eigenthümlich ſcheuer und unheimlicher Ausdruck Aackerte
in den blaugrauen Augen auf. „Es thut immerhin
gut, an die Strafe gemahnt zu werden, die der Sünde
folgt!“ Eintönig, wie ihrer unbewußt, fielen die ein-
zelnen Silben von ihren zuckenden Lippen. Offenbar
ſprach ſie mehr zu ſich ſelber, als daß ſie auf die Rede
Käthens geantwortet hätte.
Der Lärm wurde noch ſtärker. „Willſt Du nicht
mit mir herunterkommen, Benigna? O Gott, ſonſt ließ
ſich das Unweſen doch meiſt nur in der Advents⸗ oder
Faſtenzeit vernehmen! Wie oft habe ich ſchon in der
Herzensangſt gelobt, nicht mehr nach den Tanzlauben
zu gehen und ſo gut und fromm zu werden wie Du!“
Sie klammerte ſich an Benigna, die an der Lampe
einen Span entzündet hatte und ſie die Stiege hinab
bis zu ihrer Kammerthür brachte.
„wWenn Du nicht aus Herzensangſt, ſondern aus
Liebe zum Guten die guten Vorſätze faßteſt, wäre ſie
gewiß beſtändiger und fruchtbringender. Bete und ar-
beite. Hätte der unglückliche Volprecht das beherzigt—“
Raſch und raſcher, als treibe, ſporne, hetze Todes-
angſt zur Förderung der Arbeit, fielen Hammerſchläge
im Erdgeſchoß, das unbewohnt war, nur die Schmiede
enthielt. Bei der nächtlichen Stille war das Geräuſch,
für das Niemand eine natürliche Rrſache wußte, das
man daher an eine ſchauerliche Sage knüpfle, um ſo
unheimlicher. Katharina ſchlüpfte in die Kammer und
dann, nachdem ſie die Thür verriegelt hatte, in das
theilt welches ſie mit ihrer zwölfjaͤhrigen Schweſter
eilte.
Benigna kehrte zu ihrer Mutter zurück und legte
ſanft den Arm um deren Hals. „Wie Dein Herz
klopft!“ ſagte ſe bekümmert.
„Wie drunten der Hammer des Nachtſchmieds. Und
— eben ſo vergeblich!“ Es klang kaum verſtändlich.
„Um Gotteswillen, Mutter, wenn Dich der nächt⸗—
liche Lärm ängſtigt, wollen wir die Wohnung verlaſſen.
Wir finden ja in irgend einem ruhigen Hauſe ein
Stübchen und ich will doppelt fleißig ſein, um den
höhern Miethzins zu erſchwingen.“
Ein ablehnendes Kopfſchütteln war die einzige Ant ·
wort. Die Tochter wußte, daß eine Wiederrede nichts
fruchtete und ſetzte ſich zum Spinnrad. „Ich meinte
nicht, daß Du davon ſo angegriffen wirſt. Mich ent-
ſetzt es nicht, obgleich ich es mir eben ſo wenig er-
klären kann, wie Jemand ſonſt. Denn daß es eine
verdammte Seele ſei —?“ Kopfſchüttelnd hielt ſie inne.
„Ich weiß wohl, daß Herr Primarius und die geiſt-
lichen Herren würden ſagen, ich ſei keine gute luthe-
riſche Chriſtin, daß ich an der Macht des Teufels zu
zweifeln wage. Aber Herr Sigismund —“
„Die Mutter fuhr auf: „Herr Sigismund! Be-
ſtändig führſt Du ihn auf den Lippen, ſteht er in Dei-
nem Wege. Künftig hältſt Du ihn Dir hübſch ferne
— die große Freundſchaft ziemt ſich nicht mehr. Haſt
Du nicht bemerkt, wie die Käthe Dich anſah, als ſie
von ihm redete? Du brauchſt Dich nicht unnütz in den
Mund der Leute zu bringen. ö
Benigna hatte erſtaunt aufgeblickt. Jetzt ſagte ſie
ſsanft und ruhig, doch entſchieden: „Sigismund En-
gernſtein iſt mir nie mit einer unziemlichen Miene
zu nahe getreten — wird es auch niemals. Ich danke
ihm viel — jedes Wort, das ein ſo kluger Mann ſpricht,
iſt wie ein Samenkorn, das vielfache Frucht bringt,
wenn man es nur aufnimmt in ſeinem Herzen. So
lange ich denken kann, von meiner früheſten Kindheit
an, ſtand Sigismund mir nahe, wie ein lieber Ver-
wandter, ja, wie ein leiblicher Brurer?“
(Fortſetzung folgt.)
Diebſtähle und Verwandlungen.
Im Pariſer Variete⸗Theater tritt gegenwärtig ein
Schauſpieler Namens Morris auf. Derſelbe kommt in
ſchwarzer Kleidung auf die Bühne nnd verwandelt die-
ſelbe vor den Augen der Zuſchauer nach und nach in
das Coſtüm einer Bäuerin, eines Matroſen, einer Ko-
kette, eines Greiſes ꝛc. Dieſer Herr Morris hat nun
dort einen ſehr gefährlichen Concurrenten gefunden,
wenngleich derſelbe ſeine Fertigkeit in einem ganz an-
deren Kunſtzweige practicirt. Seit Langem wurden be-
ſonders die Juweliere und Wechſler Londons von einem
Gauner betrogen, der mit einer unerhörten Kühnheit
und Geſchicktheit zu Werke ging. So tritt z. B. ein
alter, vornehm ausſehender Herr mit grauem Bart in
den Laden und begehrt, einen Brillantſchmuck zu ſehen,
indem er einen ſolchen feiner Gattin zum Geburtstags-
präſent machen wolle. Man zeigt ihm eine Garnitur,
welche er genau beſieht — und mit einem Sprunge
eilt der alte Herr aus dem Laden. Die Commis ſtür-
zen ihm nach — aber er iſt bereits verſchwunden; nur
bei dem Schaufenſter des Ladens ſteht ein junges
Mädchen und betrachtet neugierig die Geſchmeide, ſonſt
iſt Niemand in der Nähe. Ein anderes Mal kommt
ein reich livrirter Bedienter in eine Wechſelſtube und
läßt dort eine große Banknote für ſeinen Herrn wech-
ſeln. Kaum liegen die Münzen vor ihm, ſo rafft er
ſie ſammt der Note zuſammen und ergreift die Flucht.
Mehrere Policemen verfolgen ihn bis zur nächſten
Ecke, dort verſchwindet der Bediente aus den Augen
ſeiner Verfolger, welche blos einen halbtrunkenen Ma-
troſen gewahren, der nichts von dem Bedienten geſehen
haben will. Dieſe Diebſtähle wurden während mehrerer
Monate ſehr zahlreich, ohne daß es gelang, des Thäters
habhaft zu werden. Die Polizei war in Verzweiflung
und glaubte ſchon, es mit dem Teufel in Perſon zu
thun zu haben, bis ſich Folgendes zutrug: Eines Tages
kehrte ein reicher Handelsmann früher als gewöhnlich
nach Hauſe zurück und ſand ſeine Thür erbrochen. Er
ſchlich ſich raſch davon, holte einige Polizeiagenten, von
denen zwei am Hausthore Poſto faßten. Der Handels-
mann und die andern Agenten überraſchten nun in
einem der Zimmer den Dieb in voller Arbeit bei einem
Schreibtiſche. Die Agenten ſtürzten ſich auf den Ein-
brecher, dieſer entwiſchte ihnen aber, lief auf die Stiege
und trat raſch in ein Zimmer, die Agenten ihm nach,
in dem Zimmer war nichts von dem Diebe zu ſehen,
in den blaugrauen Augen auf. „Es thut immerhin
gut, an die Strafe gemahnt zu werden, die der Sünde
folgt!“ Eintönig, wie ihrer unbewußt, fielen die ein-
zelnen Silben von ihren zuckenden Lippen. Offenbar
ſprach ſie mehr zu ſich ſelber, als daß ſie auf die Rede
Käthens geantwortet hätte.
Der Lärm wurde noch ſtärker. „Willſt Du nicht
mit mir herunterkommen, Benigna? O Gott, ſonſt ließ
ſich das Unweſen doch meiſt nur in der Advents⸗ oder
Faſtenzeit vernehmen! Wie oft habe ich ſchon in der
Herzensangſt gelobt, nicht mehr nach den Tanzlauben
zu gehen und ſo gut und fromm zu werden wie Du!“
Sie klammerte ſich an Benigna, die an der Lampe
einen Span entzündet hatte und ſie die Stiege hinab
bis zu ihrer Kammerthür brachte.
„wWenn Du nicht aus Herzensangſt, ſondern aus
Liebe zum Guten die guten Vorſätze faßteſt, wäre ſie
gewiß beſtändiger und fruchtbringender. Bete und ar-
beite. Hätte der unglückliche Volprecht das beherzigt—“
Raſch und raſcher, als treibe, ſporne, hetze Todes-
angſt zur Förderung der Arbeit, fielen Hammerſchläge
im Erdgeſchoß, das unbewohnt war, nur die Schmiede
enthielt. Bei der nächtlichen Stille war das Geräuſch,
für das Niemand eine natürliche Rrſache wußte, das
man daher an eine ſchauerliche Sage knüpfle, um ſo
unheimlicher. Katharina ſchlüpfte in die Kammer und
dann, nachdem ſie die Thür verriegelt hatte, in das
theilt welches ſie mit ihrer zwölfjaͤhrigen Schweſter
eilte.
Benigna kehrte zu ihrer Mutter zurück und legte
ſanft den Arm um deren Hals. „Wie Dein Herz
klopft!“ ſagte ſe bekümmert.
„Wie drunten der Hammer des Nachtſchmieds. Und
— eben ſo vergeblich!“ Es klang kaum verſtändlich.
„Um Gotteswillen, Mutter, wenn Dich der nächt⸗—
liche Lärm ängſtigt, wollen wir die Wohnung verlaſſen.
Wir finden ja in irgend einem ruhigen Hauſe ein
Stübchen und ich will doppelt fleißig ſein, um den
höhern Miethzins zu erſchwingen.“
Ein ablehnendes Kopfſchütteln war die einzige Ant ·
wort. Die Tochter wußte, daß eine Wiederrede nichts
fruchtete und ſetzte ſich zum Spinnrad. „Ich meinte
nicht, daß Du davon ſo angegriffen wirſt. Mich ent-
ſetzt es nicht, obgleich ich es mir eben ſo wenig er-
klären kann, wie Jemand ſonſt. Denn daß es eine
verdammte Seele ſei —?“ Kopfſchüttelnd hielt ſie inne.
„Ich weiß wohl, daß Herr Primarius und die geiſt-
lichen Herren würden ſagen, ich ſei keine gute luthe-
riſche Chriſtin, daß ich an der Macht des Teufels zu
zweifeln wage. Aber Herr Sigismund —“
„Die Mutter fuhr auf: „Herr Sigismund! Be-
ſtändig führſt Du ihn auf den Lippen, ſteht er in Dei-
nem Wege. Künftig hältſt Du ihn Dir hübſch ferne
— die große Freundſchaft ziemt ſich nicht mehr. Haſt
Du nicht bemerkt, wie die Käthe Dich anſah, als ſie
von ihm redete? Du brauchſt Dich nicht unnütz in den
Mund der Leute zu bringen. ö
Benigna hatte erſtaunt aufgeblickt. Jetzt ſagte ſie
ſsanft und ruhig, doch entſchieden: „Sigismund En-
gernſtein iſt mir nie mit einer unziemlichen Miene
zu nahe getreten — wird es auch niemals. Ich danke
ihm viel — jedes Wort, das ein ſo kluger Mann ſpricht,
iſt wie ein Samenkorn, das vielfache Frucht bringt,
wenn man es nur aufnimmt in ſeinem Herzen. So
lange ich denken kann, von meiner früheſten Kindheit
an, ſtand Sigismund mir nahe, wie ein lieber Ver-
wandter, ja, wie ein leiblicher Brurer?“
(Fortſetzung folgt.)
Diebſtähle und Verwandlungen.
Im Pariſer Variete⸗Theater tritt gegenwärtig ein
Schauſpieler Namens Morris auf. Derſelbe kommt in
ſchwarzer Kleidung auf die Bühne nnd verwandelt die-
ſelbe vor den Augen der Zuſchauer nach und nach in
das Coſtüm einer Bäuerin, eines Matroſen, einer Ko-
kette, eines Greiſes ꝛc. Dieſer Herr Morris hat nun
dort einen ſehr gefährlichen Concurrenten gefunden,
wenngleich derſelbe ſeine Fertigkeit in einem ganz an-
deren Kunſtzweige practicirt. Seit Langem wurden be-
ſonders die Juweliere und Wechſler Londons von einem
Gauner betrogen, der mit einer unerhörten Kühnheit
und Geſchicktheit zu Werke ging. So tritt z. B. ein
alter, vornehm ausſehender Herr mit grauem Bart in
den Laden und begehrt, einen Brillantſchmuck zu ſehen,
indem er einen ſolchen feiner Gattin zum Geburtstags-
präſent machen wolle. Man zeigt ihm eine Garnitur,
welche er genau beſieht — und mit einem Sprunge
eilt der alte Herr aus dem Laden. Die Commis ſtür-
zen ihm nach — aber er iſt bereits verſchwunden; nur
bei dem Schaufenſter des Ladens ſteht ein junges
Mädchen und betrachtet neugierig die Geſchmeide, ſonſt
iſt Niemand in der Nähe. Ein anderes Mal kommt
ein reich livrirter Bedienter in eine Wechſelſtube und
läßt dort eine große Banknote für ſeinen Herrn wech-
ſeln. Kaum liegen die Münzen vor ihm, ſo rafft er
ſie ſammt der Note zuſammen und ergreift die Flucht.
Mehrere Policemen verfolgen ihn bis zur nächſten
Ecke, dort verſchwindet der Bediente aus den Augen
ſeiner Verfolger, welche blos einen halbtrunkenen Ma-
troſen gewahren, der nichts von dem Bedienten geſehen
haben will. Dieſe Diebſtähle wurden während mehrerer
Monate ſehr zahlreich, ohne daß es gelang, des Thäters
habhaft zu werden. Die Polizei war in Verzweiflung
und glaubte ſchon, es mit dem Teufel in Perſon zu
thun zu haben, bis ſich Folgendes zutrug: Eines Tages
kehrte ein reicher Handelsmann früher als gewöhnlich
nach Hauſe zurück und ſand ſeine Thür erbrochen. Er
ſchlich ſich raſch davon, holte einige Polizeiagenten, von
denen zwei am Hausthore Poſto faßten. Der Handels-
mann und die andern Agenten überraſchten nun in
einem der Zimmer den Dieb in voller Arbeit bei einem
Schreibtiſche. Die Agenten ſtürzten ſich auf den Ein-
brecher, dieſer entwiſchte ihnen aber, lief auf die Stiege
und trat raſch in ein Zimmer, die Agenten ihm nach,
in dem Zimmer war nichts von dem Diebe zu ſehen,