Heidelberger Volksblatt.
Nr. 48.
Samſtag, den 18. Juni 1876.
9. Jahrg.
Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim 8 „Schiffgaſſe 4
und bei ben Trägern. Auswürts bei den Landboten und Poſtanſtalten. ö
Der Kloſterteich.
Von B. M.
Schluß.)
D„Wo iſt meine Frau?“ fragte er in ſeiner ſchar-
fen, kurzen Weiſe, die Hand der alten Trina, mit ihrem
ſauer erworbenen Sparpfennig zurückſtoßend.
„Die Frau Doctor? Ach beſter Herr, denken Sie
jetzt nur an ſich, eilen Sie, ſehen Sie zu, daß Sie ſo
ſchnell wie mwöglich von hier fortkommen. Der Frau
Doctor können Sie doch nicht helfen; die wird Sie nicht
mehr erkennen.“
„Alſo iſt ſie krank?“ rief er in Todesangſt nach
der Thür ſtürzend; aber Trina warf ſich ihm in den
Weg und hielt ihn am Arar feſt.
„Folgen Sie mir, ich bitte Sie. Die arme Frau
macht' doch nicht mehr lange; ober wenn ſie noch
tönnte, ſo würden ihre letzten Worte ſein: Geh,
ch! Ber liebe Gott wird ſie ja auch bald zu
ſich hmen, wie er ihren armen kleinen Jungen ſchon
genommen hat; aber Sie müſſen ſich retten, denn
uldig oder unſchuldig, man wird Sie ſicher zum
Toh verurtheilen.“
r ſtand wie verſteinert, als er den Zuſtand ſeiner
u erfahr, aber ſo bald ſie von ihm ſprach, unter-
ch er ſie heftig:
„Laß mich zu meiner Frau!“
Als die Alte noch immer den Weg nicht frei gab,
[hleuderte er ſie mit einem gewaltigen Ruck bei Seite
Und flog mit unhörbarem Schritt die Treppe hinauf.
Stille, »enn der Arzt hatte nach einer Nacht der ange-
rengt ſten Bemühungen die Kranke für einige Zeit ver-
laſſen, um ſich ſpäter zur Konferenz mit dem aus dem
ächſten Orte herbeigerufenen Arzte wieder einzufinden.
Die alte Wärterin hielt allein am Bette Wache. Sie
ſtand auf als die Thür geöffnet wurde; Dörnburg näherte
ſich vorſichtig dem Lager und blieb wie betäubt bei dem
jammervollen Anblick ſtehen, der ſich ſeinem Blicken dar-
bot. Die Krämpfe, von denen Elsbeth's Körper ſtun-
enlang gefoltert worden war, hatten zwar ausgetobt,
gber trotzdem erkannte Robert's erfahrenes Auze ſofort,
aß hier jeder Schimmer von Hoffnung erloſchen ſei.
Jammerlaut, und er ſah die bleichen Lippen.
In dem halbdunkeln Krankenzimmer herrſchte lautloſe
Er ſah den Finger des Todes auf der von kaltem
bedeckten Stirn, in dem erloſchenen Blick ihrer noch vor
Kurzem ſo ſtrahlenden Augen. Die Wärterin flüuſterte
dem in ſtummer Verzweifelung Daßehenden mitleidsvoll
einige gut gemeinte Troſtes worte zu; er verſtand zwar
nicht, was ſie ſagte, aber der Klang ihrer Stimme erin-
nerte ihn, daß er nicht allein ſei. Er gab ihr einen
Wink, das Zunmer zu verlaſſen; zgerad gehorchte ſie.
Sobald die Thür ſich hinter ihr ſchloß, war es vorbei
mit ſeiner gewaltſam behaupteten Faſſung. In wahn-
ſinniger Verzweiflung warf er ſich vor dem Bette auf
die Knie und begrub ſein Geſicht mit dumpfem Stöhnen
in die Kiſſen. ö
Elsbeths gänzliche Erſcheinung ließ ſie unempfindlicher
ſcheinen ols fie wirklich war; denn ſie bewegte ſich vei ſeinem
Ein ſchwa-
ches Aufdämmern des Bewußtſeins belebte ihre ſchlaffen
Züge; ſtie ſchlug die Augen auf und ſah ihn an, zuerſt
mit leerem, ausdrucksloſem Blick, dann mit einem matten
Aufleuchten der alten Liebe, die inn ſonſt bei ſeiner Hein-
kehr bezrüßt hatte und plötzlich mit einem Ausdruck ſo
namenloſen Entßetzens, daß er ihm das Blut in den Adern
erſtarren machte. Mühſam wandte ſis das Haupt von
ihm ab und verſuchte das Geſicht in den Kiſſen zu ver-
bergen.
Als er ſah, daß noch Leben und Bewegung in dem
ſchwachen Kͤrper war, bekämpfte er mit übermenſchlicher
Anſtrengung ſeine farchtbare Aufregung, beugte ſich über
ſie und verſuchte, ihr einige Tropfen der neben 10 ſte hen-
den, belebenden Arzenei einzufloͤzen. Seine Bemuhurg
war vergebens; ſie rührte ſich nicht. Mit den zärllichſten
Liebesworten beſchwor er fie, die Tropfea zu nehmen,
aber vor ihm zurückſchaudernd, preßte ſie mühſam die
Worte hervor:
„Ich kann nicht; ich ſterbe! Gott ſet Dank!“ Dann
ſah ſie ihn mit Aufbietung aller Kraͤfte ſo lange, feſt und
for ſchend an, bis er die Angen niederſchlug und vor ihrem
Blick geborgen in ſich zuſammenſank.
Mit klarer Stim ne und über natürlicher Ruhe fragte
ſie ihn jetzt: ö
„Robert, haſt Du ihn getödtet?“
Nur unmerklich ſchrak er bei dieſer Frage zuſammen. ö
Ihm war, als hätte er dieſen Auftritt ſchon einmal durch-
lebt, als wiſſe er genau jedes Wort im Voraus, das ſie
ihm ſazen würden. In dieſer furchtbaren Stuade ver-
mochte er weder ſein ſterbendes Weib zu betrügen, noch
Nr. 48.
Samſtag, den 18. Juni 1876.
9. Jahrg.
Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim 8 „Schiffgaſſe 4
und bei ben Trägern. Auswürts bei den Landboten und Poſtanſtalten. ö
Der Kloſterteich.
Von B. M.
Schluß.)
D„Wo iſt meine Frau?“ fragte er in ſeiner ſchar-
fen, kurzen Weiſe, die Hand der alten Trina, mit ihrem
ſauer erworbenen Sparpfennig zurückſtoßend.
„Die Frau Doctor? Ach beſter Herr, denken Sie
jetzt nur an ſich, eilen Sie, ſehen Sie zu, daß Sie ſo
ſchnell wie mwöglich von hier fortkommen. Der Frau
Doctor können Sie doch nicht helfen; die wird Sie nicht
mehr erkennen.“
„Alſo iſt ſie krank?“ rief er in Todesangſt nach
der Thür ſtürzend; aber Trina warf ſich ihm in den
Weg und hielt ihn am Arar feſt.
„Folgen Sie mir, ich bitte Sie. Die arme Frau
macht' doch nicht mehr lange; ober wenn ſie noch
tönnte, ſo würden ihre letzten Worte ſein: Geh,
ch! Ber liebe Gott wird ſie ja auch bald zu
ſich hmen, wie er ihren armen kleinen Jungen ſchon
genommen hat; aber Sie müſſen ſich retten, denn
uldig oder unſchuldig, man wird Sie ſicher zum
Toh verurtheilen.“
r ſtand wie verſteinert, als er den Zuſtand ſeiner
u erfahr, aber ſo bald ſie von ihm ſprach, unter-
ch er ſie heftig:
„Laß mich zu meiner Frau!“
Als die Alte noch immer den Weg nicht frei gab,
[hleuderte er ſie mit einem gewaltigen Ruck bei Seite
Und flog mit unhörbarem Schritt die Treppe hinauf.
Stille, »enn der Arzt hatte nach einer Nacht der ange-
rengt ſten Bemühungen die Kranke für einige Zeit ver-
laſſen, um ſich ſpäter zur Konferenz mit dem aus dem
ächſten Orte herbeigerufenen Arzte wieder einzufinden.
Die alte Wärterin hielt allein am Bette Wache. Sie
ſtand auf als die Thür geöffnet wurde; Dörnburg näherte
ſich vorſichtig dem Lager und blieb wie betäubt bei dem
jammervollen Anblick ſtehen, der ſich ſeinem Blicken dar-
bot. Die Krämpfe, von denen Elsbeth's Körper ſtun-
enlang gefoltert worden war, hatten zwar ausgetobt,
gber trotzdem erkannte Robert's erfahrenes Auze ſofort,
aß hier jeder Schimmer von Hoffnung erloſchen ſei.
Jammerlaut, und er ſah die bleichen Lippen.
In dem halbdunkeln Krankenzimmer herrſchte lautloſe
Er ſah den Finger des Todes auf der von kaltem
bedeckten Stirn, in dem erloſchenen Blick ihrer noch vor
Kurzem ſo ſtrahlenden Augen. Die Wärterin flüuſterte
dem in ſtummer Verzweifelung Daßehenden mitleidsvoll
einige gut gemeinte Troſtes worte zu; er verſtand zwar
nicht, was ſie ſagte, aber der Klang ihrer Stimme erin-
nerte ihn, daß er nicht allein ſei. Er gab ihr einen
Wink, das Zunmer zu verlaſſen; zgerad gehorchte ſie.
Sobald die Thür ſich hinter ihr ſchloß, war es vorbei
mit ſeiner gewaltſam behaupteten Faſſung. In wahn-
ſinniger Verzweiflung warf er ſich vor dem Bette auf
die Knie und begrub ſein Geſicht mit dumpfem Stöhnen
in die Kiſſen. ö
Elsbeths gänzliche Erſcheinung ließ ſie unempfindlicher
ſcheinen ols fie wirklich war; denn ſie bewegte ſich vei ſeinem
Ein ſchwa-
ches Aufdämmern des Bewußtſeins belebte ihre ſchlaffen
Züge; ſtie ſchlug die Augen auf und ſah ihn an, zuerſt
mit leerem, ausdrucksloſem Blick, dann mit einem matten
Aufleuchten der alten Liebe, die inn ſonſt bei ſeiner Hein-
kehr bezrüßt hatte und plötzlich mit einem Ausdruck ſo
namenloſen Entßetzens, daß er ihm das Blut in den Adern
erſtarren machte. Mühſam wandte ſis das Haupt von
ihm ab und verſuchte das Geſicht in den Kiſſen zu ver-
bergen.
Als er ſah, daß noch Leben und Bewegung in dem
ſchwachen Kͤrper war, bekämpfte er mit übermenſchlicher
Anſtrengung ſeine farchtbare Aufregung, beugte ſich über
ſie und verſuchte, ihr einige Tropfen der neben 10 ſte hen-
den, belebenden Arzenei einzufloͤzen. Seine Bemuhurg
war vergebens; ſie rührte ſich nicht. Mit den zärllichſten
Liebesworten beſchwor er fie, die Tropfea zu nehmen,
aber vor ihm zurückſchaudernd, preßte ſie mühſam die
Worte hervor:
„Ich kann nicht; ich ſterbe! Gott ſet Dank!“ Dann
ſah ſie ihn mit Aufbietung aller Kraͤfte ſo lange, feſt und
for ſchend an, bis er die Angen niederſchlug und vor ihrem
Blick geborgen in ſich zuſammenſank.
Mit klarer Stim ne und über natürlicher Ruhe fragte
ſie ihn jetzt: ö
„Robert, haſt Du ihn getödtet?“
Nur unmerklich ſchrak er bei dieſer Frage zuſammen. ö
Ihm war, als hätte er dieſen Auftritt ſchon einmal durch-
lebt, als wiſſe er genau jedes Wort im Voraus, das ſie
ihm ſazen würden. In dieſer furchtbaren Stuade ver-
mochte er weder ſein ſterbendes Weib zu betrügen, noch