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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 18 - Nr- 25 (4. März - 29. März)
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heidelberger Volksblatt.

Nr. 19.

Mittwoch, den 8. März 1876.

9. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleg en, Schiffgaſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Aus dunkler Zeit.
Sittenbild von Marie von Roskowska.
(Fortſetzung.)

In heftiger Entrüſtung verwahrte ſich der Delinquent
dagegen — ihm entſchlüpfte ſogar die Drohung: die
Stadt würde es büßen, wenn ſie wage, den Spruch zu
vollziehen. Das beſſerte den Handel für ihn jedoch nicht,

es wirkte nur auf um ſo ſchleunigeren Vollzug des Urtels

hin. Umſonſt verlangte er, daß man ihn, den Edeln
von Keudelitz, den Beſitzer großer Herrſchaften, nicht
abthue, wie einen gewöhnlichen Wegelagerer. Einmal
glaubte man ſeiner Behauptung nicht und dann — die
Stadt beſaß den Blutbann auch über ritterbürtige Leute
— hatte derſelbe ſich eines todeswürdigen Vergehens in

ihrem Gebiet oder gegen einen ihrer Bürger und Unter-

thanen ſchuldig gemacht. Auch war Görlitz allbekannt
wegen guter Wahrung dieſes koſtbaren Privilegiums.
Oft wurden in einem Jahre in ſeinen Mauern mehr
Todesurtheile geſprochen und vollzogen, als jetzt binnen
eines gleichen Zeitraums in ganz Deutſchland.
In einem Liede heißt es:
„Wer kommt von Loͤbau ungefangen,
Und von Görlitz ungehangen,
Und von Zittau ungefreit,
Der darf wohl ſagen von guter Zeit“, d. h. Glück.
Der Trotz des Gefangenen, wie man ſein Benehmen
nannte, erzürnte das Gericht. Der Vorfitzende wiakte
dem Zirkelmeiſter, ihn den Händen des Henkers und
ſeiner Geſellen zu übergeben, damit er ſich erweiſe, ob
er auch »in der Schärfe“ auf der Behauptung ſtehen
bleibe, Herr von Keudelitz zu ſein. Man nahm ja an,
er habe denſelben gemeinſam mit ſeinem Diener Joſt
ermordet und ſtand von der Feſtſtellung dieſer Mord-
that nur eben darum ab, weil ſich deswegen kein Kläger
fand. Auf der Folter ſollte er die Lüge zurücknehmen
und zugleich ſeinen wahren Namen nennen.
Da trat Kunz Engernſtein hervor, der inzwiſchen mit
ſeinen Söhnen und vornämlich dem Jüngſten, leiſe und
eifrig geredet hatte. Er bat den Richter und die Schöp-
pen, Abſtand zu nehmen von der peinlichen Frage, auch
Abftand von der ſofortigen Vollſtreckung des Spruches.
„Mein Schwiegerſohn, der Ritter von Vohtal, iſt mit
der Familie Keudelitz befreundet, ihm muß daran liegen,

den Sachverhalt aufzuklären. Ich habe ihm ſogleich
einen Boten mit einem Schreiben geſandt, als zuerſt das
Gerücht auftauchte, der Mann, welcher ſich bei mir als
Herr von Keudelitz eingeführt hatte, ſei der Knecht des-
ſelben. Ich habe ihm Mittheilung gemacht über Alles,
was wir damals wußten, ihm auch die beiden Fremden
genau beſchrieben. Jeden Tag kann ſeine Antwort ein-
laufen, die vielleicht eine Aufklärung bringt. Uebereilt
alſo nichts, edle Herren und Freunde. Fragt den jungen
Mann auch, welche Gründe er gebabt zu der Mummerei,
die er vorgibt. Da ſei Gott für, daß in dieſer Stadt
ein ungerecht Gericht gehalten werde.“
Auf den Schöppenſtühlen zeißten ſich meiſt finſtere
Mienen und ein Murten ging durch den Saal. Selbſt
wenn dieſer junge Menſch ein Adeliger war, und adelig
genug erſchien allerdings ſein Weſen — ja, wenn er
wirklich der war, für den er ſich ausgab; ſein Recht
mußte ihm werden. Wie wäre es auch um die Sicher-
heit der Land⸗ und Kaufmannsſtraßen beſtellt geweſen,
hätte man nicht jeden Friedensbruch nach Gebühr ge-
ahndet, ſobald der Thäter in der Gewalt des Gerichtes
fich befand? x
Es blieb bei der ſchleunigen Urtelsvollſtreckung. Nur
ſoviel vermochte die Fürſprache der Patrizierfamilie, daß
man den Gefangenen mit der Tortur verſchonte. Er
wurde in das Gefängniß zurückgebracht und der Geiſt-
liche zu ihm eingelaſſen, damit er ihn zu ſeinem letzten
Stündlein vorbereite. Anch Speiſe und Trank trug der
Kerkermeiſter ihm auf — feine Gerichte und Wein.
Thymo fragte nicht, woher das käme, erfuhr alſo auch
nicht, daß es aus jenem Hauſe geſendet worden, das er
unlängſt noch gehaßt hatte und dem er ſich jetzt doch ver-
bunden und zugethan fühlte. Seit geſtern Abend hatte
er nichts gegeſſen, bedurfte alſo wohl der Nahrung. Oder
doch der Stärkung zu dem ſchweren Wege, der ihm be-
vorſtand, dem letzten Wege! ö
Eine Bitte hatte er noch und die letzte Bitte pflegt
man dem Delinquenten nicht zu verſagen. Er wünſchte
den alten Engernſtein zu ſprechen. Aber der Wnnſch
wurde nicht bewilligt. Die Engernſteins hatten ihm
einen ſo überraſchend hohen Grad von Theilnahme be-
zeugt — ein Beweis, wie er es verſtand, durch Lügen
für ſich einzunehmen und ſelbſt Solche umzuſtimmen,
die ſeine Feinde ſein mußten von Gottes⸗ und Rechts-
wegen. Wie leicht hätte er da den würdigen alten Kuntz
zu etwas Ungehörigem beſchwindeln koͤnnen.
 
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