. 2.
Nr.
eidelberger Volksblatt.
V, Samſtag, den 16. September 1876.
9. Jahrg.
eeſcheint Mittwoch und Samſtag. Mreid monailich 36 Pf Einzelne Nummer à 6 Pf. Wan abonnirt beim Verleger, Schffzaſſe 4
u bei den Trägern. Auswärts bei den Zandboten und Poſtanſtalten.
Weite Saare.
(Schluß.) ö
Wenn ich gehofft hatte, die laue Sommernacht würde
mir gut thun, ſo hatte ich mich ſchmählich geirrt. An-
ſtatt daß mein Blut ruhiger wurde, fing es an, firber-
haft zu jagen, meine Schläfe pochten, vor meinen Au-
gen flimmerte es, meine zitternden Beine vermochten nicht
den geraden Weg zu finden und in meinen Ohren hatte
ich ein Sauſen, als ſollte mir der Kopf berſten. Von
da ab entſinne ich mich nur noch dunker, was mit mir
vorging. Etwa tauſend Schritte vom Bahnhofe war
der Wegeübergang nach B., welchen ich zu paſſtren ha'te;
der Weg von dem Stationsgebäud: bis zu dieſem Urber-
gang war von einer hoͤlzernen Barriè e eingeſaßt, daran
fühlte ich mich entlang, mit fiebernder Zunge die wür-
zigen Düfte, welche der jenſeits des Weges anhebend:
Kieferuwald ausſtrömte, emnathmend. Ploͤtztich fühlte
meine taſtende Hand die Barr dee nicht mehr — ſie war
zu Eade, ich ſtand am Wegübergaug, welcher bereits vom
Wärter geſchloſſen war. ö — ö
Aber mich rrieb es vorwärts nach Hauſe, auch war
ich mir wohl in dem Augenblck nicht ganz klar, warum
der Weg geſperrt war. Ich bückte mich, um die Bar-
riere von unten zu paſfiren, dabei verlor ich meinen Hut,
welchen ich mit nur großer Mühe wieder aufhob: So
— 19 mich innerhalb der Barris e und — taumelte
vorwärts.
Mitten im erſten Schienenſtrang ſtand ich ſtill, mir
fiel, trotz meiner Berauſchtheit, etn, dazß ich vergeſſen
hatte, meige Bowle zu bezahlen, das war mir unan ze-
nehm, dußerſt unangenehm. Verdrießlich ſchaue ich die
Bihuſtrecke entlang nach dem Stat oasgebäude zu, dort
ſehe ih Lichter in alerh ind Farben ſchimmern — wie
ſchön das ausſieht — und jzt gerade an der großen
Laterne am Bahngebäuze taucht eine Mätze in grell⸗rother
Farbe aaf. Ich verſuche ſpö tiſch meinen Mund zu ver-
ziehen; das iſt der Jaſpektor, er war fuͤrchterlich beſ.
doch was iſt das? Da, noch weit h uter'm Stationsge-
bäude, auf der Bahulinie, aerea zwei dunkle glühende
Augen mi y an und ein unheimliches Getöſe ſchlägt an
mein Ohr. Welch' hübſcher Aanblick, wie die Feneraugen
immer größer und großer werden, gerade als wollten ſie
mir Furcht einjagen — aber das fehlte gerade — ich,
Furcht — lächerlich * Breitbeinig ftellt: ich mich in dem
Geleiſe hin — jetzt, — huſch — huſch — ſauſt der Zug
an den banten Lichtern, an der rothen Mützr vorüber
unverminderter Eile auf mich zu, di: Gluthaugen find
ein beträchtliches Stück grözer geworden und das Sauſen
und Stöhnen, Raſſeln und Donnern des Uagethüms wit
dem langen Hut auf dem Rumpf da vor mir wird im-
mer intenſi ꝛer. — Da pkötzlich ſchießt es mir wie ſie-
dendes Blei durch den Körper und gleich darauf ſchüt elt
es mich, als ſtände ich nackt im Schneeſtuſm — das
iſt der Schnellzug vo B. nach F., welcher auf unſerer
Station durchfaͤhrt; ich derſuche meine Hand zu erheben,
um den Teufelsſpar abzuwehren, — ich verm 18 nicht ein-
mal einen Ftager zu rühren — ich will ſchreien: Halt!
aber kein Ton kommt aus meiner Kehle — ich will die
Füße hochheben, um zu enifliehen, vergebens — ich ſt he
da wie angenagelt und immer größ ir werden die Feuer-
augen, immer donnerähnlicher das Getöſ: des Trains.
Eadlich mit faft übermenſchlicher Kaftanſtrengung
reiße ich mich los, ein taumelnder Sprung trägt mich in
das daneben befindliche Geleiſe — aber, o Schrecken, die
rothen Angen find noch immer auf mich gericht t und
izgen in rap'der Schnelligkeit auf mich los. Gerechter
Gott, der Schnellzug fährt am Ende auf dieſem Geleiſe!
— wieder ein Sprung zurück in wahnſinniger Angſt —
nein, doch, hier brauſt er auf m'ch zu, doch meine Kraft
iſt erſchzpft, der Schweiß riant in Stroͤmen von meiner
Stirn, mei ꝛie Kuie wanken — ich weiß nicht fährt der
Zug auf dieſem, fährt er auf dem anderen Geleiſe —
ich hebe mechaniſch nochma's meire Beine, da faucht und
brauſt es dicht vor meinem Geſi ht, mit bet iubenden
Athem weht es mich an, das U igethün mit den abſcheu-
lich großen Augen, dann habe ich das Gefühl, als dreht
ſich mir jedes einzelne Hrar auf dem Lopf in der Haar-
wurzel herom und als würde ich ſkalzirt, darauf wird
es mir ſchwarz vor den Augen — meine Füße verlieren
den Boden, ich ſtürze der Länze nach nieder und verliere
zu gleicher Zeit die Beſinnung.
Meine Erzählung hat natürlich viel länger gedauert,
als die wenigen fürchterlichen Augenblick⸗ ſelbſt. U d
dennoy dräagten ſich in den wenigen ltzen Augenblicken
vor meiner Ohnmacht eine Fülle von Gedanken in blitz-
artiger Schnelle vor meig Janeres. Ich ſah mich als
Raabe auf der Schulbank ſitzen, begl'itete meinen Vater
zu ſeiner letzten Ruah ſtärtte, ſaz meine Maͤtter meinen
Brief leſen und meine Photo graphie betrachten urd tachte
Nr.
eidelberger Volksblatt.
V, Samſtag, den 16. September 1876.
9. Jahrg.
eeſcheint Mittwoch und Samſtag. Mreid monailich 36 Pf Einzelne Nummer à 6 Pf. Wan abonnirt beim Verleger, Schffzaſſe 4
u bei den Trägern. Auswärts bei den Zandboten und Poſtanſtalten.
Weite Saare.
(Schluß.) ö
Wenn ich gehofft hatte, die laue Sommernacht würde
mir gut thun, ſo hatte ich mich ſchmählich geirrt. An-
ſtatt daß mein Blut ruhiger wurde, fing es an, firber-
haft zu jagen, meine Schläfe pochten, vor meinen Au-
gen flimmerte es, meine zitternden Beine vermochten nicht
den geraden Weg zu finden und in meinen Ohren hatte
ich ein Sauſen, als ſollte mir der Kopf berſten. Von
da ab entſinne ich mich nur noch dunker, was mit mir
vorging. Etwa tauſend Schritte vom Bahnhofe war
der Wegeübergang nach B., welchen ich zu paſſtren ha'te;
der Weg von dem Stationsgebäud: bis zu dieſem Urber-
gang war von einer hoͤlzernen Barriè e eingeſaßt, daran
fühlte ich mich entlang, mit fiebernder Zunge die wür-
zigen Düfte, welche der jenſeits des Weges anhebend:
Kieferuwald ausſtrömte, emnathmend. Ploͤtztich fühlte
meine taſtende Hand die Barr dee nicht mehr — ſie war
zu Eade, ich ſtand am Wegübergaug, welcher bereits vom
Wärter geſchloſſen war. ö — ö
Aber mich rrieb es vorwärts nach Hauſe, auch war
ich mir wohl in dem Augenblck nicht ganz klar, warum
der Weg geſperrt war. Ich bückte mich, um die Bar-
riere von unten zu paſfiren, dabei verlor ich meinen Hut,
welchen ich mit nur großer Mühe wieder aufhob: So
— 19 mich innerhalb der Barris e und — taumelte
vorwärts.
Mitten im erſten Schienenſtrang ſtand ich ſtill, mir
fiel, trotz meiner Berauſchtheit, etn, dazß ich vergeſſen
hatte, meige Bowle zu bezahlen, das war mir unan ze-
nehm, dußerſt unangenehm. Verdrießlich ſchaue ich die
Bihuſtrecke entlang nach dem Stat oasgebäude zu, dort
ſehe ih Lichter in alerh ind Farben ſchimmern — wie
ſchön das ausſieht — und jzt gerade an der großen
Laterne am Bahngebäuze taucht eine Mätze in grell⸗rother
Farbe aaf. Ich verſuche ſpö tiſch meinen Mund zu ver-
ziehen; das iſt der Jaſpektor, er war fuͤrchterlich beſ.
doch was iſt das? Da, noch weit h uter'm Stationsge-
bäude, auf der Bahulinie, aerea zwei dunkle glühende
Augen mi y an und ein unheimliches Getöſe ſchlägt an
mein Ohr. Welch' hübſcher Aanblick, wie die Feneraugen
immer größer und großer werden, gerade als wollten ſie
mir Furcht einjagen — aber das fehlte gerade — ich,
Furcht — lächerlich * Breitbeinig ftellt: ich mich in dem
Geleiſe hin — jetzt, — huſch — huſch — ſauſt der Zug
an den banten Lichtern, an der rothen Mützr vorüber
unverminderter Eile auf mich zu, di: Gluthaugen find
ein beträchtliches Stück grözer geworden und das Sauſen
und Stöhnen, Raſſeln und Donnern des Uagethüms wit
dem langen Hut auf dem Rumpf da vor mir wird im-
mer intenſi ꝛer. — Da pkötzlich ſchießt es mir wie ſie-
dendes Blei durch den Körper und gleich darauf ſchüt elt
es mich, als ſtände ich nackt im Schneeſtuſm — das
iſt der Schnellzug vo B. nach F., welcher auf unſerer
Station durchfaͤhrt; ich derſuche meine Hand zu erheben,
um den Teufelsſpar abzuwehren, — ich verm 18 nicht ein-
mal einen Ftager zu rühren — ich will ſchreien: Halt!
aber kein Ton kommt aus meiner Kehle — ich will die
Füße hochheben, um zu enifliehen, vergebens — ich ſt he
da wie angenagelt und immer größ ir werden die Feuer-
augen, immer donnerähnlicher das Getöſ: des Trains.
Eadlich mit faft übermenſchlicher Kaftanſtrengung
reiße ich mich los, ein taumelnder Sprung trägt mich in
das daneben befindliche Geleiſe — aber, o Schrecken, die
rothen Angen find noch immer auf mich gericht t und
izgen in rap'der Schnelligkeit auf mich los. Gerechter
Gott, der Schnellzug fährt am Ende auf dieſem Geleiſe!
— wieder ein Sprung zurück in wahnſinniger Angſt —
nein, doch, hier brauſt er auf m'ch zu, doch meine Kraft
iſt erſchzpft, der Schweiß riant in Stroͤmen von meiner
Stirn, mei ꝛie Kuie wanken — ich weiß nicht fährt der
Zug auf dieſem, fährt er auf dem anderen Geleiſe —
ich hebe mechaniſch nochma's meire Beine, da faucht und
brauſt es dicht vor meinem Geſi ht, mit bet iubenden
Athem weht es mich an, das U igethün mit den abſcheu-
lich großen Augen, dann habe ich das Gefühl, als dreht
ſich mir jedes einzelne Hrar auf dem Lopf in der Haar-
wurzel herom und als würde ich ſkalzirt, darauf wird
es mir ſchwarz vor den Augen — meine Füße verlieren
den Boden, ich ſtürze der Länze nach nieder und verliere
zu gleicher Zeit die Beſinnung.
Meine Erzählung hat natürlich viel länger gedauert,
als die wenigen fürchterlichen Augenblick⸗ ſelbſt. U d
dennoy dräagten ſich in den wenigen ltzen Augenblicken
vor meiner Ohnmacht eine Fülle von Gedanken in blitz-
artiger Schnelle vor meig Janeres. Ich ſah mich als
Raabe auf der Schulbank ſitzen, begl'itete meinen Vater
zu ſeiner letzten Ruah ſtärtte, ſaz meine Maͤtter meinen
Brief leſen und meine Photo graphie betrachten urd tachte