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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 103 - 109 (2. Dezember - 16. Dezember)
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2

geidelberger Volksblatt.

Dienſtag, den 12. Dezember 1876.

9. Jahrg.

Erſcheint jeden Dienſtag, Donnerſtag und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf. Einzelne Nummer 4 6 Pf. Man abonnirt beim Ver-
leger, Schiffgaſſe 4 und bei den Trägern. Auswärts bei den Landbot en und Poſtanſtalten.

Das verkaufte Herz.
Eine Erzählung von Max Ring.

(Fortſetzung.)

Die Sorge und die Anſtrengung drohte ſie aufzureiben
und ihre Kräfte zu erſchöpfen, da ſich die Krankheit, eine
ſchleichende Bruſtent,ündung, Wochen lang hinzog. Nur
der Gedanke an ihr Kind hielt ſie aufrecht und ſchützte
ſte vor Verzweiflung. Kein Opfer fiel ihr zu ſchwer,
keine Mühe ſchien ihr zu groß, für den Kleinen hätte
ſie mit Freuden ihr Herzblut hingegeben, wenn es der
Doltor für ihn verlaugt hätte.
Seit einigen Tagen war eine ſchwache Beſſerung ein-
getreten, aber eia verdächtiger Huſten und das Fieber noch
zurückgeblieben; was den Arzt bedenklich machte. Mit
der ungft einer liedendeu Mutter las Roſa in ſeigen
Mienen des Urtheil ihres Kiades.
„Um des Himmels Willen!“ rief ſie erſchrocken. „Sa-
gen Sie mir die Wahrheit, Herr Doktor!“
„Das Kind iſt zwar außer Gefahr, aber wenn ſie
es erhalten wollen, ſo müſſen Sie mit ihen auf das Land
ziehen. Eine Luftveränderung in für Sie und noch mehr
für den tleinen Patienten iſt dringend nothwendig, ja die
einige Möͤglichkeit, um völliz zu geneſen. Wenn Sie nicht
ſo bald als möglich die Stadt mit ihm derlaſſen, ſo kann
ich nicht dafür einſteher, daß das Kind geſund wird.“
„Neir, nein! Es kaun, es darf nicht ſterben. Das
kann Gott nicht zulaſſen.“
„Ich will Ihnen keines wegs die Hoffaung rauben,
wenn Sie ozne Zoͤgern meinen Rath befolgen. Aber
wir haben keine Zet zu verlieren.“
„Was ſoll ich thun? Ich weiß nicht, wie ich es
moͤglich machen ſoll?“ ö
»Das kann ich Ihnen nicht ſagen. Ich kenne nicht
Ihre Verhältniſſe. Haben Sie keige Mittel keine Ver-
wandte, keine Freunde auf dem Lande denen Sie das Kind
auvertrauen können?“
„Keinen Menſchen,“ verſetzte ſie traurig. „Auch
würde ich mich nicht entfchlteßen, mich von ihm zu trennen.“
„Das iſt freilich ſchlimm Vielleicht iſt der Vater

in der Lage —“ 9 ö —
„Der Vater!“ erwiderte ſie e nd. „Der Vater
lebt ſoll mein armes

iſt todt, ober ſo lange die Mutter
Ki d nicht Mangel leiden.“

Als der Arzt gegangen war, kaiete ſie an dem Lager
ihres Lieblings nieder, betete ſie ſo innig und ſo heis,
wie nur eine Mutter un die Erhaltung ihres Kindes
beten kann. Sie hatte keinen Meuſchen, der ihr helfen
konute, wenn nicht der Himmel ihr einen Rerter ſchickte.
Robert war ein Gefangener, die gute Luiſe zu arn, um
ihr beizuſtehen. Vater Wegener katte ſie verſtoßen, ſie
ſelbſt ſtand einſam und verl ſſen auf der weiten Welt.
Nur ein Feeuad war ihr noch geblieben, der ehrliche
Wilhelm. Aber ſie wagte nicht, ſich an den Warn zu
wenden, deſſen Liebe ſie zurückgewieſen hatte. Vergebens
rmarterte fie ihr Hirn, umſonſt ſuchte ſie nach einem
Ausweg, um ihr Kind vor der drozenden Gefahr zu be-
wahren.
Kummer uad Sorge liehen ihr den ganzen Tag krine
Ruhe und rauüten ihr des Nachts den Schlaf. Eeſt ge-
gen Morgen verſank ſie in einen leichten Schlummter, von
Schwäche und Mürizkeit überwältigt. Sebſt in ihren
unruhigen Träumen ſah ſie ihr armes Kizd, dis asge-
zehrten Händcheu ihr entgegenſtreckerd. Gegen ihre Ge-
wohnheit ſchlief ſie noch, als die Gemüſeän lerin ſchon
längſt aufgeſtanden war und das Frühſtück bereitete, wel-
ches ſie mit Roſa zu theilen pflegte.
Verwundert über den langen Schlaf der Feundin,
war ſis im Begriff, die Saͤumige zu rufen, als fi fſich
durch den unerwarteten Beſach des Ackerbürgers zurück-
gehalten ſah, der ſich ſogleich angelegertich nach Roſa
erkundigte, nachder er die überraſchte Luiſe bezrürt und
die ihm entzegenſpriagenden Kiader abgederzt hatte.
„Sie ſchläft noch,“ verſetzte die Gemüſezändlerin.
„Wahrſcheinlich hat ſis wieder die ganze Nacht bei dem
Kinde gewacht und grarbeitet. Wenu ſi⸗'s ſo fosttreibt,
wird ſie es nicht meyr laug ausgaiten. Seit geſtern iſt
ſte wie urgewar delt, ſie weint und jam nert, daz es ei-
nen Stein erbarmen muß.“ ö
„Was iſt denn vorgefallen? Geht es mit dem Kinde
ſchlechter?“ ö
„Das gerade nicht. Der Daektor het ihr geſagt, daß
ſie auf das Land ziehen muß, wenn das Kiad am Leben
bleiben ſoll. Das macht ſie ſo traurig, weil ſie uicht
weiz, woher das Geld nehmen.“ ö ö
„Darum brauchte ſie ſich doch nicht zu ſorgen. Ich
härte ihr mit tauſend Freuden die Kleinigkeit gegeben.“
„Da kennen ſie die Roſa ſchlecht. Lieber arbeitet ſi e
fich zu Tode, ede ſie von eigem B kannten etwas an-
nimm: und von Ihnen am allerwenizſ en.“
 
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