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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 78 - 90 (4. October - 31. October)
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heidelberger Volksblatt.

2 *

Samſtag, den 7. October 1876.

9. Jahrg.

Erſcheint Mitiwoch and Saxeſta g. Preis Rynatlich 36 Pf Einzelne Nummex à6 Pf. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgaſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. ö ö

AQui pro quo.
Von Dr. C. Grübler.

In einem prächtigen Hauſe der Reſidenz war das
Feß einer ſilbernen Hochzeit gefeiert worden. Mitternacht
war längſt vorüber, als die Frauen die Geſellſchaft ver-
ließen und ſich zurückzogen. Die Mäaner — Jang und
Alt — rückten näher an tinander und vergaßen em fröh-
lichen Geplauder die ſpät« Stunde. Man ſprach von Die-
ſem und Jenem, von Glück und Unglück, ron Sterben
und Verderben, vom Gedeihen und vom Freien. Ma rch'
luſtige Hirathsgeſchichte ward erzäßlt und Vieles, Hei-
teres wie Ernſtes, über des Zufalls Fügnogen geſprochen,
die Mann und Weib zuſammengeführt. Als einer der
Erzähler ſo recht den Zufall als Eheſtifter pries, lachte

der alte Herr, der bis jetzt ziemlich ſchweiſam auf dem

Ehreuplatz geſeſſen, — der Vater der Jubilarin — kurz

auf. Es trat ei ie vlötzliche Stille ein, dann drängte ſich

Alles um den Greis, und bat, die Geſchi hte zum Beſten
zu geben, die ihm wohl im Augenblicke eiagefallen. Der
alte Herr wies die Dränger mi komiſcher Geberde ab
und ließ ſich lauge bitten; endlich aber nickte er zuſagend
mit dem weiſen freundlichen Kopfe, und verſprach, den
Wunſch der Geſellſchaft zu erfüllen. Neue Flaſchen wur-

den aufgepfropit, die Gläſer vollgegoſſen, der mächeige

Camia mit Holz vorſorgt und der Kreis um den Er-
zähler noch enger geſchloſſen.

„Ihr müßt nicht viel erwarten,“ hegann der alte Hrrr,

zdoch des Anhörens iſt die Geſchichte, die mir ſelber paſ-
firte, immerhin werth.“
„Ich muß weit ausholen.“
„Es war die Stadtſchule, wo ich die Bekanntſchaft
meines Freundes Max Hauſchild machte, damals eines
hübſchen Kindes von zehn bis zwölf Jahren. Ich war
zwei Jahre älter als er; und da zwiſchen unſera Eltern
tin freundſchaftliches Verhältniß beſtand, ſo wurde er un-
ter meinen beſonderen Schutz geſtellt. Als einziger Sohn
war er ſehr verzogen worden; ſein Wille war die Vor-
ſchrift des ganzen Hauſes und ſeine Mutter täglich und
ſtündlich nur darauf bedacht, dem Schooßkinde neue Ver-
gnügungen zu verſchaffen. ö
Aus ei ier ſolchen Erziehung konnte nichts Gutes kom-
men; der Junge ward von Tag zu Tag wüſter und kecker,

und als er eines Tages ſei ie Zunge am Vater zu wetzen

verſuchte, machte dieſer kurzen Prozeß, jagte den Tau-

friedigen.

genichts aus dem Hꝛzuſe und übergab ihn, trotz der Droh ⸗
ungen, Bitten und Nervenanfälle der Frau Mutter den
Händen unſeres Schulmeiſters Oleariné, der eine Pen-
ſionsanſtalt hielt.
Ich ſchloß mich ihm bald an, und er bezizte mir
ſeinerſeits viel Freundſchaft. Alles is der Schule war
neu für ihn und verſchaffde ihm tauſenderlei Anrezungen.

Es vervgiug keia Tag, ohne daß er einen zeuen Poſſen

d rübte; das Geld, welches Mutter ihm zuſteckte, ſchlen
ihm die Häade zu verbrennen, und ſobald er k ines mehr
hatte, borgte er ohne Bedenken, um ſeine Launnen zu be-
Seine häufi zſte Gläubizerin war unſere Nach-
barin, die dicke Medaste Mey 'rn, eine Kachenbäckerin.
Max befand ſich alſo oft ig Noth und nahm die arge
Gewohnheit an, durch allerlei Lu; und Trug ſeine kleinen
Vergehungen zu verbergen. ö
Hätte ich ihn nicht aufeichtig gellebt, ſo wäre meine
Geduld durch ihn bald erſchöpft worden; mehr als hun-
dert Mal hatte er, mit dem Verſprechen baldiger Wiꝛ-
dererflattung, zu meiner ſchmelen Börſe ſeine Zufl icht
genom nen, ader auch, ſodald er mich aus dem Geficht
verloren hatte, die Sache vergeſſen. Mit ſechzehn Jahren
ging ich voan der Schule ab und der arme Mar vergoß
beim Abſchied bittere Thränen. Er ſprach kein Wort
von den Thalern und Groſchen, die er mir noch ſchul-
dig war, aber er ſchien erleichtert aufzuathmen, als ich
zu der Aufforderung, mir bald zu ſchreiben, nicht hinzu-
ſetzte: „Vergiß nicht, Deinem erſten Briefe das Geld
beizulegen“ Wie den auch ſei, ich ſah ihn wärend mei-
nes Aufenthalts in ** nie wieder. Unſer Briefwechſel,
der im Aufange ziemlich lebhaft geführt ward, hörte nach
und nach auf und ein ganzzes Jayr hindurch hörte ich
kein Wort von ihm.
Eines Tages endlich kam ein Packt unter miiEaer
Adreſſe an, deſſen Jahalt eine ſchöne prächtiz eiagebun-
dene Ausgabe meiner Lieblin j3⸗Autoren war; auf der er-
ſter Seite ſtand mein Name und dacunter bꝛfanden ſich
die Worte: „Von ſeinem dankoarer Freunde Max.“ In
einem Briefe, welcher das Packet begleitete, meldete, er
mir ſeinen Eintritt in ein Haſaren⸗Regim nt. Ich freute
mich des ſchö ien Geſchenks, denn als ſolch ? mußt: ich
die Bü her betrachtes, da ihr Werth die Höhe der Schuld-
ſumme bedrutend überſtieg; danken koant: ich nicht, da
Mar vergeſſen, ſeine Adreſſe anzugeben.
Jahre vgingen. Kurze Zeit, nachdem ich als Aſ-
ſeſſor nach der Hauptſtadt berufen worden war, traf ich
 
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