heidelberger Volksblatt.
Nr. 8. ½
Samſtag, den 2. Dezember 1876.
9. Jahrg.
erſcheint jeden Dienſtag, Donnerſtag und Samſtag. Preis monatlich 86 Pf. Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Ver-
leger, Schiffgaſſe 4 und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.
Das verkaufte Herz.
Eine Erzählung von Max Ring.
(Fortſetzung.)
Dennoch verlor Robert nicht die Beſiunnng, mit be-
wu dernngswürdiger Energie gab er die nötzizen Be-
fehle zum Transport der Leichen und Verwundeten. Er
ſelbſt legte überall zuerſt Hand an und ordnete den trau-
rigen Zug, der ſich langſam unter dem Vorantritt der
Fackelträger durch den dunklen Tunnel bewegte. Er
ſelbſt war der Letzte, der die Unglücksſtätt: verließ. Erſt
nachdem er Alle in Sicherheit gebracht und die noch
Lebenben gerettet hatte, brach er, erſchoͤpft von der über-
menſchlichen Anſtrengung und Aufrezung neben den
Todten zuſammen.
11.
Als Robert aus ſeiner tiefen Betäubung erwachte,
wußte er nicht, wo er ſich befand und was mit ihm
geſchehen war. Sein icrer Blick fiel auf ihm gänzlich
fremde Umgebuag, ſo daß er einen ſchweren Traum ge-
traͤumt zu haben, oder noch zu traumen glauste. Erſt
nach und nach kehrte ſeine Beſtanung wieder uad er er-
kannte, daß er nicht in ſeinem Hauſe ſei.
Wie er fetzt bemerken konnte, lag er in einem kleinen
Zimmer auf einem einfachen, aber reinlichen Bett, neben
dem eig Tiſch mit Medizinflaſchen ſtand. Sollte er krank
geweſen ſein? — Sein Kopf war ſo wüſt, als ob ihn
tin heftiger Schlag getroffen hätte, und das Nachdenken
ſtel ihm ſo ſchwer, daß er laum einen Sedauken feſt-
halten konnte. Er wollte aufſtehen, aber er vermochte
kaum ein Glied zu rühren und ſank bald wieder in die
Kiſſen ſeines Lagers vor Schwäche zurück.
Was hatte das Alles zu bedeuten? Wie war er
hierhergekommen? Weßhalb ließ ſich ſeine Frau nicht
ſehen? Was war nit ihm vorgegangen.
daäͤmmert: ſein Bewußtſein, erweichte die Erin nerusg an
das furchtbare Exeizniß, an die Schreckensſzenen, welche
er vor Kurem erlert hatte. Vor ſeinem Geiſte ſtand
der Einſturz des Tunneis, das Biid der blutigen Lei-
chen, der Jammer den Verwand ten. Der wohltzätige
Schleier, welcher ihm das Uaglück verzüllte, war zer-
riſſen und die furchtbare Wahrheit traf ihn wie ein ver-
Allmählig
nichtender Blitz. Es war kein Traum, ſondern entſetz-
liche Wirklichkeit. Unwillkürlich fließ er einen Schrei aus.
Er war nicht allein; aus der anſtoßenden Kammer
trat eia großer ſtarker Mann, der ihn mit ſeinen gut-
müthigen Augen bekümmert anublickte und ſich Roberts
Lager ſo leiſe näherte, als es nur den rieſigen Beinen
möglich war. Dieſer ſtarrte überraſcht den ſeltſamen
Krankenwärter an, der kein Anderer, als der ehrliche
Ackerbürger Krauſe war.
„Was wünſchen Sie?“ fragte dieſer, ſeine mächtige
Baßſtimme zu einem mäßigen Brummen dämpfend.
„Ich will wiſſen, wo ich bin?“
„Bei mir, in meinem Hauſe, in Schönfeld.“
„Und wie lanze lieze ich ſchog hier?“
„Morgen werden es gerade vier Wochen ſein.“
„Das kann ja nicht möglich ſein“, erwiderte Robert
überraſcht. „Ich bin ja erſt geſtern nach Schönfeld ge-
kommen.“ ö
„Wenn Sie mir nicht glauben wollen, ſo fragen Sie
den Doctor. Der wird Ihnen ſagen, was Ihnen ge-
fehlt hat. Ich habe mir den lateiniſchen Namen nicht
gemerkt, aber ich weiß nur, daz Sie ſehr k ank geweſen
ſind und daß Niemand geglaubt hat, daß Sie es durch-
machen werden. Eigentlich ſoll ich es Ihnen gar nicht
ſagen und der Dector wird mich gewiß deßhalb aus-
zanken. Er hat mir ſtreng bef ohlen, mit Ihnen nicht
viel üder Ihre Krankheit zu ſprechen, weil Sie das auf-
regen kaun. Wie er ſagte, müſſen Sie ſich noch ſchonen.“
Damit erhob ſich der Ackerbürger, um ras Zimmer
wieder zu verlaſſen, aber Rodert bat ihn ſo dringend,
noch einen Augenblick zu verweileg, daß der gutmüthi ze
Wilhelm nicht zu widerſtehen vermochte und ihm trotz
des ärztlichen Verbotes Alles mütheilte, was er voa ihm
zu wiſſen verlangt:. Zu ſeiner nicht geringen Ueber-
raſchung erſuſr jetzt Robert, daß er in Folge der auf
ihn eiaſtürmenden Gerüthbewezungen und koͤrperlichen
Anſtrengungen au eizen heftigen Nervenfieber gelltten
habe; weshals er auch in Schoͤnfeld zurückgeblieben war,
da der Arzt bei dieſem geſäyrlichen Zuſtand den Traus-
port nach der Stadt nicht erlanben wollte. In Erm an-
gelung eines anderen Unter kem neus hatte der treue Krauſe
ihn bei ſich aufgenommen und mit Hilſe ſeiger alten Magd
verpfleg, ohne an die damit verbundene Gefahr und an-
bere Uaannehmlichkeiten zu denken. ö
„Und he ſich ſonſt Niemand um mich gekümmert ?“
fragte Robert, nachdem er ſein volles Bewustſein wieder
erhalten hatte. ö
Nr. 8. ½
Samſtag, den 2. Dezember 1876.
9. Jahrg.
erſcheint jeden Dienſtag, Donnerſtag und Samſtag. Preis monatlich 86 Pf. Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Ver-
leger, Schiffgaſſe 4 und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.
Das verkaufte Herz.
Eine Erzählung von Max Ring.
(Fortſetzung.)
Dennoch verlor Robert nicht die Beſiunnng, mit be-
wu dernngswürdiger Energie gab er die nötzizen Be-
fehle zum Transport der Leichen und Verwundeten. Er
ſelbſt legte überall zuerſt Hand an und ordnete den trau-
rigen Zug, der ſich langſam unter dem Vorantritt der
Fackelträger durch den dunklen Tunnel bewegte. Er
ſelbſt war der Letzte, der die Unglücksſtätt: verließ. Erſt
nachdem er Alle in Sicherheit gebracht und die noch
Lebenben gerettet hatte, brach er, erſchoͤpft von der über-
menſchlichen Anſtrengung und Aufrezung neben den
Todten zuſammen.
11.
Als Robert aus ſeiner tiefen Betäubung erwachte,
wußte er nicht, wo er ſich befand und was mit ihm
geſchehen war. Sein icrer Blick fiel auf ihm gänzlich
fremde Umgebuag, ſo daß er einen ſchweren Traum ge-
traͤumt zu haben, oder noch zu traumen glauste. Erſt
nach und nach kehrte ſeine Beſtanung wieder uad er er-
kannte, daß er nicht in ſeinem Hauſe ſei.
Wie er fetzt bemerken konnte, lag er in einem kleinen
Zimmer auf einem einfachen, aber reinlichen Bett, neben
dem eig Tiſch mit Medizinflaſchen ſtand. Sollte er krank
geweſen ſein? — Sein Kopf war ſo wüſt, als ob ihn
tin heftiger Schlag getroffen hätte, und das Nachdenken
ſtel ihm ſo ſchwer, daß er laum einen Sedauken feſt-
halten konnte. Er wollte aufſtehen, aber er vermochte
kaum ein Glied zu rühren und ſank bald wieder in die
Kiſſen ſeines Lagers vor Schwäche zurück.
Was hatte das Alles zu bedeuten? Wie war er
hierhergekommen? Weßhalb ließ ſich ſeine Frau nicht
ſehen? Was war nit ihm vorgegangen.
daäͤmmert: ſein Bewußtſein, erweichte die Erin nerusg an
das furchtbare Exeizniß, an die Schreckensſzenen, welche
er vor Kurem erlert hatte. Vor ſeinem Geiſte ſtand
der Einſturz des Tunneis, das Biid der blutigen Lei-
chen, der Jammer den Verwand ten. Der wohltzätige
Schleier, welcher ihm das Uaglück verzüllte, war zer-
riſſen und die furchtbare Wahrheit traf ihn wie ein ver-
Allmählig
nichtender Blitz. Es war kein Traum, ſondern entſetz-
liche Wirklichkeit. Unwillkürlich fließ er einen Schrei aus.
Er war nicht allein; aus der anſtoßenden Kammer
trat eia großer ſtarker Mann, der ihn mit ſeinen gut-
müthigen Augen bekümmert anublickte und ſich Roberts
Lager ſo leiſe näherte, als es nur den rieſigen Beinen
möglich war. Dieſer ſtarrte überraſcht den ſeltſamen
Krankenwärter an, der kein Anderer, als der ehrliche
Ackerbürger Krauſe war.
„Was wünſchen Sie?“ fragte dieſer, ſeine mächtige
Baßſtimme zu einem mäßigen Brummen dämpfend.
„Ich will wiſſen, wo ich bin?“
„Bei mir, in meinem Hauſe, in Schönfeld.“
„Und wie lanze lieze ich ſchog hier?“
„Morgen werden es gerade vier Wochen ſein.“
„Das kann ja nicht möglich ſein“, erwiderte Robert
überraſcht. „Ich bin ja erſt geſtern nach Schönfeld ge-
kommen.“ ö
„Wenn Sie mir nicht glauben wollen, ſo fragen Sie
den Doctor. Der wird Ihnen ſagen, was Ihnen ge-
fehlt hat. Ich habe mir den lateiniſchen Namen nicht
gemerkt, aber ich weiß nur, daz Sie ſehr k ank geweſen
ſind und daß Niemand geglaubt hat, daß Sie es durch-
machen werden. Eigentlich ſoll ich es Ihnen gar nicht
ſagen und der Dector wird mich gewiß deßhalb aus-
zanken. Er hat mir ſtreng bef ohlen, mit Ihnen nicht
viel üder Ihre Krankheit zu ſprechen, weil Sie das auf-
regen kaun. Wie er ſagte, müſſen Sie ſich noch ſchonen.“
Damit erhob ſich der Ackerbürger, um ras Zimmer
wieder zu verlaſſen, aber Rodert bat ihn ſo dringend,
noch einen Augenblick zu verweileg, daß der gutmüthi ze
Wilhelm nicht zu widerſtehen vermochte und ihm trotz
des ärztlichen Verbotes Alles mütheilte, was er voa ihm
zu wiſſen verlangt:. Zu ſeiner nicht geringen Ueber-
raſchung erſuſr jetzt Robert, daß er in Folge der auf
ihn eiaſtürmenden Gerüthbewezungen und koͤrperlichen
Anſtrengungen au eizen heftigen Nervenfieber gelltten
habe; weshals er auch in Schoͤnfeld zurückgeblieben war,
da der Arzt bei dieſem geſäyrlichen Zuſtand den Traus-
port nach der Stadt nicht erlanben wollte. In Erm an-
gelung eines anderen Unter kem neus hatte der treue Krauſe
ihn bei ſich aufgenommen und mit Hilſe ſeiger alten Magd
verpfleg, ohne an die damit verbundene Gefahr und an-
bere Uaannehmlichkeiten zu denken. ö
„Und he ſich ſonſt Niemand um mich gekümmert ?“
fragte Robert, nachdem er ſein volles Bewustſein wieder
erhalten hatte. ö