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Heidelberger Volksblatt (6) — 1873

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Nr. 79 - Nr. 87 (1. Oktober - 29. Oktober)
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346

Paul ſchwieg; — es ſchien ihm doch nichk ſo ganz
in der Ordnung, mit einem Mädchen in dieſer Weiſe
vertraulich zu verkehren, ohne ernſte Abſichten zu
aben. ö
Bodo blickte ihn forfchend an, er ahnte, was in des
jungen Mannes Seele vorging.
„Sie zweifeln an mir“, ſagte er dänn in veränder-
tem Tone und ſehr ernſt. — „Glauben Sie mir, was
Ihnen in Ihrer Naivität ſehr ſtrafbar vorkommt, iſt
es in Wirklichkeit nicht. Dieſe Aurelie iſt ein Geſchöpf,
wie es ſo viele giebt, ohne geiſtigen Halt. Liebeln iſt
ihr einziger Lebensgenuß — warum ſoll ich nicht eben
ſo gut wie ein Anderer mich eine Stunde mit ihr amü-
ſiren? — Außerdem“, fügte er düſter hinzu, „habe ich
am wenigſten Veranlaſſung, die Frauen zu ſchonen.“
Er ging ſchweigend weiter, auch Paul war ſtill gewor-—
den, er wußte nichts zu antworten.
„Sind Sie ſchon bei meiner Conſine Jenny gewe-
ſen?“ nahm Bodo das Geſpräch nach längerer Pauſe
wieder auf, „ſie wollte ja mit Ihnen mufſicireu?“
„Noch nicht!“ war Paul's Antwort. „Fräulein
Jenny hat mich bisher noch nicht dazu aufgefor-
dert.“
„Sie wird es nächſtens thun, ſie ſprach davon.
Sie fühlt Freundſchaft für Sie, Gruber, und ich kann
Ihnen nur rathen, dieſe Freundſchaft mit Dank anzu-
nehmen. Jenny iſt ein edles Mädchen, die einzige von
Allen hier, die ich hoch ſchätze und⸗verehre.“
Paul ſah Bodo forſchend an. ö
„Und doch ſtehen Sie ihr ſo kalt gegenüber?“
„Ich mag mich ihr nicht nahen, einer Aurelie kann
ich's, — einem Weſen wie Jenny nicht. Jenny ver-
dient eine friſche, volle, eine große Liebe — ich könnte
ihr eine ſolche nimmer gewähren. In mir iſt Alles
todt — Alles, ja, hätte ich ſie früher geſehen, früher
kennen gelernt!
hinzu. — „gute Nacht, Lieber — doch noch eins —
Nehmen Sie nicht Alles ſo ſchwer, junger Freund, das
Leben muß genoſſen werden wie der ſchäumende Cham-
pagner. — Den Schaum ſchlürft man ab, die Neige
läßt man ſtehen. — Auf Wiederſehen!“ Er reichte
Paul die Hand und verließ ihn raſch.

Fünftes Kapitel.

Jenny führte ihre gegen Bodo geäußerte Abſicht

bald aus. Paul wurde mit einer Einladung zum klei-
nen muſikaliſchen Circle Jenny's beehrt. Einmal in
denſelben gezogen, war er zugleich ein ſtetiges Mitglied
dieſer Verſammlungen geworden, die ſich wöchentlich
einmal wiederholten. Jenny weihte ſolche

und durch ihr Talent ausgezeichnete Schüler und Schü-
Ierinnen des Conſervatorinms hinzu — es wurden
kleine Chöre mit Soloparthien geſungen — auch wohl
ab und zu ein Quartett oder Trio ausgeführt.

Die Profeſſorin hielt ſich von dieſen Abenden mög-
lichſt fern, ſie konnte ihre traurigen Schauergeſchichten

4dabei ſchwer oder gar nicht aubringen und dann en-

muyirte ſie ſich. — Paul's Gegenwart animi le ſie
zwar wieder, er hatte ihr das erfts Meill ſo geduidig
zugehört, ſie verſuchte es daher von Neuem. — Aber
diesmal rettete ihn Bodo. — Er trat grade in den
Salon, als die Profeſſorin eben mit der Erzählung
einer neuen Mordgeſchichte begonnen hatte, und nahm
Paul ſofort ohne Goͤne ganz für ſich in Anfpruch. Die
Profeſſorin war indignirt; aber ſie ſagte nichts, Bodo
war in ihren Augen ein ſehr vornehmer, ausgezeichne-
ter Mann und ſie war ſtolz auf ihre Verwandtſchäft
mit demſelben. Sein Vater war ein Vetter von ihr
geweſen, reich geworden, während ihre Familie im
mittelmäßigen Wohlſtand geblieben war. Sie hätte um
Alles ſich Bodo nicht erzürnen mögen, er war das
Prachtſtück ihrer Geſellſchäften. Bodo gehörte zu Jen-
ny's kleinen muſikaliſchen Zirkeln, da ſie ſeine Fähig-
keiten nach dieſer Richtung wohl zu würdigen wußte.
Aber er war nur ein unregelmäßiger Beſucher derſel-
ben. Wochenlang, wenn es ſo ſeine Laune war, blieb
er ganz aus. — Seit einiger Zeit, Marie meinte, ſeit
Aurelie von Wild in dem Zirkel aufgenommen wordeu,
war er öfter gekommen. Jenny fragte nicht nach dem
Grunde — ſie benutzte ſein Talent und ließ ihm ſonſt
vollkommen Freiheit. Während er zu Marie und den
andern Mädchen in einem, wenn auch nicht vertrau-
lichen jedoch freundlichen Verhältniß ſtand, mit ihnen
ſcherzte und ſich neckte, beobachtete er gegen Jenny eine
Reſerve, die jede andere vielleicht tief verletzt hätte, des
hochſinnigen Mädchens günſtiges Urtheil über den Vet-
ter aber durchaus nicht beeinflußte. Sie hätte
es ſogar für ihrer unwürdig gehalten, in ihrer Beur-
theilung Anderer ſich durch das Gefühl eigener Ver-
letztheit leiten zu laſſen. Trotz des ungleichen, ihr

Doch laſſen wir das!“ ſetzte er raſch

Abende
ganz der Muſik, ſie zog zu dieſen nur nähere Bekannte

widerſprechendes Weſen Bodo's wußte ſie doch durch

die äußere Fülle deſſelben hindurchzublicken und den“
edlen Kern zu erkennen, den irgend ein dunkles Ereig-
niß der Vergangenheit mit Wolken umſchattet und tie“
fer in ſein Inneres zurückgedrängt hatte. Sie ſchätzte
Bodo hoch, und wußte ſich von ihm ebenſo geſchätzt“
obwohl ein ſonderbares Etwas, das ſie ſich nicht zu
erklären vermochte, ihn von ihr ferner, als von jedem
Andern zu halten ſchien. Unnützes Grübeln war indeſ-
ſen ihrer geſunden, kräftigen Natur fremd — ſie nahm
das Gegebene, wie es war, ſuchte ſich demſelben anzu-
paſſen und es möglichſt angenehm für ſich zu geſtalten.
Voll warmer Begeiſterung für die Kunſt, der ſie ſich
geweiht, in ernſtem Streben nach dem höchſt Erreich-
baren, fand ſie volles Genüge in ihrer Thätigkeit, die
ſie lehrend und lernend unaufhörlich beſchäftigte. Das'
Sehnen ſchwächlicher Naturen nach Elwas, was ihr'das
Schickſal oder die Natur verſagt, hatte ſie niemals ge-
kannt. Schon ſrüh hatte ſie ſich mit der ernſten Auf-

gabe des Lebens bekannt gemacht, da ihr in der Jam-

mergeſtalt ihrer ſentimental weinerlichen Mutter ein
warnendes Beiſpiel von dem Mißverſtehen dieſer Le-

bensaufgabe ſeit ihrer Kindheit vor die Augen geführt-

worden war. Sie wußté, daß man das Glüc für ſich
und Andere nicht durch das Schwelgen in zarten und:
 
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