Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

DOI Kapitel:
Nr. 35 - Nr. 43 (3. Mai - 31. Mai)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44635#0139

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
9. Jaohrg.

Wan abonnirt beim Verleg er, Schiffgaſſe 4
Poſtanſtalten.

Der Geiger. ö
Ein Lebensbild aus dem Franzöſiſchen von Bent gen..
(Schluß.)

Nach einer Weile, während die beiden Männer
ſchweigend neben einander hergegangen, fing er wieder
an: Ich bekümmere mich nicht um das, was mich nichts
angeht, aber den Leuten kann man das Sprechen nicht
verbieten. Eig Mädchen, die einmal gefallen war, kann
keinen Alſpruch darauf machen, daß man ein andermal
an ihre Tugend glaubt. Und um Dir die Wahrheit zu
ſagen, ich habe Dich ſelbſt immer für nicht ganz richtig
im Kopf gehalten. Der Menſch iſt nicht auf der Welt,
um wie eine Grille den ganzen lieben langen Tag zu
ſingen, wie Du gethan, bis zu dem Augenblick, wo Dir
die Verzweiflung nene Thorheiten eingab. Jetzt würde
ich mich nicht mehr darüͤber wundern, wenn Du Dich
eines ſchönen Tages in die erſte beſte verlieben würdeſt.
Das iſ meine Meinung. ö
Aus jedem anderen Munde würde dieſe harten Worte
Job in hohem Grade gereizt haben, aber von Jeannie's
Beſchützer konnte er Alles ertragen. Gut, ſagte er mit
einen leiſen Anflug von Lächeln, wir werden ſehen, ob
Ihr Eure Meinung nicht ändern werdet. In einem
Stück thut Ihr mir Uarecht; ich bin vielleicht ein Thor,
aber ichemüßte der ſchlechteſte Menſch ſein, wenn ich die
hilfloſe Lage der armen Jeannie hätte mißbrauchen wollen.
Ach was, rief der Grenzwächter verächtlich aus, wer
macht ſich ein Gewiſſen daraus, ein Mädchen unglücklich
zu machen, die ſchon verloren iſt. ö
Haltet ein! rief Job empört aus. Eine Mutter wie
Jeannie iſt keine verlorene Perſon und was mich betrifft,
ch ſie ſo ſehr, daß ich bereit wäre, wenn ich
müßte, zu alt zu ſein um ihr zu gefallen,
wie Ihr ſagt, daß ſie Vertrauen zu mir
— Seht, lacht mich nicht auns
ö edanke iſt mir in der Kirche gekommen, er
kann alſo nicht ſchlecht ſein ... Glaubt Ihr, daß fie
eimen Wittwer zum Mann nähme 2 ö
Oich! rief der Wächter aus und ließ vor Verwunde-
rung die Pfeife aus dem Munde fallen, Du wollteſt?
Ihr findet mich zu alt, nicht? frug Job. ö
Gewiß, erwiderte Schwatzmaul, der ſich nach und
nach von ſeinem Erſtaunen erholte, der Altersunterſchied

biſt nahezu 35 Jahre alt. Aber das iſt es nicht, was
ich ſagen wollte... Man hat noch nie auf der Inſel
eine ähaliche Heirath erlebt. ö
Während dieſes Geſprächs waren ſie unvermerkt in
die Nähe von Jobs Haus gekommen. Der Geiger wandte
ſich ab und wollte, ohne es nur anzuſehen, daran vor-
übergehen. Mein armes Haus, ſeufzte er, mein armer
Garten, ſo hübſch und neit früher!
Siehe doch nur hin, ſagte ſein Begleiter, es iſt noch
Alles ebenſo. Hat Dir Jeannie nicht erzählt, daß ſie
für Haus und Garten ſorgt? ö
Job faltete überwältigt die Hände, er war ganz außer
ſich. Auch das noch! rief er aus. Sie hat behütet,
was ich aus Thorheit und Verblendunz verließ, meinen
Heerd, meine Gräber. Sie hat mich gerettet, als ich
dachte ſterben zu müſſen; ſie hat mir den Verſtand wie-
dergegeben durch ihr Zureden, ſi: vergaß ſich ſelbſt in
einem Augenblick, wo es nur natürlich geweſen wäre,
an ihr eigenes Wohl zu denken. Um meinetwillen bot
ſie der Verläumdung Trotz, ſetzte oleichſam ihre und

tyres Kindes Exiſtenz auf's Spiel, um einem Elenden zu

helfen, der unfähig war, ihre Wohlthaten nur zu er-
kennen, weit weniger ſie zu vergelten. Uad jetzt will ſie
fortgehen, ohne mich nur wiſſen zu laſſen, daß ſie um
meinetwegen aus ihrer Wohnung, ihrer Kirche und ihrer
Heimath verjagt wird.
Meiner Treu, dies iſt Alles richtin, erwiderte der
Alte, der ſeit einigen Augenblicken wiederholt mit dem
Rücken ſeiner Hand ſich die Augen wiſchte, indem er
einen derben Fluch dabei zwiſchen den Zähnen murmelte,
was bei ihm ein Zeichen von Rührunz war. — Wenn
ich, was mehr als einmal geſchah, ſagte: dieſer ver-
wünſchte Job! ſo verwies ſie es mir mit den Worten:
Ich bereue gar nicht, Gevatter, was ich für ihn gethan,
wenn ich auch jetzt darunter leiden muß, denn er war
immer ſo gut gegen uns Beide. Laßt ihn ja nicht wiſſen,
warum wir hier fortgehen, es würde ihm zu Leid thun.
Wenn Ihr nach Lavret kommt, ſo ſagt ihm, ich hätte
einen guten Dienſt auf dem Feſtland gefunden und dies
hätte mich dazu beſtimmt. ö
Das Lagerhaus, worin das Rettungsboot unterge-
bracht iſt und wobei ſich die Wohnung des Wächters be-
findet, war nur noch einige Schritte entfernt. Job blieb
ſtehen. Wollt Ihr mich ſie nicht noch einmal ſehen
laſſen, bat er.
 
Annotationen