heidelberger
Volksblatt.
Nr. Z.
Samſtag, den 8. Januar 1876.
9. Jahrg.
Erſcheint Mittwoch und Sam ſtag. Preis monatlich 36 Pf. Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleg er, Schiffzaſſe Y.
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.
Aus dunkler Zeit.
Sittenbild von Marie von Roskowska.
(Fortſetzung.)
Da ſpaniſche Moden damals in Deutſchland herrſch-
ten und ſolche Sendungen häufig anlangten, der Vater
damit ſeiner Tochter beweiſen wollte, daß er ſie zärt-
lich liebe, obwohl er zu einem Beſuch nicht Zeit fand,
ſtudirten die Frauen und Jungfrauen der Stadt den
Anzug der beneidenswerthen und vielfach beneideten
Engelbrechta ſo voll Bewunderung, Sehnſucht, Nachah-
mungstrieb und — Neid, wie die ſchönere Hälfte der
ſpäteren Menſchengeſchlechter ein namhaftes Modejour-
nal. So koſtbare Spitzen wie die Vohtalin beſaß keine
Andere.
Es war daher, zumal da ſich viele Bewerber um
ſie drängten, kaum zu verwundern, daß Engelbrechta
den Kopf höher trug, oder doch mehr in den Nacken
zurückwarf, als jede Andere. Von mittelgroßer, etwas
gedrungener Geſtalt, beſaß ſie ein ziemlich hübſches,
friſches Geſicht, das ſehr einnehmend ward, wenn ſie
freundlich lächelte und die hellblauen Augen heiter
ſtrahlten. Und heute Abend ſchien ſie aus der fröh ·
lichen lächelnden Stimmung nicht herauszukommen.
„Das war wenigſtens nicht geſchehen, als de vorhin
mit ihrem jüngſten Oheim Sigismund, dem Magiſter,
redete. Dieſen wunderte es beinahe; ſeit einiger Zeit
hatte ſie ihm ſelten oder gar nicht mehr freundlich zu-
gelächelt, ihn im Gegentheil oft mit dem kalten Blick,
dem wegwerfenden Zuge um den vollen, aufgeworfenen
Mund angeſchaut, der ſie geradezu unangenehm machte.
Und doch hätte man meinen ſollen, der junge Ge-
lehrte ſage ihr eben nichts beſonders Erfreuliches.
„Dieſen Herrn von Keudeliz dachte ich mir als
einen feinen Hofmann, und nun —“ ein leichtes Achſel-
zucken ergaͤnzte die Rede; er blickte dabei auf einen
ſtarkknochigen jungen Mann mit röthlichem Haar und
Bart, der ſeinen glänzenden Putz mit ſichtlichem Be-
hagen trug, doch mit eben ſo ſichtlichem Ungeſchick.
Sein Weſen zeugte von großer körperlicher Kraft, von
lebhaftem, ja zu lebhaftem Temperament, doch zeigte
er nichts von Dem, was man zu jener Zeit Bildung
nannte, wenn es zuweilen auch weiter ni Is höf-
liher Schuf war. ch weiter nichts als höf
„Du machſt viel Anſprüche, Sigismund. Die An-
dern würden Dir nicht beiſtimmen, finden ihn ſogar
liebenswürdig. Er ißt und trinkt tüchtig, lacht und
tanzt viel, iſt auf das Prächtigſte gekleidet und —“
„Er mißfällt Dir alſo nicht?“ ſragte Sigismund
raſch.
Gleichgültig hatte ihr Blick den jungen Edelmann
geſtreift, um auf einem andern ebenfalls jungen Mann
haften zu bleiben. „Was kümmert er mich?“
„Er iſt ein vertrauter Freund, ein Jugendgenoſſe
des Herrn von Orbitz auf Dahlenberg, hält ſich ja zum
Beſuch bei ihm auf. Und dann —“ Sigismund ſtockte,
wie ſich beſinnend, einen Augendlick und fuhr etwas
gezwungen fort: „Und eine Aeußerung in Deines
Vaters letzten Brief? Sie ſetzt mich in Verwunderung,
nun ich Herrn von Keudelitz kenne; dennoch —“
Sie Unterbrach ihn mit einer abwehrenden Hand-
bewegung. O nicht doch! Mein Vater wird und ſoll
mir niemals zumuthen, einen ſo plumpen Geſellen —“
Erröthend unterbrach ſie ſich ſelber.
Herr von Keudelitz leerte gerade mit Gier den ſil-
bernen Becher, den ihm einer der Aufwärter geboten.
Engelbrechia lächelte — hatte es ja ſelber veranlaßt,
daß dem ſremden Gaſt recht viel Erquickungen gereicht
wurden. Etwas ungewiß wandte ſie ſich wieder dem
jugendlichen Oheim zu. „Und was ſagſt Du zu dem
— dem Gelehrten, der ihn begleitet?“
Auch ſein Blick wandte ſich nach der Richtung,
welche der ihrige verfolgte. „Gelehrten? Hm! Ich
habe von Gelehrſamkeit wenig entdecken können, ſo
wei und weltgewandt er auch über Alles zu reden
weiß.“
Ein Lächeln flog wieder über ihr Geſicht.
„Er nennt ſich allerdings Magiſtex, allein —“
Abermals fiel ſie ihm in die Rede: „Das dünkt
Dich ein Mummenſchanz, nicht waͤhr? Der Edelmann
guckt überall aus der Verkleidung hervor. Und mehr
als das. Du, zum Beiſpiel, biſt ja auch ein Geſchlech-
terſohn und nebenbei Magiſter, doch —“ Sie brach ab,
als bedürfe es keines weitern Wortes. Und in der
That war der Ton der einzigen Silbe vielſagender,
als die längſte Rede, er drückte aus: daß ein Vergleich
zwiſchen dem Verwandten und dem Fremden unendlich
zum Nachtheil des Erſtern ausfiel.
Dieſe Aeußerung der Geringſchätzung mußte den
jungen Oheim um ſo mehr überraſchen, da ſie ihn
ſelber zu einem Tanz aufgefordert und ihn überaus
freundlich angeredet hatte. Ein lichtes Roth ſtieg in
ſein bleiches Geſicht. „Engelbrechta, was haſt
Volksblatt.
Nr. Z.
Samſtag, den 8. Januar 1876.
9. Jahrg.
Erſcheint Mittwoch und Sam ſtag. Preis monatlich 36 Pf. Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleg er, Schiffzaſſe Y.
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.
Aus dunkler Zeit.
Sittenbild von Marie von Roskowska.
(Fortſetzung.)
Da ſpaniſche Moden damals in Deutſchland herrſch-
ten und ſolche Sendungen häufig anlangten, der Vater
damit ſeiner Tochter beweiſen wollte, daß er ſie zärt-
lich liebe, obwohl er zu einem Beſuch nicht Zeit fand,
ſtudirten die Frauen und Jungfrauen der Stadt den
Anzug der beneidenswerthen und vielfach beneideten
Engelbrechta ſo voll Bewunderung, Sehnſucht, Nachah-
mungstrieb und — Neid, wie die ſchönere Hälfte der
ſpäteren Menſchengeſchlechter ein namhaftes Modejour-
nal. So koſtbare Spitzen wie die Vohtalin beſaß keine
Andere.
Es war daher, zumal da ſich viele Bewerber um
ſie drängten, kaum zu verwundern, daß Engelbrechta
den Kopf höher trug, oder doch mehr in den Nacken
zurückwarf, als jede Andere. Von mittelgroßer, etwas
gedrungener Geſtalt, beſaß ſie ein ziemlich hübſches,
friſches Geſicht, das ſehr einnehmend ward, wenn ſie
freundlich lächelte und die hellblauen Augen heiter
ſtrahlten. Und heute Abend ſchien ſie aus der fröh ·
lichen lächelnden Stimmung nicht herauszukommen.
„Das war wenigſtens nicht geſchehen, als de vorhin
mit ihrem jüngſten Oheim Sigismund, dem Magiſter,
redete. Dieſen wunderte es beinahe; ſeit einiger Zeit
hatte ſie ihm ſelten oder gar nicht mehr freundlich zu-
gelächelt, ihn im Gegentheil oft mit dem kalten Blick,
dem wegwerfenden Zuge um den vollen, aufgeworfenen
Mund angeſchaut, der ſie geradezu unangenehm machte.
Und doch hätte man meinen ſollen, der junge Ge-
lehrte ſage ihr eben nichts beſonders Erfreuliches.
„Dieſen Herrn von Keudeliz dachte ich mir als
einen feinen Hofmann, und nun —“ ein leichtes Achſel-
zucken ergaͤnzte die Rede; er blickte dabei auf einen
ſtarkknochigen jungen Mann mit röthlichem Haar und
Bart, der ſeinen glänzenden Putz mit ſichtlichem Be-
hagen trug, doch mit eben ſo ſichtlichem Ungeſchick.
Sein Weſen zeugte von großer körperlicher Kraft, von
lebhaftem, ja zu lebhaftem Temperament, doch zeigte
er nichts von Dem, was man zu jener Zeit Bildung
nannte, wenn es zuweilen auch weiter ni Is höf-
liher Schuf war. ch weiter nichts als höf
„Du machſt viel Anſprüche, Sigismund. Die An-
dern würden Dir nicht beiſtimmen, finden ihn ſogar
liebenswürdig. Er ißt und trinkt tüchtig, lacht und
tanzt viel, iſt auf das Prächtigſte gekleidet und —“
„Er mißfällt Dir alſo nicht?“ ſragte Sigismund
raſch.
Gleichgültig hatte ihr Blick den jungen Edelmann
geſtreift, um auf einem andern ebenfalls jungen Mann
haften zu bleiben. „Was kümmert er mich?“
„Er iſt ein vertrauter Freund, ein Jugendgenoſſe
des Herrn von Orbitz auf Dahlenberg, hält ſich ja zum
Beſuch bei ihm auf. Und dann —“ Sigismund ſtockte,
wie ſich beſinnend, einen Augendlick und fuhr etwas
gezwungen fort: „Und eine Aeußerung in Deines
Vaters letzten Brief? Sie ſetzt mich in Verwunderung,
nun ich Herrn von Keudelitz kenne; dennoch —“
Sie Unterbrach ihn mit einer abwehrenden Hand-
bewegung. O nicht doch! Mein Vater wird und ſoll
mir niemals zumuthen, einen ſo plumpen Geſellen —“
Erröthend unterbrach ſie ſich ſelber.
Herr von Keudelitz leerte gerade mit Gier den ſil-
bernen Becher, den ihm einer der Aufwärter geboten.
Engelbrechia lächelte — hatte es ja ſelber veranlaßt,
daß dem ſremden Gaſt recht viel Erquickungen gereicht
wurden. Etwas ungewiß wandte ſie ſich wieder dem
jugendlichen Oheim zu. „Und was ſagſt Du zu dem
— dem Gelehrten, der ihn begleitet?“
Auch ſein Blick wandte ſich nach der Richtung,
welche der ihrige verfolgte. „Gelehrten? Hm! Ich
habe von Gelehrſamkeit wenig entdecken können, ſo
wei und weltgewandt er auch über Alles zu reden
weiß.“
Ein Lächeln flog wieder über ihr Geſicht.
„Er nennt ſich allerdings Magiſtex, allein —“
Abermals fiel ſie ihm in die Rede: „Das dünkt
Dich ein Mummenſchanz, nicht waͤhr? Der Edelmann
guckt überall aus der Verkleidung hervor. Und mehr
als das. Du, zum Beiſpiel, biſt ja auch ein Geſchlech-
terſohn und nebenbei Magiſter, doch —“ Sie brach ab,
als bedürfe es keines weitern Wortes. Und in der
That war der Ton der einzigen Silbe vielſagender,
als die längſte Rede, er drückte aus: daß ein Vergleich
zwiſchen dem Verwandten und dem Fremden unendlich
zum Nachtheil des Erſtern ausfiel.
Dieſe Aeußerung der Geringſchätzung mußte den
jungen Oheim um ſo mehr überraſchen, da ſie ihn
ſelber zu einem Tanz aufgefordert und ihn überaus
freundlich angeredet hatte. Ein lichtes Roth ſtieg in
ſein bleiches Geſicht. „Engelbrechta, was haſt