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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 35 - Nr. 43 (3. Mai - 31. Mai)
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Nr. 43.

heidelberger

olksblatt.

Mittwoch, den 31. Mai 1876.

9. Jahrg.

erſcheint Rittuse Sentag. Breis monallich 36 Vf Ctuzelne Nummer 1 6 Pf. Man abonnirt beim Verleger, Shiffgaſſe 4

und bei ben Xrügern. Auswärts bei den Nandboten und Poſtanſtalten.

Der Kloſterteich.
Von B. M.
(Fortſetzung.)

„Elsbeth“, ſagte er mit heiſerer Stimme, „wenn
Deine Liebe jenem Anderen in's Grab gefolgt iſt, ſo
bekenne es frei und offen. Ich gehoͤre Dir an mit je-
dem Pulsſchlag meines Herzens, mit jeder Regung mei-
ner Seele, dafür fordere ich aber auch von Dir die
rückshaltloſeſte Hingebung, das vollſte, liebende Ver-
trauen.“
„Konnteft Du wirklich glauben, daß ich mich noch
grämte“, rief ſie; aber wie erſchrocken über dieſe Worte
füͤgte ſie leiſe und beſchämt hinzu: „Mein Robert, ge-
rade weil ich nicht ſo empfinde, wie ich eigentlich ſollte,
war ich traurig und zerfallen mit mir ſelbſt. Wohl
hatteſt Du Recht! Bisher habe ich nur die Liebe eines
Kindes gekannt; aber jetzt liebe ich mit der ganzen In-
nigkeit des Weibes; darum erſchien mir auch der Vor-
gang mit dem Rung wie ein mahnender Vorwurf.“
VElsbeth, Du machſt mich unbeſchreiblich glücklich!“
jabelte er entzückt auf. ö
WMöge Gott mir vergeben, wenn ich ein Unrecht an
dem Andenken des Verſtorbenen begehe“, flüſterte fie
unter Thränen. „Du weißt, ob und wie ich mich um
ihn gegrämt habe! Aber Robert, wenn ich Dich ver-
lieren ſollte, würde mir das Herz brechen.“
Sie ſah itn an, mit einem Blick ſo voll Liebe und
Vertrauen, wie er ihm aus dieſen wunderbaren Augen
noch nicht zu Theil geworven war. Alle Sorgen und
Zweifel ſchwanden, und beſeeligende Ruhe zog in ſein
ungeſtuümes, wildbewegtes Herz.
„Sie iſt glücklich, gewiß ſie iſt jetzt wahrhaft glück-
lich“, dachte Robert, als er durch die eifige Januar-
nacht nach Hauſe ſchritt. Das Schickſal hat es mit uns
Beiden gut gemeint. Sie wäre geiſtig untergega agen an

der Seite dieſes flachen, gutmüthigen Meuſchen, dem es

nur ihre Schönheit angethan hatte und der ſich eben ſo
leicht in jedes andere hübſche Mädchen verliebt hätte,
wie in mein Kleinod, meinen Abgott, in das einzige
Weib auf der ganzen weiten Erde, das mir liebenswerth
erſcheint. Endlich, endlich wird ſie mein! nach ſo viel
Jahren der Qual! Nur noch dieſe eine Nacht habe
ich zu überſtehen.“ ö — —

Und der Hochzeitstag brach an. Es war ein un-
freundlicher, kalter Morgen mit ſchneidendem Wind und
aſchgrauem Schneehimmel. Die Paſtorin ſchauderte vor
Froſt und Undehagen, trotz all' ihrer warmen Hüllen.
Die Feier, der ſie beiwohnen ſollte, erfreute ſich
durchaus nicht ihrer Zuſtimmung; ſie konnte Elsbeth's
Handlungsweiſe noch immer nicht ganz billigen, um ſo
mehr, als Dörnburg ihr höchſt unſympet ziſch war.
„Wenn mein Ernſt mir durch den Tod entriſſen würde,
ich würde ihn nie vergeſſen können“, dachte die weich-
herzige Frau.
Erſt der Eintritt des Bräutigams erweckte ſie aus
ihrem trüben Sinnen. Aber, mein Himmel, wie ſah
Dörnburg heute aus? War das die Miene eines Bräu-
tigams? Wenn er ſchon ſonſt ernſt und blaß ausſah,
ſo war er doch heute ſo todtenbleich, ſo ſtarr, ſo furcht-
bar entſtellt, daß er kaum wieder zu erkennen war.
„Großer Gott, der Menſch wird wahnſianig!“ war
der erſte Gedanke, der ſie bei ſeinem Eintritt durch-
zuckte; aber ſchon im nächſten Augenblick fand fi? ihre
Befürchtung grundlos, denn ſie ſah zu ihrem Staunen,
daß des Doctors Benehmen vollkommen geſam nelt wr.
Die alte Trina aber, die in ihrem höchſten Staat in
ſeiner nächſten Nähe ſtand, verwandt! keinen Blick von
ihrem Herrn, ſie ſah, daß ſeine Haad ſo heftig zitterte,
daß er das Geſangduch, in dem er blätterte, weglegen
mußte, und daß er von da ab, mit untergeſchlagenen
Armen, krampfhaft an der Unterlippe nagend, dem Ein-
tritt ſeiner Braut entgegenharrte.
Endlich erſchien Elsbeth, geführt von einem liebens-
würdigen, alten Gutsherrn aus der Nachbarſchaft, der
ſich freundlicherweiſe erboten hatte, heute Vaterſtelle bꝛi
der Verwaiſten zu vertreten; im ſelben Moment ſtand
auch Dörnburg ruhig und gefaßt am Altar neben ſeiner
Braut. Obſchon ſie ihrem Wittwenſtande gemäß nur
ein einfaches ſilbergraues Seidenkleid und Orangenblüͤt hen
im Haar trug, ſo konnte man doch keine zatere, kindlichere
Braut ſehen als ſie. Noch nie war ihre Schönheit ſo
lieblich und anmuthig erſchienen, wie in dieſem An gen-
blick, wo ſiꝛ ſchuͤchtern verſchämt und doch ſo innig be-
glückt vor dem Altar ſtand.
„Gott ſei mit ihr, dachte Frau Horn! Wena die
Aermſte ſich nur nicht über ſein Ausſehen entſetzt!“
Aber Cisbeth ſah nichts, denn während der ganzen
Trauung erhob ſie nicht einmal den Blick. Nur da er-

Iſchrack ſie, als Roberts fieberzlühende Hand die ihre
 
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