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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 35 - Nr. 43 (3. Mai - 31. Mai)
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Heidelberger Vollsblatt.

Nr. 36.

Samſtag, den 6. Mai 1876.

9. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgaſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Voſtanſtalten.

Es geht doch!
Novellette von Th. Osman.
Profeſſor Haller war ein Mann von mittlerer Größe,

eher häßlich wie hübſch, und trug eine Brille mit gro-

ßen Gläſern. Er war als gelehrter Mann bekannt, der
ſeinem eiſernem Fleiße mehr als ſeinem angeborenen
Genie ſein Wiſſen verdankte, und der in ſeiner Beſchei-
denheit eine unbedeutende Stelle an einer Univerſität
angenommen, welche all' ſeine Kollegen wegen ihres dürf-
tigen Einkommens ausgeſchlagen hatten Haller aber
dachte: Fünfhundert Thaler baares Geld jährlich und
freie Wohnung iſt beſſer wie Warten ohne Einkommen.
Die Univerſitätsſtadt ſelbſt war klein, die Zahl ihrer
Einwohner betrug kaum 4000, die aber ihre Häuſer
weit auseinander gebaut hatten, all ein Gärtchen da-
neben oder davor beſaßen, und mehr ein Land⸗ als ein
Studtleben führten.
Profeſſor Haller verweilte bereits ſeit dꝛei Mona-
ten im Städtchen und kam jetzt zu dem reiflich über-
legten Entſchlus, ſich aus denſelben Gründen wie der
Landpreditzer von Wakefield eine Frau zu ſuch n. Nicht
allein daßs hatte er üderlegt: er war in ſeiner Gelehr-
ſamkeit Jſo weit gegangen, ſich genau mit den Eigen-
ſchaften vertraut zu machen, die ſeiner Zukünftigen un-
Imgäntzlich nöthig ſein müßten: Sanftmuth, Liebens-
würoiſakeit, Lebenskaft, Fleiß, Sparſamkeit und Tüchtig-
keit ii ů
2 allen Dingen.
„ach dieſen wohlerwogenen Plänen bli⸗b ihm nur
Eins „übrig: eine Frau, und zwar eine Frau mit all
ewünſchten Eigenſchaften zu finden und — zu feſſeln!
u unſerm Bedauern müſſen wir geſtehen, das os-
das Darchdenken obizer Pläne dem Profeſſor viel
und Mühe gekoſtet hatte, ſich auch nicht die ge-
nußzſte Ausſicht zeigte, dieſelben zum Schluß gebracht zu
ſehſen, weil — die Verkörperung ſeines Ideals in Ge-
ſtalt eines hübſchen Mädchens mit den gewäuſchten Ei-
genſqhaften im Städtchen gar nicht exͤſtirte.
Jaura Berghaus z. B. war anerkanntermaßen das
hübſchefte Mädchen in der Stadt und Tochter des ange-
ſehenan Befitzers eines Koglenbergwerks. Sie war in
einer Penſton der Reſidenzſtadt erzogen und ſeit einem
Jahreſ als vollkom nen ausgebildet wieder zu den Eltern

zurückchekehrt. Sie war wirklich hübſch, aber wild über

iſt der Menſch!

ringſten Einfluß!

alle Maßen; und des Profeſſors erſte Bedingung war
doch: Sanftmuth! — Laura ritt lachend mit ihrem
ſchönen Pferde über Gräben und Hecken, tunzte leiden-
ſchaftlich, brachte mit ihrer Weldheit jede Geſellſchaft in
Aufruhr, und, wenn es ihr gerade einfſtel, ſegelte ſie bei
tollſtem Winde allein auf dem breiten Strome und wußte
die Segel zu hiſſen und einzureffen, das Steuer zu
führen gerade ſo geſchickt wie ihr Bruder. Ja, die jun-
gen Mädchen tuſchelten, natüelich nur gan, leiſe uater
ſich — Laura hätte — man denke! — in der Penſion
ſchwimen gelernt! Wie unendlich fern ſtand ſie alſo
dem Ideal des Profeſſors! Und dennoch — wie ſchwach
er geſtand ſich ſelbſt ehrlich ein, daß
dieſes Mädchen mit ihren feiſchen, hellen Augen, mit
ihrem glockenhellen Lachen einen eigenthümlichen, unbe-
ſchreiblichen Eindruck auf ihn ausübe, während die ge-
lehrten, geiſtreichen Unterhaltungen mit den Töchtern
vom Bürgermeiſter, von Kreisrichter und von einem
ſeiner Collegen ihn durchaus nicht anregten! Natür-
licherweiſe hatte das auf ſeine Prinzipien nicht den ge-
Er gab nur zu, d. h. ſich ſelbſt, daß
für den Fall er andere, ſeinen jetztgen Anſichten ent-
gegengeſetzte Aaſichten hegen könnte, er zweifelsohne die
größt⸗ Bewunderung und Verehr ung für Fräulein Laura
Berghaus fühlen und an den Tag lezen würde.
In den Hundstagen kam Guſtav, der Bruder Laura's,
um ſeine Eltern einige Wochen zu beſuchen. Er war ein
Jahr älter als ſeine Schweſter. Das Hauptvergnügen
Beider beſtand darin, dir Standen der Muſe zum Se-
geln mit ihrem klei gen Boote zu benutzen. Prodiant
nahmen ſie gleich für den ganzen Tig mit und fuhren
dann den ſchönen Strom hinaaf bis zu den dichten
Waͤlde, der einige Meilen von der Stadt aufiag und
den Lauf des Fluſſes auf beiden Seiten begrenzte.
Auf einer dieſer Fahrten ſahen ſie an waldizen Ufer

den Profeſſor in Gedanken verſunken auf dem Fußpfad

dahinſch reiten.
„Herr Profeſſor!“ ri⸗f Guſtav, „wohin des Weges?“
„Zurück zur Stadt“, erwiderte der Profeſſor, indem
er die Inſaſſen des Bootes begrüßte. „Ich habe hier
nach einer Pflanze geſucht, ſie aber leider nicht gefunden!“
„Dann haben Sie alſo nichts Anderes vor?“
„Durchaus vichts als nach Hauſe zu konmen.“
„Wollen Sie uns ihre Geſellſchaft ſchenken? Wir
haben fuͤr ein gutes Frühſtück geſorzt; wir wollen noch
bis zum nächſten Dorfe fahren und dann zurück.“
 
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