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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 52 - Nr. 60 (1. Juli - 29. Juli)
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„eidelberger Volkoblatt.

Nr. 55.

Mittwoch, den 12. Juli 1876.

9. Ichrg.

erſchent Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgaſſe 4
uud bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Die Vrãſideutiu.
Kriminalgeſchichte von J. D. H Temme.
(Fortſetzung.)

Die Frau ſtand erſtarrt.
We waren die beiden Menſchen?
Eine furchtbare Ahnung ſchien fie ergreifen zu wollen.
Wohin flohen ſiꝛ ? ö
Sie waren den Korridor hinuntergeeilt, in der Rich-
tung nach der alten Ritterburg.
Haben ſie dort Verbindung?
Aber die entſetzlichſte Feage kam dann.
Er, der Mann, war aus dem Schlafgemache des
Generals hervorgetreten. Was hat er dort gemacht?
mue⸗ that er da, während ſeine Gefährtin auf ihn war-
ete ö
Sie eilte die Treppe hinunter, durch den kleinen Gang,
ſie war in dem Korridor. ö ö
Die Taür des Schlafgemachs war von dem Manne
nicht abzeſchloſſen. Sollte ſie in das Zimmer geheu?
Sie mußte.
an die Thür konnte ſie treten.

Sie horcht: in dem Zin-
mer war Todtenſtille.
Die Stille des Todes!

Ein Sühander dur hüt-
telte ihre Glieder. ‚

Sie kehrte von der Thür zurück.
Zu der Generalin! blieb ihr ein Ausweg.
Sie ſchritt zu der Thür der Generalin.
Die Thür war immer des Nachts verſchloſſen. Die
Frau Ech ordt ſchloß ſie von außen ab, wenn ſie ihrer
Herrin behilflich gewꝛſen war, zum Schlafenzehen ſich
auszu leiden. Sie ſteckte den Schlüſſel zu ſich, um am
folgenden Morgen beim Ankleiden wieder da ſein zu kön-
nen. Den Schlüſſel trug fi: immer bei ſih. Ste zog
ihn hervor. Aber bevor ſie begann Gebrauch von ihm
zu machen, horchte ſie an der Thir.

Se vernahm ein leiſes, unterdrücktes Weinen in dem

Gemache.
Irr ganzer Koͤrper erbebte.
Die Generalin weinte ſo.

Die Kammerfran horchte, ob Jemand bei ihrer Her-

rin ſei. Sie hörte nur das Weinen, keinen anderen
Laut. Die Generalin war ia ihrem Bette, oder ſaß
vor ihm.

Sie hatte dennoch nicht den Muth. Aber

Und der General? *
Die Frau Erhardt ginz zurück zu der Thür des
Generals. Sie horchte noch einmal in das Zimmer.
Es herrſchte dieſelbe Stille des Todes darin, wie vor-
her. Sie wollte die Thür öffnen, hineintreten. Der
muthigen Frau fehlte doch der Muth. Sie bedu⸗fte eines
Schutzes, das Zimmer zu betreten. ö
An ͤden Wahtmeiſter war ihr erſter Gedanke ge-
weſen. Aber wo ihn fiaden? Sie hatte ihn zuletzt hier
an der Thür des Generals geſehen. War er ſeitdem
wieder hier geweſen? Sie glaußte, es annehme! zu
müſſea, weil er von ihr verlangt hatte, ſi; ſole nicht
wieder zurückkehren. Si: ſchloz hie aus, daß er ferner
ſich hier aufgehalten, wenigſtens die Abficht dizu gehabt
habe. Aber dann mußte er ja auch wiſſen, was hier
geſchehen war. Er mußte gar ein Zeuge davon geweſen
ſein. Und wo war er geweſen, als jene Frau in dem
Korridor wartend auf⸗ und abzing? Uid als jener
Mann aus dem Gemache ds Generals hervortrat?
Oder war er ſelbſt dieſer Mann geweſen? Wo war
denn der Gen ral? Wrrum weinte die Geueralin in
unterdrückten Thrä ßien auf ihrem Bette?
Die Gedanken der Frau Eehard verwirrten ſich,
ihre Aagſt vermehrte ſih.
Nach dem alten Ritterſchlo ſe hin waren jrmner Mann
und jene Frau in dem Korridor entflo jen, vor ihr ent-
flohen! Die Frau Erhard ging ihnen nach.
Sie horchte vorher an dem Fenſter des Korridors,
das auf die freie Seit: des Schloſſes führte. Es war
draußen Alles ſtill; nirg nds ſchien ſith etwas zu rühren.
Weren di: Mörder wieder abgezogen? Dann mußte
ihr Zweck erreicht ſein, das Gemach ds Generals in
der That einen todten Mann beherber gen. Ihr Aus-
weg führte ſie an dem Gemache vorüber; ſie flog, als
wenn der Tod auf ihren Ferſen ſe·. Sie erreichte das
Ende des Korridors. Sie ſtand vor der Thüc, die hier
in das alte Schloß führte. In dieſem wohnten die Be-
amten des Gutes Von ihnen wollte ſie Auskunft er-
hakten; wenn ſie ohne Kenntniß des Geſchehenen waren,
wollte ſie ihrerſeits ihnen Mitth „ilung machen, ihre Hilfe
zu dem, was zu thun ſei, in Anſpruch nehmen. Das
Alles konnte ſie nue, wenn die Thür, vor der ſte fland,
offen war. Gewöhnlich wer das der Fall. ö
Wer ſie nicht offen, ſo blieb ihr nichts üb ig, als
den Kammer diener Geo⸗g auf uſuchen, der freilich ſeine

Schlafſtabe oben in den Manſa eden hatte.
 
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