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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 79 - Nr. 87 (2. Oktober - 30. Oktober)
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nicht mehr ſo bevorzugt wie vor Jahren, wurde, doch
ihren Platz behalten hatte.
Für das was ſie bei der Baronin verloren, war
ſie aber auf eine andere Weiſe entſchädigt worden.
Alfred, der auf Schloß Handorf als Mitverwalter
der Güter ſeines Vaters geblieben, hatte, von ſeiner
ſinnlichen Natur beſtimmt, ſeine Augen auf das hübſche,
üppig geformte Mädchen geworfen.
Da zwei glühende Temperamente hier einander be-
gegneten, ſo war zwiſchen Beiden ein Verhältniß ent-
ſtanden, das über die Grenzen einer erlaubten ſittlichen
Neigung hinausging, der Welt gegenüber jedoch ver-
borgen blieb, indem die Zuſammenkünfte in einem am
Ende des Schloßgartens gelegenen kleinen Pavillon,
und vom Schleier der Nacht verdeckt, ſtattfanden.
In dieſem Pavillon pflegte Alfred ſein Jagdge-
räthe aufzubewahren und er allein beſaß den Schlüſ-
ſel zu dem ſeinen Lüſten dienenden Verſteckes. Aus die-—
ſem Grunde war ſo leicht keine Entdeckung zu fürchten.
Dieſe verbrecheriſche Verbindung, wie wir ſie vom
Standpunkte der ſittlichen Weltanſchauung nennen müſ⸗—
ſen, da ſie nicht auf wahrer Liebe, ſondern nur auf
roher Sinnlichkeit baſierte, hatte mit kurzen Unter-
brechungen, wo der wilde Alfred, der in jedem Genuſſe
Abwechslung liebte, gleich gefälligen Mädchen auf den
andern Gütern ſeines Vaters ſein Augenmerk ſchenkte,
drei volle Jahre gedauert. Beate hatte von ihrem Lieb-
haber, der mit dem Gelde ſeines Vaters nicht kargte,
nach und nach beträchtliche Summen erhalten. Damit
gedachte ſie früher oder ſpäter nach der Reſidenz, wo
ihre Mutter lebte, zu ziehen und ſich mit irgend einem
ihrem Geſchmacke zuſagenden Manne zu verheirathen,
was ihr, zog ſie ihren Spiegel zu Rathe, nicht ſchwer
werden durfte. So lange aber Alfred die ihm geſchenk-
ten ſüßen Stunden noch reichlich bezahlte, beſchloß ſie
Handorf nicht zu verlaſſen. ö
Da trat plötzlich ein Ereigniß ein, welche das ſchon
im Grunde des Herzens verderbte Mädchen mit den
Qualen der Eiferſucht und einem geſteigerten Haſſe
gegen die Pflegetochter ihrer Herrſchaft erfüllte.
Marie hatte zu ihrem ſechzehnten Geburtstage, der
inmitten des Sommers fiel, von der Frau Baronin ein
neues geſchmackvolles Mouſſelinkleid geſchenkt erhalten,
das nach damaliger Mode den Hals der Damen, wie
Nacken und Arme bloß ließ.
In dieſem Kleide, das dem lieblichen Mädchen vo
allen Andern gutſtand, erging ſie ſich in der Tageszeit,
wo die ſinkende Sonne die Erde mit roſigem Schim-
mer zu übergießen pflegt, im Schloßgarten, wie ſie,
war das Wetter nicht trübe oder regnicht, nach dem
Schluſſe ihrer Lehrſtunden ſtets zu thun gewohnt war.
Wenn irgend an einem andern Tage, ſo war an
dieſem die Seele des holden Geſchöpfes von unausſprech-
licher Heiterkeit und einem dankbaren Gefühle gegen
Gott und diejenigen Perſonen erfüllt, die ihr eine ſo

friedliche, ſchöne Heimſtätte gewähnt und ihr Liebe,

die ſie ihnen entgegentrug, mit dauernder Huld belohn-
ten. Sich all' der Wohlthaten erinnernd, die ſie von
dem greiſen Herrn des Schloſſes und in den letzten

vier Jahren auch von der gnädigen Frau empfangen,
blieb ſie plötzlich am Eingange eines Baumganges ſte-
hen, wo die ſcheidende Sonne hereinſtrahlte, faltete
fromm die Hände, ſchlng die großen herrlichen, von
langen dunklen Wimpern beſchatteten Augen nach oben
und flüſterte: — ö
„Ihr ſeligen Geiſter meiner theuren Eltern, die Ihr
ſchon lange im Schooße des ewigen Friedens weilt,
o vergönnte der Allmächtige Euch doch aus beſſeren
Höhen herniederzuſchauen und zu ſehen, daß Euer Kind
nicht arm und verlaſſen geblieben, daß gute Menſchen
ſich Eurer Marie angenommen und ſie ſo liebevoll um-—
faſſen, wie Ihr es einſt gethan.“ Und mit erhöhtem
Tone fügte ſie hinzu: „Wie wahr haſt Du doch einſt
geſprochen, mein gnter Vater, als Du ſterbend mich
ſegneſt. Die ewige Liebe läßt Keinen untergehen, der
ihr mit gläubigem Herzen kindlich vertraut?“
Wie das junge Mädchen ſo in betender Stellung
daſtand, überfluthete der goldige Schein des ſcheidenden
Tagsgeſtirns ihr Antlitz wie ihre ſchlanke Geſtalt, ſo
daß ſie wie in ein Meer von roſigem Glanze getaucht
erſchien. Das Herz jedes guten, feinfühlenden Men-
ſchen würde ihm engelgleiche Erſcheinung mit Entzücken.
und einer Bewunddrung erfüllt haben, die frei von
jeder irdiſchen Beimiſchung geweſen wäre. Ein ſolcher
aber war nicht in der Nähe des liebenswürdigen Kin-
des. Wohl aber wurde ſie von Jemand belauſcht, deſ-
ſen Seele längſt dem Dämon der roheſten Sinnlichkeit
verfallen war.
Es war Alfred, der älteſte Sohn des Schloßherrn,
der, hinter einem Gebüſche verborgen, das dicht an
dem Baumgange ſtand, mit hochgeröthetem Geſicht und
vor wilder Begierde flammenden Augen auf das holde
Bild der Unſchuld blickte.
Freilich war es an dieſem Tage nicht das erſte
Mal, wo Mariens ſeltene Reize ihm aufgefallen waren.
Aber er war in dem letzten Jahre, in der Zeit, wo
die eigentliche Entwickelung vom Kinde zur Jungfrau
bei ihr ſtattgefunden, nur in längeren Pauſen mit ihr
zuſammengetroffen, und dann hatte er ſie auch nur des
Abends im Wohnzimmer ſeiner Mutter, wenn ſie der-
ſelben vorlas und in einer gebückten Stellung geſehen,
wo ihre ſchönen Formen nicht ſo, wie in dieſem Mo-
mente, hervortreten und ſein glühendes Temperament
in Aufregung ſetzen konnten.
Außerdem hatte ſeine Leidenſchaft im Umgange mit
der üppigen Kammerzofe Beate und andern dieſer eben-
bürtigen Dirnen auf den Handorf zugehörenden Gütern,
hinlänglich Befriedigung gefunden.
Deſto wilder und maßloſer loderte jetzt die Flamme
einer verbrecheriſchen Neigung in der Bruſt des kräftig
gebauten jungen Wüſtlings empor.
(Fortſetzung folgt.)
 
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