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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 52 - Nr. 60 (1. Juli - 29. Juli)
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Heidelberger Volksblatt.

Nr. 58.

Mittwoch, den 5. Juli 1876.

9. Jahrg.

erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgaſſe 4

und bei den Trägern. Answärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Die Vraſideutiu.
Kriminalgeſchichte von J. D. 5 Temme.
GCortſezung.)

Der Wachtmeiſter erwiderte nichts, wandte ſich von
dem Schloſſe ab, ſchritt langſam wie mit ſich überlegend,
in den Hof hinein, dem Parke zu.
„Die Kammerfrau kehrte in ihr Stübchen zurück. Sie
hoͤrte auf ihrem Wege nichts, auch nichts in dem kleinen
Gemach. Ihre Beſorgaiß wollte trotzdem nicht weichen.
Sie mußte ſich wieder an ihr Fenſter ſetzen, nach dem
Hofe hinunter zu horchen und zu ſpähen. Sie ſaß lange
da, ohne etwas wahrzunehmen. Mädigkeit führt fie zu-
letzt zu ihrem Lager; aber ſie legte in ihrer vollen Klei-
dung ſich nur auf das Bett. Sie wollte nicht ſchlafen;
ſie konnte ſich des Gedankens nicht erwehren, daß die
Nacht noch etwas Entſetzliches bringen werde. Da wollte
fie jeden Augenblick vei der Ha⸗d ſein.
Sie war dennoch eingeſchlummert.
Sie erwachte. Sie glaubt, indem ſie die Augen auf-
ſchlug, ein leiſes Flünern und Sprechen mehrerer Stim-
men, ein noch leiſeres Hin⸗ und Hergehen mehrerer Men-
ſchen zu gewahren. Sie wußte nicht, ob ſie dadurch auf-
geweckt war oder ob ein anderer Umſtand ihren Schlaf
unterbrochen habe. Das Geräuſch war unten auf dem
Hofe in der Nähe des Schloſſes, abſeits von ihrem Fen-
ſter. Ste beſaun ſich raſch. Sie verließ ihr Bett, trat
an das Fenſter. Sie blickte nur in den leeren Hof; di-
Menſchen draußen mußten ſich alſo ganz dicht an der
Mauer des Schloſſes befinden, ſo daß ſie von oben, ohne
daß das Fenſter geoͤffnet wurde, nicht zu ſehen waren.
Da waren ſie noch; die Frau hörte noch ihr Flüſtern
und Hin⸗ und Hergehen. Sollte ſie das Fenſter öffnen?
Sie wagte es nicht; es konnte unten gehört werden. Aber
dann? Was konnte von unten her ihr ohen geſchehen?
Und wer waren dann am Ende die Menſchen? Polen
ſagte ihr wohl das klopfende Herz, das ſeit Tagen ſchon
mit der Furcht vor den Polen ſich getragen hatte.
es konnten ja auch Schloßbewohner ſein, die
Erendiß awahete pihein geführt hatte.
Da gewahrte ich ihr Auge eine Bewegun-
auf dem Hoft. ploͤtzlich ihr Auge eine Bewegung unten

irgend ein

Aus den Nebengꝛbäuden — die Häuſer wurden ſo be-

nannt — erſchien ein Menſch. Es war an demſelben

Aber

Hauſe, aus dem vorder die dunkle Frauengeſtalt hervor-
gekommen war; die Kammerfrau hielt es auch diesmal
wenigſtens für daſſelbe Haus. Diesmal war eine Man as-
perſon hervorgetreten; auch unter der Thür hervor; es
war, als wenn die Thür nicht wäre geöffnet worden, viel-
mehr der Meuſch nur uater ihrem Geſimſe geſtanten
hätte. Er war kaum einen Schritt hervorzetreten; er
ſchien uach den Fenſtern des Hauſes hinaufzublicken. Und
gleich darauf öffnete ſich eins der Fenſter; ein Kopf er-
ſchien darin, war aber faſt in demſelben Augenblick wie-
wieder verſchwunden. Es wer, als wenn der Menſch das

Haus belagere, und die Belagerten ſich hatten vergewiſ-

ſern wollen, ob der Feind noch vor der Thäre ſei.
Und der Feind? ö
Und wenn die Nebengebände belagert waren, ſo war
es auch das Schloß — von dem Haufen der Menſchen,
die an ſeinen Mauern ſich befanden! ö
Und der Feind? fragt: die Frau ſich noch einmal.
Ach! mußte ſie ausrufen. ö
Die Polin! ö
Eine dunkie Frauengeſtalt war wieder auf dem Hofe
erſchienen. Trotz der Dunkelheit glaubte die Kammer-
frau nicht zweifeln zu dürfen, daß ſie dieſelbe Geſtult ſeh⸗,
die ſie vorhin wahrgenommen, die ſie für die Polin ge-
halten, die der Wachtmeiſter geſucht, verfolgt hatte.
Ihre Gedanken hatten durch die Entdeckung eine be-
ſtimmtere Richtung gewonnen. Aber zu einem Entſchluſſe
konnte ſie noch nicht gelangen. Sie fand auch dieſen.
Die Frauengeſtalt, die vermeintliche Polin, hatte ſich
zu dem Manne begebeg, der unter der Thür des Neben-
gebändes Wache hielt, mußte mit ihm kurze Worte ge-
wechſelt haben, kehrt: raſch zum Schloſſe zurück. ö
Einen Augenblick nachher ſetztea die Menſchen an dem
Schloſſe, wie es ſchien, der ganze Hanfen, ſich in Bewe-
gung. Sie zogen ab, dicht an den Mauern des Schloſ-
ſes entlang, ſo daz ſie von oben nicht zu ſehen weren,
nach dem Seitenflügel des Gebäudes. Sise gingen in ge-
ſchloſſenen Reihen, ſchnell, leiſe. Ihre Scheitte verhallten.
Die Kammerfrau mußtelwieder einen Entſchluaß faſſen

Der Haufen hatte den Hof verlaſſen; aber er konnte
in der nächſten Nähe geblieben ſein. Die Wache an den
Nebenhäuſern war noch immer da Eine genauere Aus-

kunft konnte die Frau ſich nicht verſchaffen. Auch die

leiſeſte, geringſten Oeffnonz des Fenſt rs hätte ſie ver-
rathen. Sie wußte dennoch, was ſie zu tbun hatte; die
Herrſchaſt mußte benachrichtigt werzen. Mochte dieſe mit
 
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