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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 35 - Nr. 43 (3. Mai - 31. Mai)
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134

Tlle Teufel, gab der Andere zur Antwort, indem er
ſich nock ſtärker die Augen ritb, da es nun einmal Deine
Beſtimmung iſt, richts als Thorheiten zu machen, ſo in
Gottes Namen begehe noch eine mehr.
Die kleine Reinette ſpielte vor der Thür, wöhrend
ihre Mutter ſich zur Abreiſe rüſtete und einige Kleidungs-
ſtücke in ein Bündel packte. Als Job zuerſt eintrat,
während ſein Begleiter ſich noch draußen mit vem Kinde
zu ſchaffen machte, ſtieß Jeannie einen Schrei der Ueber-
raſchung aus, den er aber ſofort durch Küſſe erſtickte.
Lange hielt er ſie in ſeinen Armen und ſie entzog ſich
ihm nicht, denn ſie dachte nicht anders, als ſei dies der
erſte und letzte Kuß, ehe ſie ſich für immer trennten.
Ich freue mich, ſagte ſie endlich, noch von Euch Abſchied
nehmen zu können.
Des Mädchens Stimme zitterte. Schmerz und ſelige
Wonne kämpften in ihrem Herzen. Job ſah ihre tiefe
Bewegung und kies gab ihm den Muth, ſich näher zu
erklären.
Abſchied? wiederholte er leiſe, wenn Du willſt, Jean-
nie, ſo ſprechen wir nie mehr dieſes Wort aus. Haſt
Du mir nicht geſagt, man könne Alles ertragen, wenn
man für Jemand zu leben und zu ſorgen hätte. Für
wen anders ſollte ich leben els für Dich?
Sie machte ſich aus ſeinen Armen los, denn ſie
glaubte zu träumen und vaagte nicht ein ſolches Glück
für möglich zu halten.
alter Freund auf ſie zueilte, um ſie zu ſtützen.
Du ſprichſt nicht auf die rechte Art, ſagte er zu

Job. Und mit ſeiner gewöhnlichen Derbheit nahm er

die Kleine, die ihm hereingefolgt war, in die Höhe:
Du wirſt gefragt, Jeannie, ob Du meinem Pathenkinde
einen Vater geben willſt? ö
Sie lehnte ſich an die Wand und ſchloß die Augen-
Das unerwartete Glück überwältigte ſie. Und ſie hatte
auch Grund dazu, ſagten die Leute, als ſie dieſe Neuig-
keit erfuhren. Soeben noch ganz allein und verlaſſen auf
der Welt, arm, entehrt, ohne zu wiſſen wohin und nun
auf einmal Wohlſtand, Ehre, einen Mann! — Aber
nein, dits Alles war etz nicht, woran das Mädchen in
dieſem Augenblick dachte. Ihr Beſchützer ſah es, ſo un-
erfahren er in Herzensangelegenheiten war und Job ſah
es noch beſſer. In einem Punlte hatten ſich die böſen
Zungen nicht geirrt, ſelten irren ſie ſich vollſtändig.
Seit lange, ohne daß ſie es ſich vielleicht ſelbſt bewußt
war, liebte Jeannie den Geiger. —
Oem Paſtor wurde der Verdruß erſpart, den Bund
dieſer Beiden einzuſegnen. Kurz vor dem dazu beſtimm-
ten Tage büßte er ſein Leben ein bei den Rettungsver-
ſuchen des Schiffes Roſa Maria, das, wie bekannt, An-
geſichts Pau zu Grunde ging. Er hatte dabei ſelbſt mit
der Kraft eines Matroſen und dem Eifer eines Apoſtels
mitgearbeitet. Vermuthlich hätte mein armer Freund
Schwatzmaul dieſe Rettungsverſuche, von denen er ſich
von vornherein keinen Erfolg verſprach, gar nicht unter-
nommen, ohne dieſes holdenmüthige Beiſpiel. Wie vor-
auszuſehen war, kam das Boot nicht wieder zurück;

Sie wurde ſo blaß, daß ihr

den drei Matroſen und dem Schiffsjungen, die das
Schiff erkletterten, war vorher die Abſolution ertheilt
worden. Der Hirte gab ſein Liben für die Heerde, die
er ſo lange auf den allerauhſten Wegen geführt hatte,
und der Tod, den erzin Ausübung ſeines Berufes fand,
ſühnte einigermaßen die Härten und Irrthümer, die er
ſich hatte zu Schulden kommen laſſen. Es iſt That-
ſache, daß Paſtor Flech nicht erſetzt worden iſt; ſein
Nachfolger, ein junger Mann aus der Stadt, der der
Seekrankheit unterworfen iſt und nicht im bretaniſchen
Dialct zu predigen vermag, iſt nicht beliebt. Er gilt
für einen Schwächling, um ſo mehr, als er kein Un-
recht an dem Tanzen des Sonntages findet, den Schul-
meiſter zum Eſſen einladet und öfter des Abends in die
Laube von Jeb Sainker kommt, um ein Stückchen auf
der Geige zu hören. Eine neue Geige, wie man leicht
denken kann, hangt an derſelben Stelle über dem Ka-
min. Uebrigens ſpielt Job ſelten für Andere als ſeine
Frau und Kinder; „ſeine Kinder“, denn die kleine Rei-
nette hat ein Brüderchen, das die blauen Augen der
ſeligen Mahorit befitzt. ö
Ein ebenſo ſüßer als unwiderfſtehlicher Einfluß kräf-
tigt und ſtählt alle Tage mehr, was in Jobs Charakter
ſchwach, ſchwankend und leidenſchaſtlich war. Was
könnte er auch jetzt noch wünſchen? Das Ideal, das
dieſer arme ländliche Barde niemals zu nennen wußte
und das er bis auf ſeitem öden Felſen ſuchte, hat ſich
ihm zu eigen gegeben, er beſitzt es für immer. Das
kleine Häuschen ertönt von Liedern wie ehemals, es iſt
das netteſte und gaſtfreiſte von ganz Brohat. Die Fa-
milie Sainker iſt von Jedermann geliebt, an den Ein-
fiedler von Lavret und Jeannie Kerlanou denkt Niemand
mehr, außer die beiden ſelbſt. Sie vergeſſen nie, daß
es binreicht, zwei Unglückliche zu vereinen im Geiſte
gegenſeitiger Liebe und Hingebung, um ſie zu glücklichen
Menſchen zu machen. ö

Eiue geweinſchädliche Modetborheit.

Unter den wunderlichen Erſcheinungen, welche von
Zeit zu Zeit auftauchen, liefern das Aeußerſte — die
Damenmoden. Wenn z. B. das Auge von einer Körper-
form erſchreckt wird, in welcher es vergeblich auch nur
die kleinſte Linie der ſchaurgeborenen Götti
decken ſtrebt, wenn man beim Anblick einer.
einen auf den Kopf geſtellten Kegel, dem ö
Soldatesbrotbeutel angehängt und ein &
wurde, erinrert wird, oder wenn ſich einem die Mär-
chengeſtalt der „ſchösen Meluſine“ mit richtigem Fiſch-
ſchwanz in Form einer Schleppe am tricotartig bekleide-
ten Oberköͤrper präſentirt, wenn ferner eine Pudding-
form oder ein tellerartiges Etwas, das zugleich als Ge-
müſe⸗ und Blumenausſtellurg gelten kann, ſich als Hut
aufdrängt, da iſt es leviglich das Zauberwort Mode,
das den Bann zu löſen vermag, in dem das äſthetiſche
Gefühl unwiderſtehlich gefangen gehalten wird.
 
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