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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 9 - Nr. 16 (2. Februar - 26. Februar)
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geidelberger Vollsblatt.

Nr. 10.

Samſtag, den 5. Februar 1876.

9. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgaſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Aus dunkler Zeit.

Sittenbild von Marie von Roskowska.
(Fortſetzung.)

Frau Elſabe machte eine Geberde, als wolle ſie die-
ſelben zur Erpe ſchleudern, beſann ſich indeß und ſchob
den Korb Benigna zu. Sie pflegte ſelber nie etwas an-
zurühren, was von dorther kam. Die Tochter mußte es
allein verzehren.
Der Diener brachte noch eine Botſchaft von dem
Fräulein. Frau Kerbelin ſollte ſogleich zu ihm kommen.
Sie gehorchte augenblicklich, in fieberhafter Haſt.
ö Benigna ſchlug traurig die Bibel auf, um die Em-
pfindung ſchmerzlicher Sehnſucht und banger Verlaſſen-
heit zu verſcheuchen durch den Troſt des göttlichen Wortes.
Kaum jemals hatte ſie das Gefühl des Verwaiſtſeins
ſo lebhaft gehabt wie jetzt, da ein zaͤrtlicher Vater ſie
irrthümlich an ſein Herz geſchloſſen. Die Zerfahrenheit
und Seltfamkeit der Mutter, ſo wenig harmonirend mit
ihrem eigenen Weſen, kam ihr drückend zum Bewußlſein.
Sie erinnerte ſich, daß die Mutter nicht einmal ihre
Trauer um den Vater geduldet. Ein Augenblick aus
ihrer Kindheit trat vor ihr inneres Auge. Die Mutter
hatte zwiſchen den Gräbern ihrer Eltern eine kleine höl-
zerne Tafel anbringen laſſen mit dem Namen, dem Ge-
burts⸗ und Todestag des verſtorbenen Gatten und betete
dort oft. Als die kleine Benigna in kindlich ſehnſüchti-
ger Liebe einmal dieſes einfache Denkmal mit Blumen
ſchmückte und es weinend umfing, hatte die Mutter ſie
davon zurückgeriſſen und rauh geſagt: ſie brauche um
den Verſtorbenen nicht zu weinen. Sie ſchien gleichſam
eiferſüchtig auf den Schmerz um den Todten, wollte den-
ſelben für ſich allein haben und tragen.
„Allein!“ Benigna erſchrack bei dem Bilde, das bei
dieſem trüben Worte lockend vor ihr aufſtieg. Sie ver-
bannte es auch ſogleich und vertiefte ſich in die Bibel,
bin 6.— herauftam und ſie duͤrch ihr Geplauder unter-
Im Flur des Engernſteinſchen Hauſes traf die Leine-
weberwittwe Vohtal in Segleur der allen männ-
lichen Glieder der Familie. Sie hatten eben einem Be-
ſuch das Geleit gegeben.
Sie wollte mit flüchtigem Gruß ſich zurückziehen,

der Rathsherr nannte jedoch ihren Namen und ſagte:

Kerbelin!“

ſie ſolle hereinkommen, während er ſich der Treppe zu-
wandte.
Der Ritter blieb zurück und trat zu ihr. „Elſabe
Betreten blickte er ſie an. „Hätte Euch
nicht wiedererkannt, ohne den Namen zu hören.“ ö
Mit einem Achſelzucken, halb ſcheu, halb trotzig
wollte ſie an ihm vorüber. ö
„Grollt Ihr mir — noch immer?“ fragte er leiſe.
„Und kann ich nichts thun für Euch ſelber, ſo doch viel-
leicht für — Eure Tochter.“
„Meine Tochter!“ entſchlüpfte es ihr in dieſem
ſeltſamen Ton, der Allen, die mit ihr in Berührung
kamen, wohlbekannt war, der ihn aber äußerſt betroffen
machte. Ein Gemiſch von Spott und Triumph zuckte
dann über ihr Antlitz. „Sorgt für Eure Tochter, Herr!
Dann kümmere Euch die meinige weiter nicht!“
Sein Schwager blickte nach ihm um. „Das Mäd-
chen ſoll wenigſtens eine Mitgift haben — das dürft
Ihr nicht ablehnen.“ Nach den haſtigen Wor ten folgte
Vohtal ſeinem Verwandten. ö
Die Kerbelin wartete in der Geſindeſtube ziemlich
lange, geduldig — Engelbrechta fand ja nicht Zeit für
ſie und war eben ſelber ziemlich verſtmmt. Der Vater
hatte erklärt, daß er nur bis zur Beendigunz der Hoch-
zeitsfeierlichleiten verweilen könne, dann fort müßte nach
Schweidnitz und Breslau, vielleicht auch nach Krakau.
Auf der Rückkehr werde er wahrſcheinlich wieder die
Sechsſtadt paſſiren und dann vielleicht länger weilen.
Kein Wort ſprach er davon, ſie mit ſich zu nehmen in
ſein Haus, an den Hof. Die Stiefmutter mochte nicht
beſondere Luſt haben, eige erwachſene Tochter aufzuneh-
men. Es ging das wenigſtens daraus hervor, daß er
ſchon Heirathspläne für ſie zu hegen ſchien, den Namen
Keudelitz nicht zufällig hinwarf, ſondern ſie ſcharf in's
Auge faßt e, als er fragte, ob der junge Mann hier
geweſen ſei. Auch bewölkte ſich ſeine Stirn, als Engel-
brechta ziemlich wegwerfend von dem Genannten zu reden
beganEa.
„Er hat große Güter in Böhmen und Sachſen. Sein
Oheim und bisheriger Vormund iſt ein genauer Bekann-
ter von mir.“ Vohtal's Ton verrieth, daß ſie bei ihrer
genauen Bekanntſchaft mit einander auch wohl einen
Plan entworfen hatten.
„Nun, was Güter anlangt“ — nahm ſie das Thema
keck auf. „Ich hatte Bewerber, die auch nicht arm ſind.
Allein ich hielt es nicht der Mühe werth, ſie an den
 
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