Nr. 45.
Mittwoch, den 7. Juni 1876.
9. Jahrg.
eErſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 f Kinzelne Rummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgaſſe 4.
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.
Der Kloſterteich.
Von B. M.
(Fortſetzung.)
Er ſprach bitter und unzuſammenhängend, ſo daß
Elsbeth betroffen ſchwieg, Nach einer peinlichen Pauſe
ſagte ſie, ihm ängſtlich in's Geſicht blickend: ö
„Du kommſt mir heute wie verwandelt vor, Robert;
Ou biſt übermüdet..
„Es iſt eine Ewigkeit,
hoͤrte“, ſagte er ablenkend. „Hatteſt Du nicht irgend
eine Sammlung von alten Kirchenliedern? Ich bin
heute Abend nicht in der Stimmung, andere Mufik zu
hören.“ *
Sie ſuchte ihre Noten hervor und ſang ihm das
Dies irae, deſſen edle Melodie und ergreifender Text
wie geſchaffen für ihre weiche Altſtimme und ihren zum
Herzen dringenden Vortrag waren. Der darin geſchil-
derte Kamof der Hoffunng und des Glaubens mit der
Troſtloſigkeit und der Verzweiflung hatte etwas Ueber-
wältigendes. ——
Robert ſtützte das Haupt in die Hand, urd lauſchte
athemlos dem inbrünſtigen Flehen des frommen Liedes.
Kaum waren die letzten Töne verhallt, ſo erhob er ſich
ploͤtzlich mit den Worten: „Ich vin wirklich über-
müdet, Els bety, und habe Kopfſchmerzen.
mich niederleges.“ Sie folgte ihm bald; aber noch
vor Mitternacht weckte ſie voll Schrecken die alte Trina.
Er war nach kurzem Schlummer mit ſo heftigen Kopf-
ſchmerz und ſo ſtarkem Fieder erwacht, daß Elsbeth ganz
außer ſich vor Angſt war; dennoch war er bei vollem
Bewußtſein und wollte durchaus nicht zugeben, daß ſie
zum Doctor Harder ſchicke, zu dem ſie allerdings ſelbſt
kein volles Vertrauen hatte. Sie atbmete erieichtert
auf, als die erfahrene Trina den Zuſtand nur für Folge
von Ueberanſtrengung erklärte und ihm ihr Univerſal-
mittel, eine Taſſe Baldriant zee, verordnete. Wirklich
ſchlief er auch unmittelbar danach ein; aber ſein Schlaf
war ſo unruhig, daß Elsbeth nicht wagte, zu Bette zu
gehen, ſondern lieber der alten Trina Geſellſchaft lei-
ſtete, die im Wohnzimmer am Ofea neben ihrer Thee-
kanne Wacht hielt.
VEr ſcheint qualvolle Träume zu haben und fiebert
daß ich Dich nicht ſingen
Ich will
ſehr heftig“, flüſterte ſie beſorgt. Fürchten Sie nicht
auch, Trina, daß er ernſtlich krank wird?“
„Gott bewahre“, ſagte die treue Seele beruhigend;
„ihm fehlt nichts als Ruhe. Mir iſt er ſchon längſt
ganz kurios vorgekommen.“
„Auch ich finde ihn ſeit einiger Zeit ſehr verändert“,
ſagte Elsbeth, die in ihrer Herzensangſt vor ihres
Mannes treuer, vielerprobter Dienerin keinen Hehl aus
ihren Empfindungen machte „Schon lange bemerke ich
mit Schrecken, wie verſtimmt und niedergeſchlagen er iſt.“
Bei dieſen Worten blickte ſie ängſtlich durch die halb
offene Thür, wo ihr Mann mit verſtörtem, wildem Aus-
druck in dem fiebergerstheten Geſicht ſich unruhig auf
ſeinem Lager hin und her warf. ö
„Liebſte Frau Doctor“, flüſterte Trina, „machen
Sie ſich nur kein Kopfzerbrechens mit Etferſucht; was-
der Herr Doctor auch für Launen haben mag, ſo lieb
wie Sie iſt ihm doch Niemand auf der Welt.“
„Ach, davon bin ich überzeugt“, ſagte Elsbeth, un-
willkürlich lächelnd bei dem Gedanken, daz ſie eiſer-
ſüchtig ſein könne. — ö
„Na, nehmen wir nun mal an, er hätte ſonſt was
auf dem Herzen“, fuhr die Alte geheimnißvoll fort,
„wenn's auch nicht gerade ſo was iſt. Vielleicht hält
er irgend was Anderes vor der Frau Doctor geheim,
und hat keine Courage, es gerade heraus zu ſagen.
Wenn Sie ihn dazu bringen köanten, Iggen ſein Herz
auszuſchütten, dann wäre gewiß Alles beſſer.“
Elsbeth blickte ſte überraſcht an, ehe ſie aber noch
ein Wort der Erwiderang fand, fuhr Trina raſch fort:
„Ich bin zwar nur eine einfältize alte Frau, aber
das laſſe ich mir nun einmal nicht nehmen, daß der
Herr Doctor von dem Aug nublick an ganz anders ge-
worden iſt, wo der fremde Herr ia der Nacht vor Ihrem
Hochzeitstage bei ihm war.“
„Was!“ rief ſie überraſcht, als ſie Eisbeth's er-
ſtauntes Geficht ſah, „hat er Ihnen denn davon nichts
geſagt?“ꝰ ö ö
„Ich erinnere mich wenigſtens nicht“, ſagte Elsbeth,
gewaltſam eine ruhige, würdige Haltung behauptend;
„alſo wird es am beſten ſein, Trina, wenn wir gar
nicht weiter darüber ſprechen; denn was ich davon er-
fahren ſoll, möchte ich nur von meinem Manne ſelbſt.
bören.“ ö
„Gott bewahre, da iſt ja gar nichts weiter darüber
zu ſagen. Ich war nur ſpät Abends noch beim Plättem
Mittwoch, den 7. Juni 1876.
9. Jahrg.
eErſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 f Kinzelne Rummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgaſſe 4.
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.
Der Kloſterteich.
Von B. M.
(Fortſetzung.)
Er ſprach bitter und unzuſammenhängend, ſo daß
Elsbeth betroffen ſchwieg, Nach einer peinlichen Pauſe
ſagte ſie, ihm ängſtlich in's Geſicht blickend: ö
„Du kommſt mir heute wie verwandelt vor, Robert;
Ou biſt übermüdet..
„Es iſt eine Ewigkeit,
hoͤrte“, ſagte er ablenkend. „Hatteſt Du nicht irgend
eine Sammlung von alten Kirchenliedern? Ich bin
heute Abend nicht in der Stimmung, andere Mufik zu
hören.“ *
Sie ſuchte ihre Noten hervor und ſang ihm das
Dies irae, deſſen edle Melodie und ergreifender Text
wie geſchaffen für ihre weiche Altſtimme und ihren zum
Herzen dringenden Vortrag waren. Der darin geſchil-
derte Kamof der Hoffunng und des Glaubens mit der
Troſtloſigkeit und der Verzweiflung hatte etwas Ueber-
wältigendes. ——
Robert ſtützte das Haupt in die Hand, urd lauſchte
athemlos dem inbrünſtigen Flehen des frommen Liedes.
Kaum waren die letzten Töne verhallt, ſo erhob er ſich
ploͤtzlich mit den Worten: „Ich vin wirklich über-
müdet, Els bety, und habe Kopfſchmerzen.
mich niederleges.“ Sie folgte ihm bald; aber noch
vor Mitternacht weckte ſie voll Schrecken die alte Trina.
Er war nach kurzem Schlummer mit ſo heftigen Kopf-
ſchmerz und ſo ſtarkem Fieder erwacht, daß Elsbeth ganz
außer ſich vor Angſt war; dennoch war er bei vollem
Bewußtſein und wollte durchaus nicht zugeben, daß ſie
zum Doctor Harder ſchicke, zu dem ſie allerdings ſelbſt
kein volles Vertrauen hatte. Sie atbmete erieichtert
auf, als die erfahrene Trina den Zuſtand nur für Folge
von Ueberanſtrengung erklärte und ihm ihr Univerſal-
mittel, eine Taſſe Baldriant zee, verordnete. Wirklich
ſchlief er auch unmittelbar danach ein; aber ſein Schlaf
war ſo unruhig, daß Elsbeth nicht wagte, zu Bette zu
gehen, ſondern lieber der alten Trina Geſellſchaft lei-
ſtete, die im Wohnzimmer am Ofea neben ihrer Thee-
kanne Wacht hielt.
VEr ſcheint qualvolle Träume zu haben und fiebert
daß ich Dich nicht ſingen
Ich will
ſehr heftig“, flüſterte ſie beſorgt. Fürchten Sie nicht
auch, Trina, daß er ernſtlich krank wird?“
„Gott bewahre“, ſagte die treue Seele beruhigend;
„ihm fehlt nichts als Ruhe. Mir iſt er ſchon längſt
ganz kurios vorgekommen.“
„Auch ich finde ihn ſeit einiger Zeit ſehr verändert“,
ſagte Elsbeth, die in ihrer Herzensangſt vor ihres
Mannes treuer, vielerprobter Dienerin keinen Hehl aus
ihren Empfindungen machte „Schon lange bemerke ich
mit Schrecken, wie verſtimmt und niedergeſchlagen er iſt.“
Bei dieſen Worten blickte ſie ängſtlich durch die halb
offene Thür, wo ihr Mann mit verſtörtem, wildem Aus-
druck in dem fiebergerstheten Geſicht ſich unruhig auf
ſeinem Lager hin und her warf. ö
„Liebſte Frau Doctor“, flüſterte Trina, „machen
Sie ſich nur kein Kopfzerbrechens mit Etferſucht; was-
der Herr Doctor auch für Launen haben mag, ſo lieb
wie Sie iſt ihm doch Niemand auf der Welt.“
„Ach, davon bin ich überzeugt“, ſagte Elsbeth, un-
willkürlich lächelnd bei dem Gedanken, daz ſie eiſer-
ſüchtig ſein könne. — ö
„Na, nehmen wir nun mal an, er hätte ſonſt was
auf dem Herzen“, fuhr die Alte geheimnißvoll fort,
„wenn's auch nicht gerade ſo was iſt. Vielleicht hält
er irgend was Anderes vor der Frau Doctor geheim,
und hat keine Courage, es gerade heraus zu ſagen.
Wenn Sie ihn dazu bringen köanten, Iggen ſein Herz
auszuſchütten, dann wäre gewiß Alles beſſer.“
Elsbeth blickte ſte überraſcht an, ehe ſie aber noch
ein Wort der Erwiderang fand, fuhr Trina raſch fort:
„Ich bin zwar nur eine einfältize alte Frau, aber
das laſſe ich mir nun einmal nicht nehmen, daß der
Herr Doctor von dem Aug nublick an ganz anders ge-
worden iſt, wo der fremde Herr ia der Nacht vor Ihrem
Hochzeitstage bei ihm war.“
„Was!“ rief ſie überraſcht, als ſie Eisbeth's er-
ſtauntes Geficht ſah, „hat er Ihnen denn davon nichts
geſagt?“ꝰ ö ö
„Ich erinnere mich wenigſtens nicht“, ſagte Elsbeth,
gewaltſam eine ruhige, würdige Haltung behauptend;
„alſo wird es am beſten ſein, Trina, wenn wir gar
nicht weiter darüber ſprechen; denn was ich davon er-
fahren ſoll, möchte ich nur von meinem Manne ſelbſt.
bören.“ ö
„Gott bewahre, da iſt ja gar nichts weiter darüber
zu ſagen. Ich war nur ſpät Abends noch beim Plättem