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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 90 - 102 (2. November - 30. November)
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nirung recht nelt.
ſitzen wird.“

Donnerſtag, den 23. November 1876.

Erſcheint jeden Dienſtag, Donnerſtag und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf. Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Ver-
leger, Schiffgaſſe 4 und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Das verkaufte Herz.
Eine Erzählung von Max Ring.
(Fortſetzung.)

Mitleid. Ihr Herz ſagte ür, daß er nicht glücklich ſei,

daß er ſeine Frau nicht liabts und ſene Heirath ſchwer
bereyte. Sie warf ſich ihre Strenge, i)re Härte dor
und glauhte grauſamer gegen ihn gewiſen zu ſein, als
er es verdiente. Sie ſucht⸗ ihn vor ſich ſelbſt za ent-
ſchuldigen und weng er ſie auch noch ſo ſwer gek⸗änkt und
ſie in ihrer ſchwerſten Notz verlaſſen, ſo vermochte ſie
doh nicht ihn zu verdammen. Er hatte ſich nu: durch

das Gerucht von ihrer Verlobung täuſchen laſſen, aber
für ſehlecht und gemein konnt: ſie ihn vicht halten. Würde

er ſie ſoaſt aufgeſucht und ihr ſeinen Beiſtand angeboten
haben? ö
Mit ſolchen Gedanken beleitete Roſa ihre Arbeit und

bei jdem Stit ftand ſein Bild vor ihren Kugeg. Hätts

die Robe ſprechen können, ſo würde ſie nicht nur die Lei-

den nd Qualen, ſoadern auch die Treue, den Edelmuth,

die Herzensgüte und dir unerſchütterliche Li⸗be der armen

Näherin off ubart und eine ebenſo intereſſante als ergrei-
fende Geſchichte aus dem Leben eines unglücklichen Mäd-

chens erzählt baben wovon unſere Balldamen ſchwerlich
eine Ahnung haben.
Endlich war das Kleid zarg heſtimmien Tag fertiz

und Roſa eilte mie ihrer Arkeit in das Geſchäft des Herrn
Reiber anz, um die Robe abzuliefern und das Geld, das
ſie nothwendig braucht:, dafür in Eapfang zu nehmen.

„Charmant!“ ſagte der Kaufmann, mit herahlaſſen-
der Goͤnnerniene. „Ich bin wirklich überraſcht. Sie
beſitzen mehr Geſchmack, als ich Ihnen zugetraut habe.

Wenn Sie ſo fortfahren, ſo werde ich Ihnen eine Zu-

lage geber und Sie andauernd beſchöftigen.“
„Ste werden mir damit einen großen Gefallen erwei-
ſen, Herr Reibedanz, und ich werde mich bemühen, Sie
erfrert.eden zu ſtellen“, erwiederte ſie, über ſein Lob
0
„Der Schnitt iſt gefäͤllig, die Arbeit ſanber, die Gar-
Ich hoffe, daß das Kleid auch gut

ja mie dem Omeibus hinfahren.

derſchlagm.
Sie nicht länger brauchen und Sie bekommen auch nicht

„Ich habe mich zanz genzu nach ihren Angaben und

dem betgelegten Maaß gerichtet.“ ö

„Die Dame iſt nue etwas pꝛätent ös und wönſcht,

deß Sie ih: zu zr de Rob in ihrer Wognuez anpro-
hiren, un, wenn es nöten
ö en ſogteich vorzunehmen.“
Sie hatte ihm längſt verziehen und in ihrer Seels
lebte noch immer die Erinnerung an ihn, erwachts von
Neuem die Liebe, verbunden mit einers unwillkärlichen

ſein ſollte, kleine Lenderun-

„Das werne ich mit Vergrü en tion. Haten Sie
nur di⸗ Güte, mir bie Adeeſſe zu ſagen“
„Wilzelmſteaße 250, zwei Treppen hoch bei der
ran Ober⸗Jagegieur Brandt..
„Wie!“ rief Roſa erſchrocken, „bei Fran Ober⸗In-

genieur Brandt!“

„Wenn Jinen der Wez zu weit iſt, ſo köanen Sie
Auf die zwei Groſchen
joll es mir nicht arhkommen,“ entzernete Herr Relbedanz,
welchem ihre Bewegung vicht entgangen wa.
„Es iſt mir unmözlich“, murmelte die Unglücktiche,
„die Dame zu ſehen. Ich bin nicht wohl und wochte
Sie des zalb bitten, eine andere Schueiderin mit dem Kleide
zu ſchicken.“ —
„Das geht nicht, mein liebes Lind, za die Dame
es ausdrücklich wüaſcht und Sie ihr ganz beſonders
empfohlen fiand.“
„Ich bin wirklich nicht im Sta ide —“
„Es wird ſchon gehen, wenn Sie ſich nur zuſam-
mennehmen. Ich kann mir doch Ihretwegen nicht Un-
annehmlichkriten machen und mir die gute Kunoſchaft
Wens Sie ſo eigenſinnig find, ſo kan ich

einen Pfengi; für ihre Arbeit, bevor Sie nicht der Da me
das Kleid anprobitt haben.“ ö
So ſchwer es auch der armen Roſa fiel, die Frau
ihres Geliebten zu ſehen, ſo blieb ihr doch keine Wahl,
wenn ſie nitt ihre bisheri e Beſchäftigung, ihre rinzige
Nahrungsquelle und die Gunſt des Herrn Reibedanz
verſcherzen wollte. Mit einem ſchmerzlichen Seufzer nahm
ſie wieder den Karton, worin ſich die Robe befand, nach-
dem ſie dem Kaufmaun verſprochen hatte, ſich ſogleich
zu der bezeichneten Dame zu begeben und alles nach
Wunſch zu beſorgen.
„Sie werden“, ſagte Herr Reibedanz, dem ihre Bläſſe
auffiel, „von der kleinen Mühe nicht gleich ſterben. Die
Frau Ober⸗Ingenieur iſt eine liebenswürdige und ge-
neröſe Dame, ſie wird Ihnen mit Vergnügen den Gang
extra bezahlen, wenn ſie mit Ihnen zufrieden iſt. Em-

pfehlen Sie mich ihr und halten Sie ſich nicht zu lange
 
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