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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 1- Nr. 8 (5. Januar - 29. Januar)
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Ich hätte, ſo gern ich

wollte. Und ſein Tanzen gar!
auch umherſpringe, lieber hinſtehen und zuſehen mögen,
wie er ſo künſtliche Wendungen um Benigna machte,
die ſittſam, wie immer, die Augen niederſchlug und
dabei hübſcher ausſah, wie all die Andern ſammt der
ſtolzen Vohtalin. Am Hofe des Kaiſers kann man
nicht ſchöner taͤnzen — das dachten gewiß alle Zu-⸗
ſchaute, und ſagten es auch laut und leiſe.“
Benigna's Farbe hatte ſich erhöht.
das Geſicht zum Rädchen nieder und ſpann ſo eifrig,
als gelte es, ſchon morgen dem Meiſter Tuchmacher
ſeine Wolle als Garn abzuliefern. Ihre Anſpruchs-
loſigkeit ſträubte ſich gegen das Lob, womit die Haus-
genoſſin ſtets freigebig gegen ſie war, dennoch erfreute
es ſie, daß ſie gut ausgeſehen hatte. War doch ſchon
die Befürchtung in ihr aufgeſtiegen, daß ſie, nicht da-
ran gewöhnt öffentlich zu tanzen, in ihrer Befangen-
heit ſich linkiſch und ungeſchickt benommen habe. Daß
er dieſe zierliche Leibesübung vortreſflich verſtand, das
hatte ſie allerdings, trotz der niedergeſchlagenen Augen,
wahrgenommen. Und wenn er in übermüthiger Jugend-
luſt zuweilen Miene machte, in ſeinen Schwenkungen
und Wendungen über die Grenzen ſtrengſter bürger-
licher Ehrbarkeit hinauszugehen, dann reichte ihre ſitt-
ſame Zurückhaltung ſogleich hin, ihn in dieſe Grenzen
zurückzuweiſen. Dieſelben wurden ſonſt eben ſo oft,
oder noch öfter von den Vornehmen, den höflich Ge-
bildeten, überſchritten, als von den gemeinen Leuten.
Katharina plauderte inzwiſchen weiter: „Nach Be-
endigung des Tanzes umringten ihn die jungen Leute,
mit der Bitte, ihnen doch einige ſeiner ſchönen Wen-
dungen noch einmal zu zeigen. Das benutzte Benigna.
Sie nahm mich am Arm und führte mich raſch fort.
Der Herr von Keudelitz, der ſehr herablaſſend zu mir
geworden war, ſo daß unſere jungen Geſellen in der
Herberge nicht anders ſein könnten, hielt mich zwar an
der Hand feſt. Er ſchwur, wir müßten noch einmal
mitſammen tanzen und recht hübſch wild, mit tüchtigem
Verdrehungen und Aufwerfen, was erſt eine wahre
Luſt ſei. Doch als Benigna ihn groß anſah — ihr wißt,
Frau Elſabe, ſie kann Einen manchmal mit ihren ſanf-
ten Augenſternen anſchauen, daß man einen Blitz zu
ſehen meint und ſich ordentlich vor dem Einſchlagen
fürchtet — als ſie ihn ſo anblickte, ließ er mich be-
troffen los. Ehe er ſich's verſah und der fremde Ma-
giſter ſich frei machen konnte von Denen, die ihm Lob-
ſprüche ſagten, waren wir draußen und hatten unſere
Schauben um. Ich wäre freilich noch gern länger ge-
blieben —“ ö
Frau Kerbelin unterbrach ſie: „War gar nicht
von Nöthen. Benigna hatte Recht, ſich ſo ſchnell da
von zu begeben. Ein längeres Verweilen hätte aus-
geſehen, als wartet Ihr auf ein weiteres Aufziehen
der Gäſte.“ ö
Katharinen's Miene drückte es ſehr deutlich aus,

daß ſie für ihre Perſon gegen eine zweite Verehrung

gar nichts einzuwenden gehabt. Die Eltern hatten
ihr indeß Aehnliches geſagt und die ſchleunige Ent-
fernung gelobt. „Der Herr Magiſter Engernſtein, der

Tief ſenkte ſie

hübſche Sigismund, wie ihn die Großbürgertöchter nen-
nen, obſchon er nie nach Einer von ihnen ſieht, auch
keinen Scherz treibt mit Geringern, feſt über die Ma-
ßen, oder doch über ſeine Jahre, ehrbar iſt. — Ja,
was ich ſagen wollte — der junge Engernſtein mochte
gleich gemerkt haben, was Benigna im Sinne hatte.
Er war draußen und befahl dem alten Zephanja, uns
heimzuführen, weil die Betglocke bald geläutet würde
und uns unfugtreibende Geſellen begegnen könnten.
So wurden wir denn, wie Geſchlechtertöchter, von
einem Diener mit der Fackel nach Hauſe geleitet.“
Sie warf mit affektirter Vornehm heit den Kopf zu-
rück, ſpreizte ſich geziert und hrach dann in ein luſti-
ges Gelächter aus. 12111
Die alte Frau hatte plötzlich die gute Laune ver-
loren, mit welcher ſie den Bericht aufgenommen. Bei
der Erwähnung Sigismunds öffnete ſie den Mund, um
die Sprecherin heftig zu unterbrechen — ſchloß ihn in-
deß wieder und blickte finſter vor ſich nieder.
„Dein Vater iſt noch ſo fleißig — hat wohl viel
Arbeit?“ Benigna lenkte von dem bisherigen Thema

Dab. Drunten ließen ſich die Hammerſchläge, welche

eine Zeit lang verſtummt waren, von Neuem ver⸗-ͤ
nehmen.
„Der Vater? O nein, er hörte bald nach unſerer
Heimkunft zu arbeiten auf.“ Ein Zug von Aengſtlich-
keit legte ſich über das eben noch ſo fröhliche jetzt er-
bleichende Geſicht Käthchens.
Auch die Leineweberwittwe ſchauerte leicht zuſammen
und faltete dann mechaniſch die Hände. Nur Benigna's
Antlitz blieb klar und ungetrübt, wie ihre Seele.
„Ich fürchte mich noch einmal zu Tode!“ flüſterte
die Schmiedstochter. „Kann es gar nicht ſagen, mit
welcher Angſt ich Nachts die Decke über den Kopf
ziehe, wenn ich das grauſige Gehämmer höre! Wie
ich dann das Ende der Nacht. die keines Menſchen
Freund iſt, herbeiſehne, ſo lange, bis ich vor lauter
Furcht und Schrecken — wieder einſchlafe. Daß der
Vater doch auch dieſes Haus kaufen mußte!“
„Er bekam es wohlfeil!“
„Ja, weil es vor dem greulichen Spuk kein Menſch
aushalten konnte. Du haſt gut reden, Ben gna —
fürchteſt Dich nicht, was ich gar nicht begreife!“
„Stehen wir denn nicht in Gottes Hand?“
„Aber der Böſe hat viel Gewalt hienieden!“ —
Das übermüthige Mädchen ſchien völlig verwandelt —
der Aberglaube ihrer Zeit machte ſich mit ganzer Macht
geltend. Doch dauerte dieſe Wandlung eben nur ſo
lange, als ſich das uuheimliche Geräuſch, das Hämmern
des ſogenannten Nachtſchmieds, vernehmen ließ. Dann

bekam wieder ihre an Leichtſinn ſtreifende Munterkeit
die Oberhand, „Der Vater und ſelbſt die Mutter den-

ken wie Du. Sie beten das Vaterunſer und Bibel-
verſe und ſind gewiß, damit jegliche unbeimliche An-
fechtung aus dem Felde zu ſchlagen. Aber daß Ihr,

Frau Elſabe, hier wohnen mögt? — Obgleich es mir

ein großer Troſt iſt, begreife ich es nicht.“
Aus dem ohnehin gelblich bleichen Antlitz der Frau
war jeglicher Hauch von Lebensfarbe gewichen. — Ein
 
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