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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 103 - 109 (2. Dezember - 16. Dezember)
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Heidelberger Volksblatt.

Nr. 104. O, Dienſtag, den 5. Dezember 1876. 9. Jahrg.

Erſcheint jeden Dienſtag, Donnerſtag und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf. Einzelne Nummer 4 6 Pf. Nan abonnirt beim Ver-
ö leger, Schiffgaſſe 4 und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

——

.

Das verkanfte Herz.
Eine Erzählung von Max Ring.
(Sortſetzung.)

„Halt ein!“ rief er heftig. „Ou lügſt, Du verleum-
deſt ſie. Ich weiß, daß Da ſie nicht mehr leiden mazſt,

weil ſie in letzter Zeit Dich vernachläſſigt hat und nicht

ſo freun lich als ſonſt war. Das kannſt Du ihr nicht
vergeben.“ ö ö
„Was ſie mir gethan hat, nehm ich ihr nicht übel.
Mir kann es ganz gleichgilt g ſein, ob ſie mih beſucht
und zu ibren Geſellſchaften eialadet oder nicht. Das küm-
mert mich nicht. Aber daß ſie ein ſkaudalöſes Verhält-
niß mit Deinem Freunde Flunker ha“, daß ſie ſetꝛe Ge-
liebte iſt, daß alle auſtändigen Leute mit Fingern auf ſie
weiſen und ſich von ihr zuruckziehen —“.
Von ihrer Entrüſtung über Nataliens Betrazen hin-
geriſſen, vergaß Frau Schwarzklopf in ihrem Eifer die-
ihrem noch immer leidenden Bruder ſchuldige Rückſicht
und gebotene Schonung. Erſt als ſie die Wirkunz ihrer
Worte bemerkte, die furchtbare Verſtörung in ſeinen blei-
chen, von Schmerz und Zorn entſtellten Zügen erkannte,
hielt ſie betroffen inne, dereut: ſie ihre eigene Uadeſon-
nenheit. Erſchrocken ſuchte ſie jetzt ſelöͤſt den keineswegs
beabſichtigten Elndruck ihrer Reden abzuſchwächen und

durch tröſtenden Zuſpruch zu mildern, was izr jedoch

nicht mehr gelang.
Wie⸗ gewöynlich in ſolchen Fällen, hatte der betrogene
Gatte keine Ahnung von den ehrenrührigen Berüchten
gehabt, mit denen ſeit Wochen und Monaten ſich die Ge-
ſellſchaft, ſeine nächſten Bekannten mit mitleidigem Achſel-
zucken und geheucheltem Bedauern unterhielten. Was be-
reits die ganze Welt wußte, war ihm allein verborgen ge-
blieben. Seine eigene Frau, ſein beſter Freunnd, hatten
izn getäuſcht und auf das Gemeinſte hintergangen, ſeine
Ehre gekcänkt, ſeinen Ruf befleckt und er allein kannte
ſeme Schaade nicht. Erſt j tzt erfuhr er aus dem Mande
ſeiner beſluͤrzten Schweſter und auch nur anf ſein ernſtes,
heftiges Drängen das Geheimmiß ſeiner Schmach an der
er nicht länger zweifeln konnte.
Der Zorn über ſeine ungetrene Frau verlieh ihm eine
neue Kraft und durchſiromte wie ein belebendes Feuer
ſeine durch die lange Kraukheit abgezehrten Glieder. Er
ſühlte keine Schwäche mehr und erhob ſich mit bewun-

derungswürdiger Leichtizk it von dem Stuhl, auf dem er
eine Zeit lang dumpf vor ſich hinbrütend geſeſſen hatte,
von den wlderſprechend deu Gefühlen beſtürmt. Ueber-
raſcht und erſchrocken ſah Frau Schwarzkopf, wie er ſei-
nen Hut und Stock ergriff und mit feſten Schritten zu
der Thür eilte, um ſie zu verlaſſen.
„Robert!“ rief ſie, ihm nach gürzend. „Was willſt
Oa thun? Wohin willſt Du?“
„Zu miiner Frau,“ entgegnete er düſter. „Ich will
ſie zur Rede ſtellen; ſie ſoll mir Rechenſchaft geben —“
„Um des Himmeis Willen! Das darfſt, das ſollſt
Du nicht. Ich kann, ich darf es nicht zugeben —“
„Du wirſt mich nicht hindern. Ich muß Natalie
ſprechen.·
„Ich biite, ich beſchwöre Dich,“ flehte ſie ihn feſt
I „Du machſt Dich unglücklich, weun Du
ge ſt.“
Zugleich ſtellte ſich Frau Schwarzlopf mit ausgebrei-
teten Armen vor die Thür, in der Abſicht, ihm den Aus-
gang zu verſperren. Gereizt durch ihren ihm unverſtänd-
lichen Wiederſtand ergriff er ihre Hand, um ſie von der
Schwelle zurückzuziehen. Sie aber raung mit ihm und
wich nicht, indem ſie laut ihren Mann zu Hilfe rief, bꝛs
der Geheim⸗Sekcetär wirklich erſchien urv ſich mu iyr
vereinte, um den überraſchten Robert faſt mit Gewalt
zurückzuhalten. ö ö
„Ich begreife nicht,“ ſagte dieſer empört, „was die-
ſes Benehmen zu bedeuten hat. Bin ich nicht mein ei-
gener Herr? Weshalb hindert Ihr mich, meine Frau zu
ſehen? Wer giebt Euch das Recht, mich wie einen un-
mündigea Meaſchen zu behandeln? Des geht zu weit und
ich muß mir ernſtlich eine ſolche Eiamiſchung in meine
Verhältniſſe verbitten “L. ö
Der ſchwache, ſchüchterne Herr Schwazkopf ſah ſeine
Fran mit verlezenen, ängnlichen Blicken au.
„Du weißt nicht, ſazte dieſer ihrem Bruder, was
Alles in Deiner Abweſenheit vorgefallen iſt, ſonſt würdeſt
Ou nicht ſo hartnäckig auf Deinen Willen beſtehn“.
„Es iſt wahr,“ fägte der Geheimſ⸗kretär hinzu. „Du
darfſt unter keiner Bedingung Dich auf der Steaße blicken
laſſen, weil, weil —“ ö
„Schweig ſtill!“ unterbrach ihn die beſorgte Frau
„Er wird noch zeitig genng die Wahrheit erfahren —“
„Dieſes Heimlichthua“, ſagte Robert aufgeregt, „wird
mich noch wahnſinnig machen. Warum redet Ihr nicht ꝰ
Was iſt geſchehen? Weshalb wendet Ihr Euch ab und
 
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