begann, nämlich, daß das, was er vor ſich ſähe, nimmer-
mehr das Produkt der Feder, ſondern einer andern Kunſt,
als der des Schreibens, wäre — welcher aber, wußte er
ſich noch nicht zu ſagen. ö ö
Johann Fuſt ſeinerſeits beobachtete den Verſtummen-
den mit jener ängſtlichen Spannung, die allemal der fühlt,
welcher ſich nahe daran ſieht, ein Geheimniß errathen zu
ſehen, das er um jeden Preis bewahrt ſehen möchte; dann,
als der Schreiber noch immer ſchwieg, ſagte er mit einem
beſondern Ausdruck der Stimme: ö
„Nun?“
Der Schreiber fuhr aus ſeinem Nachdenken auf und
antwortete ihm: ö
„Das, was ich vor mir ſehe, iſt nicht geſchrieben,
kann es nicht ſein.“
„Und was wäre es dann?“ fragte Fuſt raſch und
ihn mit durchdringenden Blicken anſehend.
„Es iſt ein Kunſtwerk, von dem ich zur Stunde noch
nicht zu ſagen weiß, auf welche Weiſe es entſtand,“ war
Peter Schöffers Antwort.
„So? meint Ihr das? Ihr habt mit dem Junker
Guttenberg geſprochen ?“ fragte Fuſt und ſah ihn mit
einem unendlich falſchen, lauernden Blicke an.
„Ich komme ſo eben von ihm,“ war des Schreibers
offene Antwort.
 
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