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——— Vater zu verweiſen, weil fie mir ſelber nicht ge-
ꝛlen.“
Ihre Selbſtſtändigkeit ſchien ihn halb zu beluſtigen,
halb zu ärgern. „Nun, der junge Keudelitz könnte Dir
gefallen, dünkt mich. Wenigſtens hatte er ſtets Glück
bei . Frauen und das macht Euch die Männer ja
werth.“ ö
„Sie lachte auf. „Es kommt darauf an. Dieſer
Herr von Keudelitz —“
„Hat nur einen Fehler in meinen Augen“, fiel er
in einem Tone ein, der ſie davon überzeugte, der Vater
würde ihr bald anders gegenüber ſtehen, wie ihre bis-
herige Umgebung, die gewöhnt war, ihr alles Mögliche
und zuweilen auch das Unmögliche zu Gefallen zu thun.
„Er iſt, wie alle Erben, verzogen, verhätſchelt — nur
gewöhnt, ſeinem eigenen Kopf zu folgen oder vielmehr
ſeinem heftigen, leidenſchaftlichen Temparemt.“
„Das glaube ich gern“, warf ſie trocken hin. Ihre
Miene drückte es deutlich aus, daß ſie den Geſchmack der
Frauen nicht begreife, welche dieſen Menſchen liebens-
würdig finden.
„Es ſcheint mir, Ihr Beide würdet ein durchaus
paſſendes Paar abgeben“, fuhr er mit einem Ausflug
von Sarkasmus fort. „Denn ſo viel ich ſehe, hafſt Du
nichts von dem ſanften Weſen Deiner Mutter, mein
Kind. Hoffentiich findet ſich das indeß noch, zumal
unter einem guten Zuchtmeiſter.“
Sie preßte die Lippen zuſammmen, wagte indeß nicht
zu antworten, fragte vielmehr freundlich: „Wer iſt denn
dieſer — Magiſter, ich glaube, Rächer nennt er ſich,
der ihn begleitet und ſein Freund zu ſein ſcheint?“
Er wußte es nicht, kannte einen ſolchen Magiſter
nicht, hatte nie von ihm gehört. Eben wollte ſie den-
ſelben ein wenig beſchreiben, um ſeinem Gedachtniß zu
Hilfe zu kommen, daß er ſich, wenn nicht des Namens
entſinne, vielleicht der Perſon unter einem anderen Na-
men. Aber die Hausgenoſſen unterbrachen die Ansſprache
zwiſchen Vater und Tochter.
So ließ ſie denn Frau Kerbelin zu ſich in ihr Zim-
mer darauf entbieten. Als dieſelbe vor ihr ſtand, zö-
gerte ſie verwirrt. Was ſollte ſie ihr ſagian? Wußte
ſie doch nicht, was die Frau wiſſe. Jedenfalls war es
gerathen, ſie freundlich zu behandeln; ein befehlender
Ton brachte ſie ſtets auf. Engelbrechta bot ihr alſo die
Hand.
meint, liebe Kerbelin —“
Kaum hatte ſie ſo begonnen, als die Frau ihre Hand
mit brennenden Küſſen bedeckte; dazwiſchen kief ſie heftig:
„Er iſt ein Abenteurer, ein Glücksritter, traut ihm nicht!
Ein ehrlicher Menſch ſchleicht nicht in Verkleidung um-
her und dieſer ſchwarze Anzug iſt, wie der Spielmanns-
kittel eine Mummerei.“ ᷣ
Betroffen blickte Engelbrechta ſie an. „Kennt Ihr
ihn denn? Wißt Ihr etwas von ihm?“
Das mußte die Frau allerdings verneinen. Aber um
ſo lebhaſter warnte ſie vor ihm, und gerieth in eine
maßloſe Extaſe. „Trau ihm nicht, Herzenskind — er
„Da ich weiß, wie herzlich gut Ihr es mit mir
meint es nicht ehrlich. Und ſelbſt wenn er es mit DiLr
ehrlich meinte, willſt Du das Weib eines aurmen Lum-
pen werden? Nicht darum habe ich —“
Das Fräulein unterbrach ſie entrüſtet: „Frau, Ihr
vergeßt Euch wieder, Meint Ihr, es fiele mir jemals
ein, mich zu erniedrigen? Trotz der Pflegemutterrechte,
die Ihr Euch über mich immer anmaßen möchtet, kennt
Ihr mich ſchlecht. Kenntet Ihr mich, ſo würdet Ihr
das unterlaſſen, aber auch nicht einen Augenblick arg-
Wben ich könnte mir und meinem Stande etwas ver-
geben.“
Die ganze Tonleiter der Empfindungen zwiſchen Angſt
und Freude, Zorn und Liebe hatte ſich auf dem Geſicht
der Frau abgeſpiegelt. „Wenn Ihr ihn aber liebt —“
ſtammelte ſie, ohne es faſt zu wiſſen.
Das Fräulein faltete die Brauen. „Frau Elſabe,
kümmert Euch gefälligſt um Eure eigenen Angelegen-
heiten und laßt mich für die meinigen ſelber ſorgen. Ich
bin, Gottlob, keine Närrin, die ſich kopfüber ins Un-
glück ſtürzt. So närriſch Ihr Euch zuweilen auch ge-
behrdet, mich dünkt, darin müßt Ihr mich verſtehey.
Natürlich ſchweigt Ihr von Allem was Ihr wißt, ver-
muthet, denkt?“
„Gewiß!“ Sie ſagte es als verſtände ſich das von
ſelber. Im naͤchſten Augenblicke befand ſie ſich vor der
Thür — hinausgeſchoben von Engelbrechta, die ihre
Großtante von der andern Seite nahen hörte.
Geſenkten Hauptes ſchlich die Wittwe nach dem nahen
Nikolaikirchhofe. „Herzlos, herzlos!“ murmelte ſie in
ſich hinein. „Aber es iſt gut ſo — beſſer, als umge-
kehrt, als zu viel Herz. — Arme Benigna! — Aber
ſie iſt ja auch glücklich. Soll überdies eine Mitgift ha-
ben, da findet ſich bald genug ein Freier. Aber ein ge-
wöhnlicher Handwerker darf es nicht ſen — nie und
nimmermehr könnte ich das vor mir, vor ihm und —
der droben verantworten. Stellte ich mich doch darum
dieſem Menſchen in den Weg, um ſie glücklich zu ma-
chen, ſo einigermaßen zu vergüten, was ich frevelte. Er
wollte nicht — um ſo beſſer, vielleicht, daß gar Sigis-
mund Engernſtein — wenn er wüßte? — Oh, wie ich
dieſen Vohtal haſſe; ohne ihn wäre ich eine gluͤckliche
Frau. Denn zuletzt — zuletzt bleibt es doch wahr, daß
nur ein ruhiges, ein unbeflecktes Gewiſſen glücklich macht.
Sie warf ſich zwiſchen den verſunkenen Grabhügeln
ihrer Eltern nieder, vor dem kleinen Kreuz zum Anden-
ken ihres Gatten. Aeußerungen der Liebe und Reue,
des Schmerzes und der Gewiſſensangft miſchten ſich ver-
worren durcheinander. Zuweilen ſchweiften auch die Vlicke
nach den prächtigen Gedäachtnißtaſeln der Engernſteins,
in der Mauer der Nicolaikirche. Da ruhte ſie zwar
nicht, die Gattin des Ritters, ſondern im fernen Franken-
lande, in der Kapelle ſeines verwüſteten Stammſchloſſes.
Dennoch richtete Frau Kerbelin an ſie leiſe, herzzer-
brechende Bitten um Vergebung. Sie vergaß darüber,
daß der Schnee in großen Flocken zu fallen begann, daß
der Abend hereinbrach, und der Friedhof zu dieſer Tages-
und Jahreszeit kein guter Aufenthaltsort ſei.
——— Vater zu verweiſen, weil fie mir ſelber nicht ge-
ꝛlen.“
Ihre Selbſtſtändigkeit ſchien ihn halb zu beluſtigen,
halb zu ärgern. „Nun, der junge Keudelitz könnte Dir
gefallen, dünkt mich. Wenigſtens hatte er ſtets Glück
bei . Frauen und das macht Euch die Männer ja
werth.“ ö
„Sie lachte auf. „Es kommt darauf an. Dieſer
Herr von Keudelitz —“
„Hat nur einen Fehler in meinen Augen“, fiel er
in einem Tone ein, der ſie davon überzeugte, der Vater
würde ihr bald anders gegenüber ſtehen, wie ihre bis-
herige Umgebung, die gewöhnt war, ihr alles Mögliche
und zuweilen auch das Unmögliche zu Gefallen zu thun.
„Er iſt, wie alle Erben, verzogen, verhätſchelt — nur
gewöhnt, ſeinem eigenen Kopf zu folgen oder vielmehr
ſeinem heftigen, leidenſchaftlichen Temparemt.“
„Das glaube ich gern“, warf ſie trocken hin. Ihre
Miene drückte es deutlich aus, daß ſie den Geſchmack der
Frauen nicht begreife, welche dieſen Menſchen liebens-
würdig finden.
„Es ſcheint mir, Ihr Beide würdet ein durchaus
paſſendes Paar abgeben“, fuhr er mit einem Ausflug
von Sarkasmus fort. „Denn ſo viel ich ſehe, hafſt Du
nichts von dem ſanften Weſen Deiner Mutter, mein
Kind. Hoffentiich findet ſich das indeß noch, zumal
unter einem guten Zuchtmeiſter.“
Sie preßte die Lippen zuſammmen, wagte indeß nicht
zu antworten, fragte vielmehr freundlich: „Wer iſt denn
dieſer — Magiſter, ich glaube, Rächer nennt er ſich,
der ihn begleitet und ſein Freund zu ſein ſcheint?“
Er wußte es nicht, kannte einen ſolchen Magiſter
nicht, hatte nie von ihm gehört. Eben wollte ſie den-
ſelben ein wenig beſchreiben, um ſeinem Gedachtniß zu
Hilfe zu kommen, daß er ſich, wenn nicht des Namens
entſinne, vielleicht der Perſon unter einem anderen Na-
men. Aber die Hausgenoſſen unterbrachen die Ansſprache
zwiſchen Vater und Tochter.
So ließ ſie denn Frau Kerbelin zu ſich in ihr Zim-
mer darauf entbieten. Als dieſelbe vor ihr ſtand, zö-
gerte ſie verwirrt. Was ſollte ſie ihr ſagian? Wußte
ſie doch nicht, was die Frau wiſſe. Jedenfalls war es
gerathen, ſie freundlich zu behandeln; ein befehlender
Ton brachte ſie ſtets auf. Engelbrechta bot ihr alſo die
Hand.
meint, liebe Kerbelin —“
Kaum hatte ſie ſo begonnen, als die Frau ihre Hand
mit brennenden Küſſen bedeckte; dazwiſchen kief ſie heftig:
„Er iſt ein Abenteurer, ein Glücksritter, traut ihm nicht!
Ein ehrlicher Menſch ſchleicht nicht in Verkleidung um-
her und dieſer ſchwarze Anzug iſt, wie der Spielmanns-
kittel eine Mummerei.“ ᷣ
Betroffen blickte Engelbrechta ſie an. „Kennt Ihr
ihn denn? Wißt Ihr etwas von ihm?“
Das mußte die Frau allerdings verneinen. Aber um
ſo lebhaſter warnte ſie vor ihm, und gerieth in eine
maßloſe Extaſe. „Trau ihm nicht, Herzenskind — er
„Da ich weiß, wie herzlich gut Ihr es mit mir
meint es nicht ehrlich. Und ſelbſt wenn er es mit DiLr
ehrlich meinte, willſt Du das Weib eines aurmen Lum-
pen werden? Nicht darum habe ich —“
Das Fräulein unterbrach ſie entrüſtet: „Frau, Ihr
vergeßt Euch wieder, Meint Ihr, es fiele mir jemals
ein, mich zu erniedrigen? Trotz der Pflegemutterrechte,
die Ihr Euch über mich immer anmaßen möchtet, kennt
Ihr mich ſchlecht. Kenntet Ihr mich, ſo würdet Ihr
das unterlaſſen, aber auch nicht einen Augenblick arg-
Wben ich könnte mir und meinem Stande etwas ver-
geben.“
Die ganze Tonleiter der Empfindungen zwiſchen Angſt
und Freude, Zorn und Liebe hatte ſich auf dem Geſicht
der Frau abgeſpiegelt. „Wenn Ihr ihn aber liebt —“
ſtammelte ſie, ohne es faſt zu wiſſen.
Das Fräulein faltete die Brauen. „Frau Elſabe,
kümmert Euch gefälligſt um Eure eigenen Angelegen-
heiten und laßt mich für die meinigen ſelber ſorgen. Ich
bin, Gottlob, keine Närrin, die ſich kopfüber ins Un-
glück ſtürzt. So närriſch Ihr Euch zuweilen auch ge-
behrdet, mich dünkt, darin müßt Ihr mich verſtehey.
Natürlich ſchweigt Ihr von Allem was Ihr wißt, ver-
muthet, denkt?“
„Gewiß!“ Sie ſagte es als verſtände ſich das von
ſelber. Im naͤchſten Augenblicke befand ſie ſich vor der
Thür — hinausgeſchoben von Engelbrechta, die ihre
Großtante von der andern Seite nahen hörte.
Geſenkten Hauptes ſchlich die Wittwe nach dem nahen
Nikolaikirchhofe. „Herzlos, herzlos!“ murmelte ſie in
ſich hinein. „Aber es iſt gut ſo — beſſer, als umge-
kehrt, als zu viel Herz. — Arme Benigna! — Aber
ſie iſt ja auch glücklich. Soll überdies eine Mitgift ha-
ben, da findet ſich bald genug ein Freier. Aber ein ge-
wöhnlicher Handwerker darf es nicht ſen — nie und
nimmermehr könnte ich das vor mir, vor ihm und —
der droben verantworten. Stellte ich mich doch darum
dieſem Menſchen in den Weg, um ſie glücklich zu ma-
chen, ſo einigermaßen zu vergüten, was ich frevelte. Er
wollte nicht — um ſo beſſer, vielleicht, daß gar Sigis-
mund Engernſtein — wenn er wüßte? — Oh, wie ich
dieſen Vohtal haſſe; ohne ihn wäre ich eine gluͤckliche
Frau. Denn zuletzt — zuletzt bleibt es doch wahr, daß
nur ein ruhiges, ein unbeflecktes Gewiſſen glücklich macht.
Sie warf ſich zwiſchen den verſunkenen Grabhügeln
ihrer Eltern nieder, vor dem kleinen Kreuz zum Anden-
ken ihres Gatten. Aeußerungen der Liebe und Reue,
des Schmerzes und der Gewiſſensangft miſchten ſich ver-
worren durcheinander. Zuweilen ſchweiften auch die Vlicke
nach den prächtigen Gedäachtnißtaſeln der Engernſteins,
in der Mauer der Nicolaikirche. Da ruhte ſie zwar
nicht, die Gattin des Ritters, ſondern im fernen Franken-
lande, in der Kapelle ſeines verwüſteten Stammſchloſſes.
Dennoch richtete Frau Kerbelin an ſie leiſe, herzzer-
brechende Bitten um Vergebung. Sie vergaß darüber,
daß der Schnee in großen Flocken zu fallen begann, daß
der Abend hereinbrach, und der Friedhof zu dieſer Tages-
und Jahreszeit kein guter Aufenthaltsort ſei.