—.—.
Nr. 49.
Volkoblatt.
Mittwoch, den 21. Juni 1876.
9. Jahrg.
erſchent Wittwoch d Sanfag. Preis monatlich 36 Uf Enzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verlezer, Schiftzaſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.
Die Praſibeutin.
Krinhalheſchicht von J. O. H. emme.
Die Mordnacht auf Romnike.
Dem heißen Tage war ein ſchwüler Abend gefolgt.
Die Sonne hatte vierzehn Stunden lang an dem wol-
kenloſen Himmel gebrannt. Sie ſandte ihre letzten Strah-
len den Haiden, den Fluren, den Wäldern Litthauens,
auch dem Schloſſe Romnike. Das Kupferdach des Thur-
mes auf dem alten Schloſſe leuchtete wie in dunklen
Feuers flammen; heller glänzten die vergoldeten Zahlen
auf dem großen Zifferblatte der Thurmuhr. Fünf Mi-
nuten vor acht meldete der Zeiger. ö —
Das Schloß lag mit ſeinen Nebengebäuden und ſeiner
ganzen Umgebuns in der tiefſten Stille des Abends. Man
ſah keinen Menſchen und kein Thier; man vernahm kein
Geräuſch, keinen Laut; nur hinten aus din Pferdeſtällen
drang zuwe len ein Ton herüber, der anzeigte, daß ein
Roß das friſch untergelegte Stroh ſtampfte und den Ha-
fer in der Krippe mit einem tiefen Wiehern begrüßte.
Sie hatten alle in der langen Tazeshitze ihre ſchwere
Arbeit gehabt; ſie ruhten jetzt aus.
Oer Zeiger auf dem Zifferblatte der Thurmuhr war
weiter gerückt; die Uhr ſchlug acht. —
Aus eiger Seitenthür des Schloſſes trat eine ältliche
Frau hervor; aus dem hohen mittleren Schloßportal
ſchritt eia Mann in mittleren Jahren. Beide mußten
zu der Dienerſchaft des Schloſſes gehören. Diener innen
eines vornehmen Hauſes ſieht man ihre Stellung auf den
erſten Blick an. Der Diener war ſchwarz gekleidet trug
eine weize Halsbinde, wiiße Handſchuhe; er war bar-
»haupt. Alles an ihm war faſt peinlich ſauber; das braune
Haar ſorgfältig geſcheitelt und geglättet. Die Dieneria
trug hellere Kleidung, aber Alles von ſoliden Stoff, ron
einfachem Schaitt; ſie glich einer Nau des gut ſituirten
— Bürgerſtaades. Auch ſie hatte ein welzes Ausſehen durch
das blaßſe verſtändnißvolle Geſicht ſchien zuweilen ein zu-
rückgevaltener Gram ſich zu ziehen. reremen;
Sie waren gleichzeitig auf den Schloßhof getreten,
wohl mit dem Schlag der Uhr, ohne das Eins von dem
Apderen wußte, aber doch wohl mit der Gewißheit, daß
ſie ſich treffen würden.
ſammen. ö
ſten Rittergütern Litthauens.
Sie ſahen ſich; ſie taten zu-
Der Mann war der Kammerdiener des Schloßherrn;
die Fran war die Kammerfrau der Schloßherrin.
Schloßherr war der General der Kavallerie, Graf
Waldern. Er bewohnte mit ſeiner Gemahlin das Schloß
ſeit etwa einem halben Jahre. Als die Feſtlichkeiten und
Vergnügungen des Winters in der Refidenz begonnen,
hatten ſie die Stadt verlaſſen und in die Stille und Ein-
ſamkeit des rauhen Litthau'ſchen Winters ſich zuruͤckge-
zogen, die beiden Gatten alleln, mit wenizer Dienerſchaft.
Sie hatten hier ſtll und eiaſam gelebt; ſie lebten hier
noch ſo.
Das Gut Ronnike gehörte zu den größten und reich-
Es war früher eine könig-
liche Domaine geweſen; der Köuig hatte es dem Grafen
Waldern, ſeinem treuen, muthizen, umſichti ꝛen und glück-
lichen Feldherrn, zum Geſchenk gemacht. Die große Be-
fitzung dehate mit ihren Aeckero, Wäldern, Weiden Vor-
werken weit an der raſſiſchen Grenze entlang und tief in
das preußiſche lithauiſche Land hinein ſich aus. Das
bera. lag kaum fünfzehn Minuten von der Grenze ent-
ernt. ö ö
„Zum Thee, Georg?“ fragte die Kammerfrau den
Kammerdiener.
„Zum Thee Frau Erhard,“ war die Antwort.
Sie ſchritten zuſam nen in den Schloßhof hinein.
Der Schloßhof war ein weites längliches Viereck.
Dem offenen Einzang gegenüber lag das Schleß; die
ganze rechte Langſeite wurde von Wirthſchafts⸗ und an-
deren Nebengebäuden eingenommen; links ſchlos ſich der
Schloßpark an, deſſen Wege unmittelbar in den auch hier
offenen Schloßhof einmündeten. ö
Der Diener und die Dienerin waren eine Weile
ſchweigend neben einander gegangen. Der Kammerdiene“
brach das Schweigen. ö ö
Ich finde Sie heute beküm nert, Frau Ehrhart.
Ich wüßte nicht, daß ich anders wäre als ſonſt, war-
die Erwiderung der Kam nerfrau. ö
Ooch! Und ich meine, es muß Ihnen etwas begeg-
net ſein.
Durchaus nichts, Georzg! ö
Die Frau verſicherte es ehrlich; es lag dennoch
elwas Gedrücktes in tzrer Aatwort.
Freilich, meinte der Diener, wes könnte Iinen auch-
begegnet ſein! Sie leben den einen Taz wie den andern,
Nr. 49.
Volkoblatt.
Mittwoch, den 21. Juni 1876.
9. Jahrg.
erſchent Wittwoch d Sanfag. Preis monatlich 36 Uf Enzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verlezer, Schiftzaſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.
Die Praſibeutin.
Krinhalheſchicht von J. O. H. emme.
Die Mordnacht auf Romnike.
Dem heißen Tage war ein ſchwüler Abend gefolgt.
Die Sonne hatte vierzehn Stunden lang an dem wol-
kenloſen Himmel gebrannt. Sie ſandte ihre letzten Strah-
len den Haiden, den Fluren, den Wäldern Litthauens,
auch dem Schloſſe Romnike. Das Kupferdach des Thur-
mes auf dem alten Schloſſe leuchtete wie in dunklen
Feuers flammen; heller glänzten die vergoldeten Zahlen
auf dem großen Zifferblatte der Thurmuhr. Fünf Mi-
nuten vor acht meldete der Zeiger. ö —
Das Schloß lag mit ſeinen Nebengebäuden und ſeiner
ganzen Umgebuns in der tiefſten Stille des Abends. Man
ſah keinen Menſchen und kein Thier; man vernahm kein
Geräuſch, keinen Laut; nur hinten aus din Pferdeſtällen
drang zuwe len ein Ton herüber, der anzeigte, daß ein
Roß das friſch untergelegte Stroh ſtampfte und den Ha-
fer in der Krippe mit einem tiefen Wiehern begrüßte.
Sie hatten alle in der langen Tazeshitze ihre ſchwere
Arbeit gehabt; ſie ruhten jetzt aus.
Oer Zeiger auf dem Zifferblatte der Thurmuhr war
weiter gerückt; die Uhr ſchlug acht. —
Aus eiger Seitenthür des Schloſſes trat eine ältliche
Frau hervor; aus dem hohen mittleren Schloßportal
ſchritt eia Mann in mittleren Jahren. Beide mußten
zu der Dienerſchaft des Schloſſes gehören. Diener innen
eines vornehmen Hauſes ſieht man ihre Stellung auf den
erſten Blick an. Der Diener war ſchwarz gekleidet trug
eine weize Halsbinde, wiiße Handſchuhe; er war bar-
»haupt. Alles an ihm war faſt peinlich ſauber; das braune
Haar ſorgfältig geſcheitelt und geglättet. Die Dieneria
trug hellere Kleidung, aber Alles von ſoliden Stoff, ron
einfachem Schaitt; ſie glich einer Nau des gut ſituirten
— Bürgerſtaades. Auch ſie hatte ein welzes Ausſehen durch
das blaßſe verſtändnißvolle Geſicht ſchien zuweilen ein zu-
rückgevaltener Gram ſich zu ziehen. reremen;
Sie waren gleichzeitig auf den Schloßhof getreten,
wohl mit dem Schlag der Uhr, ohne das Eins von dem
Apderen wußte, aber doch wohl mit der Gewißheit, daß
ſie ſich treffen würden.
ſammen. ö
ſten Rittergütern Litthauens.
Sie ſahen ſich; ſie taten zu-
Der Mann war der Kammerdiener des Schloßherrn;
die Fran war die Kammerfrau der Schloßherrin.
Schloßherr war der General der Kavallerie, Graf
Waldern. Er bewohnte mit ſeiner Gemahlin das Schloß
ſeit etwa einem halben Jahre. Als die Feſtlichkeiten und
Vergnügungen des Winters in der Refidenz begonnen,
hatten ſie die Stadt verlaſſen und in die Stille und Ein-
ſamkeit des rauhen Litthau'ſchen Winters ſich zuruͤckge-
zogen, die beiden Gatten alleln, mit wenizer Dienerſchaft.
Sie hatten hier ſtll und eiaſam gelebt; ſie lebten hier
noch ſo.
Das Gut Ronnike gehörte zu den größten und reich-
Es war früher eine könig-
liche Domaine geweſen; der Köuig hatte es dem Grafen
Waldern, ſeinem treuen, muthizen, umſichti ꝛen und glück-
lichen Feldherrn, zum Geſchenk gemacht. Die große Be-
fitzung dehate mit ihren Aeckero, Wäldern, Weiden Vor-
werken weit an der raſſiſchen Grenze entlang und tief in
das preußiſche lithauiſche Land hinein ſich aus. Das
bera. lag kaum fünfzehn Minuten von der Grenze ent-
ernt. ö ö
„Zum Thee, Georg?“ fragte die Kammerfrau den
Kammerdiener.
„Zum Thee Frau Erhard,“ war die Antwort.
Sie ſchritten zuſam nen in den Schloßhof hinein.
Der Schloßhof war ein weites längliches Viereck.
Dem offenen Einzang gegenüber lag das Schleß; die
ganze rechte Langſeite wurde von Wirthſchafts⸗ und an-
deren Nebengebäuden eingenommen; links ſchlos ſich der
Schloßpark an, deſſen Wege unmittelbar in den auch hier
offenen Schloßhof einmündeten. ö
Der Diener und die Dienerin waren eine Weile
ſchweigend neben einander gegangen. Der Kammerdiene“
brach das Schweigen. ö ö
Ich finde Sie heute beküm nert, Frau Ehrhart.
Ich wüßte nicht, daß ich anders wäre als ſonſt, war-
die Erwiderung der Kam nerfrau. ö
Ooch! Und ich meine, es muß Ihnen etwas begeg-
net ſein.
Durchaus nichts, Georzg! ö
Die Frau verſicherte es ehrlich; es lag dennoch
elwas Gedrücktes in tzrer Aatwort.
Freilich, meinte der Diener, wes könnte Iinen auch-
begegnet ſein! Sie leben den einen Taz wie den andern,