Heidelberger Vollisblatt.
Nr. 22.
Samſtag, den 18. März 1876.
9. Jahrg.
Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgaſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. ö
Die Streichholzbüchſe.
Reiſeabenteuer in Auſtralien.
Vor einiger Zeit befand ich mich mit Lilly Trot im
„Buſch“, wie wir in Auſtralien die noch unbebauten
Landtheile nennen; Lilly Trot war mein Reiſegenoſſe,
den ich mir deßhalb angeſchafft hatte, weil ich in das
Innere von Victoria dringen mußte, wo das Reiſen
einem Einzelnen ſehr gefährlich wird; freilich kommt es
den Buſchbewohnern auch nicht darauf an, gleich zwei
auf einmal todtzuſchlagen, aber es iſt doch etwas um-
ſtändlicher. Außerdem wollte ich Geſellſchaft auf dem
langen Wege haben; ohne Plaudern durch die weiten
Ebenen, durch die eintönigen Wälder zu reiten, iſt nicht
für Jedermann, am allerwenigſten für mich.
Vor Allem muß ich melden, daß Lilly Trot — ein
Oeportirter auf Lebenszeit aus England war; er hatte
damit nie hinterm Berge gehalten und machte ſich durch-
aus nichts daraus, ob es ein Anderer wußte oder nicht.
Dies hatte wohl darin ſeinen Grund, daß er in ſeinem
Mißgeſchick nicht allein ſtand. Tauſende von Koloniſten
leöten und leben noch jetzt in Auſtralien, die die Reiſe
von England bis zu ihren Antipodien ganz umſonſt ge-
habt haben, und die mit einer Seelenruhe, einer Unge-
zwungenheit ſich bewegen, wie ein Reicher auf der Pro-
menade eines beſuchten Badeortes. ö
Wir waren Beide zu Pferde und hatten wollene
Decken hinten aufgeſchnallt, um im Buſch auch ſchlafen
zu können.
In der Taſche hatte ich meinen Revolver und Lilly
Trot trug an einer Schnur am Arme einen ganz ab-
ſcheulich ausſehenden Lebensvertheidiger. Er ſprach un-
verholen ſeine Verachtung gegen Flinten, Piſtolen und
alle Schießwaffen aus, die alle, ſeiner Anſicht nach,
gegen die Bleiknöpfe ſeiner Waffe nicht aufkommen konn-
ten. Man hatte mir ſchon früher erzählt, daß er zwei
oder drei Bleikugeln in ſeinem Körper mit herumſchleppe,
die ihm aber nicht die geringſten Unbequemlichkeiten be-
reiteten; daher wohl ſeine Mißachtung der Schußwaffen.
Wir ritten langſam einen eintönigen, langweiligen
Pfad entlang, zu deſſen Seiten ſich hin und wieder ein
halbverdurſteter- Baum befand. Die Luchs⸗Augen Lilly
Trots ſchweiften nach allen Richtungen; hin und wieder
zeigte er mir eine Vertiefung oder einen Hügelabhang
in der Ferne, wo ſeiner Anſicht nach ein Goldgräber
zu thun finden könnte, wenn er nur ordentlich ſuchte.
Dieſer Nachſatz könnte überflüſſig erſcheinen, da man
eigentlich ohne Sachen nichts finden kann; hier aber
war es vor gar nicht zu langen Zeiten anders geweſen.
Gold lag meiſtens gleich auf der Oberfläche des Bodens;
die Quaze waren im Laufe der Jahrhunderte verwittert
und die edlen Metallkörner unverſehrt geblieben; dort,
wo die Goldkörner auf den Hügelzügen ſich mit der Erde
vermiſcht befanden, hatte der Regen die Erde weggeſp ült
und die blitzenden glänzenden Goldkörner lagen offen da
für den glücklichen Finder.
„Wird wohl bald wieder eine Geſellſchaft kommen“,
meinte Lilly Trot, „vielleicht gehe ich ſelbſt hierher und
fange das Geſchäft noch einmal an; ſezen Sie dort,
wo der Hügel einen Sattel bildet, da liegt das meiſte
Gold!“ Er ſprach das mit feſter Ueberzeugung; da
mir aber an der ganzen Gegend durchaus nichts auf-
fiel, was auf einen Goldfund ſchließen ließ, ſchüttelte
ich ungläubig den Kopf. Lilly Trot war zu ſtolz, meine
Zweifel zu beſeitigen. ö
Unſer Weg war der ödeſte, langweiligſte, den man
ſich denken kann; eine unabſehbare Ebene ſchien vor
uns zu liegen, auf der die Sonne alles verbrannt hatte,
Das Bellen eines Hundes, das Bezegnen von Zimmer-
leuten, welche Bäume fällen wollten, war das Einzige,
was uns in zwei Tagen aufſtieß. Es war wieder Abend
geworden; wir ritten durch niedriges Buſchwerk, von
dem Tauſende von Flie gen und Mücken bei unſerer An-
näherung aufſtiegen, um uns auf das Schrecklichſte zu
quälen; es ſchien faſt, als wenn wir die einzigen noch
lebenden Menſchen wären, denn kein Laut, der auf die
Nähe Anderer hätte ſchließen laſſen, traf unſer Ohr
ſchon ſeit geraumer Zeit; das Reich der Todten lag vor
uns. Stille überall, nur das läſtige Summen der Mü-
cken und das Verbrechen der dürren Zweige unter den
Hufen unſerer Pferde.
Ich war nachgerade in einem Zuſtande vollkomme-
ner geiſtiger Abgeſpanntheit verſunken; an meinem Auge
zogen langſam die niedrigen Büſche im Halbdunkel vor-
über, meine Körperbewegung blieb bei dem gleichmäßi-
gen, langſamen Schritt meines ermüdeten Pferdes ſtets
dieſelbe. Da werde ich plötzlich durch ein Pfeifen er-
weckt; die lieblichſten Töne, ſo weich und ſchmelzend, wie
ich ſie noch niemals gehört, trafen mein Ohr. ch ſam-
melte meine Gedanken und blickte auf, unn ſehen,
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Nr. 22.
Samſtag, den 18. März 1876.
9. Jahrg.
Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgaſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. ö
Die Streichholzbüchſe.
Reiſeabenteuer in Auſtralien.
Vor einiger Zeit befand ich mich mit Lilly Trot im
„Buſch“, wie wir in Auſtralien die noch unbebauten
Landtheile nennen; Lilly Trot war mein Reiſegenoſſe,
den ich mir deßhalb angeſchafft hatte, weil ich in das
Innere von Victoria dringen mußte, wo das Reiſen
einem Einzelnen ſehr gefährlich wird; freilich kommt es
den Buſchbewohnern auch nicht darauf an, gleich zwei
auf einmal todtzuſchlagen, aber es iſt doch etwas um-
ſtändlicher. Außerdem wollte ich Geſellſchaft auf dem
langen Wege haben; ohne Plaudern durch die weiten
Ebenen, durch die eintönigen Wälder zu reiten, iſt nicht
für Jedermann, am allerwenigſten für mich.
Vor Allem muß ich melden, daß Lilly Trot — ein
Oeportirter auf Lebenszeit aus England war; er hatte
damit nie hinterm Berge gehalten und machte ſich durch-
aus nichts daraus, ob es ein Anderer wußte oder nicht.
Dies hatte wohl darin ſeinen Grund, daß er in ſeinem
Mißgeſchick nicht allein ſtand. Tauſende von Koloniſten
leöten und leben noch jetzt in Auſtralien, die die Reiſe
von England bis zu ihren Antipodien ganz umſonſt ge-
habt haben, und die mit einer Seelenruhe, einer Unge-
zwungenheit ſich bewegen, wie ein Reicher auf der Pro-
menade eines beſuchten Badeortes. ö
Wir waren Beide zu Pferde und hatten wollene
Decken hinten aufgeſchnallt, um im Buſch auch ſchlafen
zu können.
In der Taſche hatte ich meinen Revolver und Lilly
Trot trug an einer Schnur am Arme einen ganz ab-
ſcheulich ausſehenden Lebensvertheidiger. Er ſprach un-
verholen ſeine Verachtung gegen Flinten, Piſtolen und
alle Schießwaffen aus, die alle, ſeiner Anſicht nach,
gegen die Bleiknöpfe ſeiner Waffe nicht aufkommen konn-
ten. Man hatte mir ſchon früher erzählt, daß er zwei
oder drei Bleikugeln in ſeinem Körper mit herumſchleppe,
die ihm aber nicht die geringſten Unbequemlichkeiten be-
reiteten; daher wohl ſeine Mißachtung der Schußwaffen.
Wir ritten langſam einen eintönigen, langweiligen
Pfad entlang, zu deſſen Seiten ſich hin und wieder ein
halbverdurſteter- Baum befand. Die Luchs⸗Augen Lilly
Trots ſchweiften nach allen Richtungen; hin und wieder
zeigte er mir eine Vertiefung oder einen Hügelabhang
in der Ferne, wo ſeiner Anſicht nach ein Goldgräber
zu thun finden könnte, wenn er nur ordentlich ſuchte.
Dieſer Nachſatz könnte überflüſſig erſcheinen, da man
eigentlich ohne Sachen nichts finden kann; hier aber
war es vor gar nicht zu langen Zeiten anders geweſen.
Gold lag meiſtens gleich auf der Oberfläche des Bodens;
die Quaze waren im Laufe der Jahrhunderte verwittert
und die edlen Metallkörner unverſehrt geblieben; dort,
wo die Goldkörner auf den Hügelzügen ſich mit der Erde
vermiſcht befanden, hatte der Regen die Erde weggeſp ült
und die blitzenden glänzenden Goldkörner lagen offen da
für den glücklichen Finder.
„Wird wohl bald wieder eine Geſellſchaft kommen“,
meinte Lilly Trot, „vielleicht gehe ich ſelbſt hierher und
fange das Geſchäft noch einmal an; ſezen Sie dort,
wo der Hügel einen Sattel bildet, da liegt das meiſte
Gold!“ Er ſprach das mit feſter Ueberzeugung; da
mir aber an der ganzen Gegend durchaus nichts auf-
fiel, was auf einen Goldfund ſchließen ließ, ſchüttelte
ich ungläubig den Kopf. Lilly Trot war zu ſtolz, meine
Zweifel zu beſeitigen. ö
Unſer Weg war der ödeſte, langweiligſte, den man
ſich denken kann; eine unabſehbare Ebene ſchien vor
uns zu liegen, auf der die Sonne alles verbrannt hatte,
Das Bellen eines Hundes, das Bezegnen von Zimmer-
leuten, welche Bäume fällen wollten, war das Einzige,
was uns in zwei Tagen aufſtieß. Es war wieder Abend
geworden; wir ritten durch niedriges Buſchwerk, von
dem Tauſende von Flie gen und Mücken bei unſerer An-
näherung aufſtiegen, um uns auf das Schrecklichſte zu
quälen; es ſchien faſt, als wenn wir die einzigen noch
lebenden Menſchen wären, denn kein Laut, der auf die
Nähe Anderer hätte ſchließen laſſen, traf unſer Ohr
ſchon ſeit geraumer Zeit; das Reich der Todten lag vor
uns. Stille überall, nur das läſtige Summen der Mü-
cken und das Verbrechen der dürren Zweige unter den
Hufen unſerer Pferde.
Ich war nachgerade in einem Zuſtande vollkomme-
ner geiſtiger Abgeſpanntheit verſunken; an meinem Auge
zogen langſam die niedrigen Büſche im Halbdunkel vor-
über, meine Körperbewegung blieb bei dem gleichmäßi-
gen, langſamen Schritt meines ermüdeten Pferdes ſtets
dieſelbe. Da werde ich plötzlich durch ein Pfeifen er-
weckt; die lieblichſten Töne, ſo weich und ſchmelzend, wie
ich ſie noch niemals gehört, trafen mein Ohr. ch ſam-
melte meine Gedanken und blickte auf, unn ſehen,
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