Heidelberger Volksblatt.
Nr. 47.
Mittwoch, den 14. Juni 1876.
9. Ichrg.
Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne NRummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgaſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. ö
Der Kloſterteich.
Von B. M.
(Fortſetzung.)
In einem Augenblick lag die ganze Vergangenheit
klar vor Elsbeth's Augen. Sie gedachte des Fremden,
deſſen verwildertes Ausſehen der alten Trine ſo aufge-
fallen war; ſie ſah ihres Mannes bleiches, entſtelltes
Geſicht am Hochzeitsmorgen vor ſich; ſeine Wuth bei
der Auffindung des Ringes. Alle Auftritte während
ſeiner Krankheit rief ſie ſich in's Gedächtniß zurück, ſeine
beſtändig wiederkehrenden Anfälle von argwöhniſcher,
eiferſüchtiger Furcht. Mit grauenerregender Klarheit
blickte ſie in den gähnenden Abgrund von Verbrechen
und guenzenloſem Elend, der ſich zu ihren Füßen öffnete.
Nan ward es ihr zur unummſtößlichen Gewißheit, daß
Walter am Tag vor ihrer Hochzeit in Hamburg ange-
langt, ſofort nach Hauſe geeilt ſei, daß er nicht an der
Thür ſeines liebſten Freundes hatte vorübergehen wollen,
ohne ihn zu begrüßen, oder ſich nach ihr zu erkundigen;
jetzt begriff ſie die nackte, eatſetzliche Wirklichkeit! Als
Schmidt wieder zu reden begann, verſchwamm ihr ſeine
Stimme mit dem Lärm der jauchzenden Kinder und mit
dem Hämmern des Blutes ia ihren Schläfen. Alles zu-
ſammen verſchmolz zum Wogen und Brauſen der bran-
denden See, die ihren unglücklichen Gatten nur ver-
ſchont hatte, um ihn einem noch gräßlicheren Schickſal
aufzubewahren. Armer Walter! Wie hatte er ſie ge-
liebt und welch ſchreckliches Loos hatte ihm dieſe Liebe
bereitet! Gerade noch fähig zu fühlen, daß ihe die Sinne
ſchwanden, erhob ſie ſich, um mit Aufbietung aller Kräfte
dieſen Ort des Grauens zu verlaſſen; da erfaßte ſie
ein Schwindel, das Zimmer ſchien ſich mit ihr zu dre-
hen, der Boden unter ihren Füßen begann zu wanken
05 mit einem herzjerreißeaden Schrei ſtürzt ſie zu
odeu. ö
Entſetzt eilte Trina ſofort in's Zimmer uad dicht
hinter ihr der Paſtor und ſeine Frau. Schmidt hatte
Elsbeth bereits aufgehoben und auf das Sopya getra-
gen, wo ſie kalt und bleich lag.
„Was haben Sie ihr zu Lelde gethan?“ rief die
Alte ihm ergrimmt zu, während fie ſich vergebens be-
mühte, ihre arme Herrin in's Leben zurückzurufen.
„Was iſt vorgefallen?“ fragte auch die Paſtorin in
Todesangſt. ö
„Um's Himmelswillen, helfen Sie mir nur ſie wie-
der zu ſich bringen“, bat Trina, „nachher muß er uns
Alles erklären.“ ö
„Am Beſten wäre es, ich trüge ſie hinauf“, ſagte
der Paſtor zu ſeiner Fran. „Sie hat einen ſchweren
Fall gethan; ich denke, Da briagſt ſie ſo ſchnell wie
möglich zu Bett.“
„Kann ich mich Ihnen irgendwie nützlich machen?“
fragte ganz verſtört der arme Schmidt.
Der Pfarrer lehnte ſeine Hilfe ab und trug die
unglückliche Elsbeth die Treppe hinauf, während ſeine
Frau mit Licht voraneilte, uu das Zimmer für ſie vor-
zubereiten. Trina war eben im Begriff ihnen zu fol-
gen, als ihr noch rechtzeitig einſiel, daß ſie unmoͤglich,
den unheimlichen Fremden mit den Kindern allein unten
laſſen könne. ö
„Es wird am Beſten ſein, wenn ich mich jetzt ent-
ferne,“ ſagte der Unbekannte. „Ich werde morgen wie-
derkommen, um mich nach dem Befinden der Frau Dok-
tor zu erkundigen. Vielleicht iſt dann Herr Doktor Dörn-
burg ſchon zurück.“ ö
„Ganz nach Belieben,“ ſagte Trina grimmig, denn
ſie war aufgebracht auf ihn, ohne zu wiſſen, warum.
„Gott wird geben, daß der Herr morgen wieder hier
iſt. Sie hätten wahrhaftig beſſer gethan bis dahin zu
warten, wenn Sie auch noch ſo dringende Geſchäfte mit
ihm hatten. Sie haben die arme Frau ſo erſchreckt,
daß ſie am Ende den Tod davon haben wird.
„Aber ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich keine
Ahgung habe, wodurch die Frau Doktor ſo ploͤtzlich ohn-
mächtin wurde“, ſagte der ehrliche Schmidt, ſich den
Angſtſchweiß von der Stirn trocknend. „Ich habe kein
Wort geſagt, das ſie aufregen konnte, ich habe ſie ganz
einfach nach der Adreſſe meines alten Freundes Kapitän
Steinach gefragt.“
Bei dieſem Namen fuhr Trina wie eine Wüt jende
auf den Fremden zu.
„Und wer ſiad Sie, wenn ich fragen darf, daß Sie
ſich unterſtehen hierherzukommen, um meine arme Frau
ſo ſchändlich zu quälen, während der Herr nicht hier iſt.
Was brauchen Sie mit ihr von ihrem verſtorbenen Manne
zu ſprechen?? ö
„Ihrem verſtorbenen Mann?“ ſchrie Schm'dt entſetzt.
„Na, bezreifen Sie noch nicht, was Sie angerichtet
haben? Der arme Kapitän Steinach iſt längſt todt, iſt ö
Nr. 47.
Mittwoch, den 14. Juni 1876.
9. Ichrg.
Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne NRummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgaſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. ö
Der Kloſterteich.
Von B. M.
(Fortſetzung.)
In einem Augenblick lag die ganze Vergangenheit
klar vor Elsbeth's Augen. Sie gedachte des Fremden,
deſſen verwildertes Ausſehen der alten Trine ſo aufge-
fallen war; ſie ſah ihres Mannes bleiches, entſtelltes
Geſicht am Hochzeitsmorgen vor ſich; ſeine Wuth bei
der Auffindung des Ringes. Alle Auftritte während
ſeiner Krankheit rief ſie ſich in's Gedächtniß zurück, ſeine
beſtändig wiederkehrenden Anfälle von argwöhniſcher,
eiferſüchtiger Furcht. Mit grauenerregender Klarheit
blickte ſie in den gähnenden Abgrund von Verbrechen
und guenzenloſem Elend, der ſich zu ihren Füßen öffnete.
Nan ward es ihr zur unummſtößlichen Gewißheit, daß
Walter am Tag vor ihrer Hochzeit in Hamburg ange-
langt, ſofort nach Hauſe geeilt ſei, daß er nicht an der
Thür ſeines liebſten Freundes hatte vorübergehen wollen,
ohne ihn zu begrüßen, oder ſich nach ihr zu erkundigen;
jetzt begriff ſie die nackte, eatſetzliche Wirklichkeit! Als
Schmidt wieder zu reden begann, verſchwamm ihr ſeine
Stimme mit dem Lärm der jauchzenden Kinder und mit
dem Hämmern des Blutes ia ihren Schläfen. Alles zu-
ſammen verſchmolz zum Wogen und Brauſen der bran-
denden See, die ihren unglücklichen Gatten nur ver-
ſchont hatte, um ihn einem noch gräßlicheren Schickſal
aufzubewahren. Armer Walter! Wie hatte er ſie ge-
liebt und welch ſchreckliches Loos hatte ihm dieſe Liebe
bereitet! Gerade noch fähig zu fühlen, daß ihe die Sinne
ſchwanden, erhob ſie ſich, um mit Aufbietung aller Kräfte
dieſen Ort des Grauens zu verlaſſen; da erfaßte ſie
ein Schwindel, das Zimmer ſchien ſich mit ihr zu dre-
hen, der Boden unter ihren Füßen begann zu wanken
05 mit einem herzjerreißeaden Schrei ſtürzt ſie zu
odeu. ö
Entſetzt eilte Trina ſofort in's Zimmer uad dicht
hinter ihr der Paſtor und ſeine Frau. Schmidt hatte
Elsbeth bereits aufgehoben und auf das Sopya getra-
gen, wo ſie kalt und bleich lag.
„Was haben Sie ihr zu Lelde gethan?“ rief die
Alte ihm ergrimmt zu, während fie ſich vergebens be-
mühte, ihre arme Herrin in's Leben zurückzurufen.
„Was iſt vorgefallen?“ fragte auch die Paſtorin in
Todesangſt. ö
„Um's Himmelswillen, helfen Sie mir nur ſie wie-
der zu ſich bringen“, bat Trina, „nachher muß er uns
Alles erklären.“ ö
„Am Beſten wäre es, ich trüge ſie hinauf“, ſagte
der Paſtor zu ſeiner Fran. „Sie hat einen ſchweren
Fall gethan; ich denke, Da briagſt ſie ſo ſchnell wie
möglich zu Bett.“
„Kann ich mich Ihnen irgendwie nützlich machen?“
fragte ganz verſtört der arme Schmidt.
Der Pfarrer lehnte ſeine Hilfe ab und trug die
unglückliche Elsbeth die Treppe hinauf, während ſeine
Frau mit Licht voraneilte, uu das Zimmer für ſie vor-
zubereiten. Trina war eben im Begriff ihnen zu fol-
gen, als ihr noch rechtzeitig einſiel, daß ſie unmoͤglich,
den unheimlichen Fremden mit den Kindern allein unten
laſſen könne. ö
„Es wird am Beſten ſein, wenn ich mich jetzt ent-
ferne,“ ſagte der Unbekannte. „Ich werde morgen wie-
derkommen, um mich nach dem Befinden der Frau Dok-
tor zu erkundigen. Vielleicht iſt dann Herr Doktor Dörn-
burg ſchon zurück.“ ö
„Ganz nach Belieben,“ ſagte Trina grimmig, denn
ſie war aufgebracht auf ihn, ohne zu wiſſen, warum.
„Gott wird geben, daß der Herr morgen wieder hier
iſt. Sie hätten wahrhaftig beſſer gethan bis dahin zu
warten, wenn Sie auch noch ſo dringende Geſchäfte mit
ihm hatten. Sie haben die arme Frau ſo erſchreckt,
daß ſie am Ende den Tod davon haben wird.
„Aber ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich keine
Ahgung habe, wodurch die Frau Doktor ſo ploͤtzlich ohn-
mächtin wurde“, ſagte der ehrliche Schmidt, ſich den
Angſtſchweiß von der Stirn trocknend. „Ich habe kein
Wort geſagt, das ſie aufregen konnte, ich habe ſie ganz
einfach nach der Adreſſe meines alten Freundes Kapitän
Steinach gefragt.“
Bei dieſem Namen fuhr Trina wie eine Wüt jende
auf den Fremden zu.
„Und wer ſiad Sie, wenn ich fragen darf, daß Sie
ſich unterſtehen hierherzukommen, um meine arme Frau
ſo ſchändlich zu quälen, während der Herr nicht hier iſt.
Was brauchen Sie mit ihr von ihrem verſtorbenen Manne
zu ſprechen?? ö
„Ihrem verſtorbenen Mann?“ ſchrie Schm'dt entſetzt.
„Na, bezreifen Sie noch nicht, was Sie angerichtet
haben? Der arme Kapitän Steinach iſt längſt todt, iſt ö