geidelberger Volksblatt.
Nr. 54.
Samſtag, den 8. Juli 1876.
9. Jahrg.
urſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgaſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Sandboten und Poſtanſtalten. * ö
Die Präſideutin.
Kriminalgeſchichte von J. D. H Temme.
(Fortſetzung.)
Und der General hatte keine Ahnung davon, und un-
zweifelhaft auch kein Anderer im Schloſſe, außer ihr und
dem Wachtmeiſter. Und wo der Wachtmeiſter war, wußte
ſie nicht, und ſie ſollte, nach dem beſtimmten Befehl des
finſtern Mannes, zu der Herrſchaft nicht zurück, um des
Heiles ihrer Seelen willen nicht.
Aber es war ihr ein Verrath, jene Theilnahme an dem
Morde an der Ermordung ihres Herra, wenn ſie nicht
warnte, nicht half, da mußte ihre Seele erſt recht ver-
loren ſein. ö *
Sie trat an das Fenſter ihres Stübchens, um auch
durch das Ange ſich zu überzeugen, was draußen war.
Sie ſah nichts. Die volle Bunkelheit der Nacht herrſchte
auf dem Hofe, herrſchte ſoweit ihr Aage umher ſtreifen
konnte. Auf dem Hofe konnte ihr Blick die Finſterniß
durchdringen. Wenn eine Geſtalt ſich dort bewegt hätte,
fie häte es gewahren müſſen. Sie gewahrte nichts. Die
Menſchen, die da waren, mußten ſich dicht an den Mau-
ern des Schloſſes halten, ſo daß ſie durch das verſchloſ-
ſene Fenſter des Stübchens oben im vierten Stock nicht
geſehen werden konnten.
Auf einmal ſah ſie doch etwas.
Aber bevor wir weiter erzählen, müſſen wir zum beſ-
ſern Verſtändniß die Lokalitäten von Schloß Romnike be-
ſchreiben. ö ö
Schloß Romnike war ein Kompler mehrer Gebäu-
lichkeiten, die unter dieſem Ramen zuſammengefaßt wur-
den. Das Schloß beſtand aus zwei Gebänden, einem
alten und einem neuen. Das alte ſtammte aus den
Zeiten des deutſchen Ritterordens, der Sage nach aus
noch älterer Zeit. Ein heidniſcher Fürſt der Litthauer
oder Polen ſollte hier gehauſet habev, von den deutſchen
ö Rittern im dreizehnten Jahrhundert beſiegt und bezwuagen
ſein. Sein Schloß ſei theilwetſe zerſtört worden; auf den
Reſten und mit ſeinen Trümmern zu Theil hatten die
Ritter ein neues Schloß erbaut.
noch, als im ſechzehnten Jahrhundert das Ordensland ein
Herzogthum Preußen wurde und dann dem Kurfürſten
von Brandenburg zufiel, um fortan mit der Krone Preu-
ßens verbunden zu ſein. Romnike war nur eine kurfürſt-
tenſten Domainen in Preußiſch⸗Litthauen.
des Gutes umgeben war.
Dieſes Schloß exiſtirte
liche, dann königliche Domaine. Es war eine der beden-
Es ſollte als
ſolche repräſentiren. Zu Ende des vorigen Jahrhunderts
ließ die Regierung zu dem Ritterſchloſſe, obgleich es noch
immer wohl erhalten war, ein neues Schloß im pracht-
vollſten Style der Zeit hinzubauen. Beide Bauten, von
denen das Ritterſchloß fetzt das alte hieß, ſtellten als
zwei, aber zuſammengebauten Schlöſſer ſich dar. Im In-
nern weren ſie miteinander verbunden durch Thüren, die
verſchloſſen werden konnten. In jeder der zwei unteren
Stockwerke des neuen Schloſſes befand ſich eine folche
Thür, nur eine. ö
Beide Schlöſſer lagen an dem obern Ende des ein
längliches Viereck bildenden geräumigen Schloßhofes, ge-
genüber dem offenen Ein ang desſelben. Links vom Ein-
gange aus war das alte, rechts das neue Schloß. An
der Langſeite des Hofes, rechts vom Eingange aus, be-
fanden ſich die Wirthſchaftsgebäude, die „Häuſer“ genanni.
Die linke Langſeite ſchloß ſich an den Park an, oben von
dieſen durch die Gewächshäuſer getrennt, wo dieſe auf-
hörten, ohne alle Scheidung. Der Park war auf allen
ſeinen andern Seiten von der großen Gutswaldung um-
ſchloſſen, die weit längs der zuſſiſchen Grenze ſich aus-
dehnte, und da, wo ſie dieſe vicht berührte, überall von
den unüberſehbaren Acker⸗, Weiden⸗und Wieſen⸗Ländereien
Von mehreren Vorwerken aus
mußte deren Bewirthſchaftung beſorgt werden.
In dem neuen Schloſſe wohnte die Herrſchaft mit
ihrer uumitielbaren Dienerſchaft. Dieſe war gering. Der
General, wie groß ſein Reichthum, ſchon ſein aygeerbter
war, unter welch' großartigen Verhältniſſen er ſeine Ju-
gend verlebt hatte, war als Soldat der einfachſte Mann
geweſen, nur der Soldat, der ſich abhärten, jeden Luxus
von ſich weiſen, jeder Bequuemlichkeit entſagen müſſe.
Als er ſich vermählte und in der Reſidenz, um ſeiner
jungen ſchönen Gemahlin willen, ein großes glänzendes
Haus machte, hatte er ſich auch mit einer zahlreichen Die-
nerſchaft umgeben. Er katte dieſe nach Schloß Romaike
mit hinaus nehmen wollen. Auf Bitten ſeiner Gemahlin
hatte er es uiterlaſſen, gern, da der Prunk ihm läſtig
war wie ihr. * ö ö
In dem alten Schloſſ: befanden ſich die Bare aus der
Gutsverwaltung, und hatten die Bezmten mit ihren Fa-
milien ihre Wohaungen.
Die „Häuſer“ warden von den Wirthſchaftsleuten
bewohnt, ſoweit dieſe nicht in den Vorwerken zerſtreut
Nr. 54.
Samſtag, den 8. Juli 1876.
9. Jahrg.
urſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgaſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Sandboten und Poſtanſtalten. * ö
Die Präſideutin.
Kriminalgeſchichte von J. D. H Temme.
(Fortſetzung.)
Und der General hatte keine Ahnung davon, und un-
zweifelhaft auch kein Anderer im Schloſſe, außer ihr und
dem Wachtmeiſter. Und wo der Wachtmeiſter war, wußte
ſie nicht, und ſie ſollte, nach dem beſtimmten Befehl des
finſtern Mannes, zu der Herrſchaft nicht zurück, um des
Heiles ihrer Seelen willen nicht.
Aber es war ihr ein Verrath, jene Theilnahme an dem
Morde an der Ermordung ihres Herra, wenn ſie nicht
warnte, nicht half, da mußte ihre Seele erſt recht ver-
loren ſein. ö *
Sie trat an das Fenſter ihres Stübchens, um auch
durch das Ange ſich zu überzeugen, was draußen war.
Sie ſah nichts. Die volle Bunkelheit der Nacht herrſchte
auf dem Hofe, herrſchte ſoweit ihr Aage umher ſtreifen
konnte. Auf dem Hofe konnte ihr Blick die Finſterniß
durchdringen. Wenn eine Geſtalt ſich dort bewegt hätte,
fie häte es gewahren müſſen. Sie gewahrte nichts. Die
Menſchen, die da waren, mußten ſich dicht an den Mau-
ern des Schloſſes halten, ſo daß ſie durch das verſchloſ-
ſene Fenſter des Stübchens oben im vierten Stock nicht
geſehen werden konnten.
Auf einmal ſah ſie doch etwas.
Aber bevor wir weiter erzählen, müſſen wir zum beſ-
ſern Verſtändniß die Lokalitäten von Schloß Romnike be-
ſchreiben. ö ö
Schloß Romnike war ein Kompler mehrer Gebäu-
lichkeiten, die unter dieſem Ramen zuſammengefaßt wur-
den. Das Schloß beſtand aus zwei Gebänden, einem
alten und einem neuen. Das alte ſtammte aus den
Zeiten des deutſchen Ritterordens, der Sage nach aus
noch älterer Zeit. Ein heidniſcher Fürſt der Litthauer
oder Polen ſollte hier gehauſet habev, von den deutſchen
ö Rittern im dreizehnten Jahrhundert beſiegt und bezwuagen
ſein. Sein Schloß ſei theilwetſe zerſtört worden; auf den
Reſten und mit ſeinen Trümmern zu Theil hatten die
Ritter ein neues Schloß erbaut.
noch, als im ſechzehnten Jahrhundert das Ordensland ein
Herzogthum Preußen wurde und dann dem Kurfürſten
von Brandenburg zufiel, um fortan mit der Krone Preu-
ßens verbunden zu ſein. Romnike war nur eine kurfürſt-
tenſten Domainen in Preußiſch⸗Litthauen.
des Gutes umgeben war.
Dieſes Schloß exiſtirte
liche, dann königliche Domaine. Es war eine der beden-
Es ſollte als
ſolche repräſentiren. Zu Ende des vorigen Jahrhunderts
ließ die Regierung zu dem Ritterſchloſſe, obgleich es noch
immer wohl erhalten war, ein neues Schloß im pracht-
vollſten Style der Zeit hinzubauen. Beide Bauten, von
denen das Ritterſchloß fetzt das alte hieß, ſtellten als
zwei, aber zuſammengebauten Schlöſſer ſich dar. Im In-
nern weren ſie miteinander verbunden durch Thüren, die
verſchloſſen werden konnten. In jeder der zwei unteren
Stockwerke des neuen Schloſſes befand ſich eine folche
Thür, nur eine. ö
Beide Schlöſſer lagen an dem obern Ende des ein
längliches Viereck bildenden geräumigen Schloßhofes, ge-
genüber dem offenen Ein ang desſelben. Links vom Ein-
gange aus war das alte, rechts das neue Schloß. An
der Langſeite des Hofes, rechts vom Eingange aus, be-
fanden ſich die Wirthſchaftsgebäude, die „Häuſer“ genanni.
Die linke Langſeite ſchloß ſich an den Park an, oben von
dieſen durch die Gewächshäuſer getrennt, wo dieſe auf-
hörten, ohne alle Scheidung. Der Park war auf allen
ſeinen andern Seiten von der großen Gutswaldung um-
ſchloſſen, die weit längs der zuſſiſchen Grenze ſich aus-
dehnte, und da, wo ſie dieſe vicht berührte, überall von
den unüberſehbaren Acker⸗, Weiden⸗und Wieſen⸗Ländereien
Von mehreren Vorwerken aus
mußte deren Bewirthſchaftung beſorgt werden.
In dem neuen Schloſſe wohnte die Herrſchaft mit
ihrer uumitielbaren Dienerſchaft. Dieſe war gering. Der
General, wie groß ſein Reichthum, ſchon ſein aygeerbter
war, unter welch' großartigen Verhältniſſen er ſeine Ju-
gend verlebt hatte, war als Soldat der einfachſte Mann
geweſen, nur der Soldat, der ſich abhärten, jeden Luxus
von ſich weiſen, jeder Bequuemlichkeit entſagen müſſe.
Als er ſich vermählte und in der Reſidenz, um ſeiner
jungen ſchönen Gemahlin willen, ein großes glänzendes
Haus machte, hatte er ſich auch mit einer zahlreichen Die-
nerſchaft umgeben. Er katte dieſe nach Schloß Romaike
mit hinaus nehmen wollen. Auf Bitten ſeiner Gemahlin
hatte er es uiterlaſſen, gern, da der Prunk ihm läſtig
war wie ihr. * ö ö
In dem alten Schloſſ: befanden ſich die Bare aus der
Gutsverwaltung, und hatten die Bezmten mit ihren Fa-
milien ihre Wohaungen.
Die „Häuſer“ warden von den Wirthſchaftsleuten
bewohnt, ſoweit dieſe nicht in den Vorwerken zerſtreut