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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 26 - Nr. 34 (1. April - 29. April)
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Heidelberger

Mittwoch, den 12. April 1876.

Nr. 29.

9. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgaſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.



Der Geiger.
Ein Lebensbild aus dem Franzöſiſchen von Bentgen.
(Fortſetzung.)

Während wir ſo plauderten, hatte Jeannie vom
Schoß eines halberwachſenen Mädchens ein hübſches Kind
genommen, das glücklich lächelnd ihr die Aermchen ent-
gegenſtreckte. ö ö
Du bringſt ſie uns heute Abend wieder, nicht wahr,
bat das Mädchen, welches der Grenzwächter mir als
das älteſte Kind von Job Sainker bezeichnete und die
ſich augenſcheinlich nur ungern von ihrer lieben Laſt
trennte. ö ö
Ja, fügte eine Matrone hinzu, die von fern dem
Tanz zuſaß, Du ſollſt auch. Deinen Feſttag haben, wie
Ahle andern, Jeannie, Du ißt heute bei uns zu Abend!
Das iſt Job's Frau, bemerkte der Grenzwächter.
Ich weiß nicht, ob es anderen Menſchen auch ſo
geht, aber ich empfinde ſtets eine Aufwallung von Zorn
in mir, wenn ich einen irgend wie hervorragenden Mana
an eine anſcheinend ihm nicht ebenbürtige Frau gefeſſelt
ſehe. Dies mag ſich auch diesmal wohl im Ton meiner
Stimme ausgedrückt haben, als ich die Frage that:
„Wie dieſe gelbe gewöhnliche Frau dort?“ —
„Sie war ihrer Zeit friſch, erwiderte etwas pikirt der
Wächter, aber auch die Schönſte verliert, wenn ſie Kin-
der geboren und aufgezogen hat. Dagegen iſt ſie eine
gute Hausfrau.
Sie ſcheint viel älter als er?
Etwas und Job befindet ſich gut dabei. Seine ver-
ſtorbene Mutter, die eine kluge verſtändige Frau war,
hat ſie für ihn ausgeſucht, indem ſte wohl wußte „ daß
ihr Sohn mehr Herz als Kopf hat und vom Haushal-
ten nichts verſtände.
Und leben ſie glücklich zuſammen? ö
Gewißlich, war die ſehr beſtimmte Antwort meines
Gefährten. Die einzigen Verdrießlichkeiten, die ſie je-
mals zuſammen gehabt, hat nur der Herr Paſtor ver-
anlaßt. Die Frau leidet unter dem Haß und den Ver-
folgungen dieſes Mannes, weil ſie fromm iſt, — aber
eine gute Fromme, mein Herr. — Haben Sie geſehen,
wie freundlich ſie vorhin mit der armen Jeannie ge-
ſprochen hat? Niemand ſonſt wagt dies zu thun.
Es war richtig, wie der Wächter erzählt hatte, bei

viemals ihren Fehlteitt entgelten laſſen.

Sainker's und nur allein bei ihnen hatte Jeannie Ker-
lanou einigen Troſt in ihrer traurigen Lage einer Aus-
geſtoßenen gefunden, obſchon ſie in allen Häuſern des
Orts ein und ausging. Sie begegnete überall nur Miß-
achtung oder einem Mitleiden, das womöglich noch krän-
kender war. Bei Sainker's liebte und ſchätzte man ſie,
wie ſte es in Wahrheit verdiente. Dieſe Famitie war

durch Job's Kämpfe mit dem Prieſter, die Letzterer ganz

allein hervorgerufen hatte, gewiſſermaßen ſchon von der
Kirche ausgeſtoßen und konnte vermuthlich deßwegen nach-
ſichtiger ſein als die Andern; fie brauchten in dieſer
Hinſicht auf ihren Raf keine Rückſicht mehr zu nehmen.
Wie dem nun auch war, die Hausfrau hatte Jeannie
Sie machte es
auch nicht wie andere gutherzige Seelen, die ſie wegen
ihrer Reue belobten und ſie ermahnten auf dieſem Wege
der Buße fortzufahren. Aber wenn ſie ſah, wie das
arme Mädcheu bei dem Gedanken, was aus ihrer Toch-
ter werden ſolle, wenn ſie ſelbſt nicht mehr da ſei, be-
kümmert war, ſo trözete die guie Frau ſie mit den
Worten: Quäle Dich doch nicht mit ſolchen Gedanken.
Drei oder vier Kinder aufzuziehen kommt auf eins her-
aus und Job verdient mehr Geld als wir brauchen.
Deine Reinette iſt ein kleines Engelchen, ich hoffe, Du
würdeſt Dich nicht weigern, ſie mir für dieſen Fall zum
Geſchenk zu machen. Wenn dann Jeannie vor Thränen
des Dankes und der Rührung keine Worte mehr finden
koante, ſchien ihre großmüthige Beſchützerin dies nicht zu
bemerken, und ſchickte das Mädchen mit irgend welcher
Verrichtung in den Garten. Sainkers beſaßen nämlich
neben ihrem Feld noch — etwas außergewoͤhnliches für
einen bretagniſchen Bauern — einen kleinen Blu-
mengarten; Job liebte Alles was ſchön und über-
flüffig war. In dieſem Garten hatte er ſich im Schat-
ten eines Feigenbaumes eine Moosbank errichtet mit der
Aufſicht auf das Meer und da ſpielte der Geiger an
ſchönen Sommerabenden noch beſſer als er dies vor der
verſammelten Menge that, ohne weitere Zuhörer als
ſeine Kinder, die mit der kleinen Reinette ſpielten und
Jeannie, die ſeiner Frau bei irgend einer Handarbeit
behilflich war. ö
Dieſes ſchöne, gewöhnlich ſo ſanfte Antlitz, auf
welches er nach ſeinem Belieben alle die Regungen her-
vorrufen koante, die dem Künſtler innewohnten, begei-
ſterte Job vielleicht mehr als er dies ſelbſt ahnte. Er
fühlte inſtinktmäßig, daß ſie das meiſte Verſtändniß für
 
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