Heidelberger Volksblatt.
Nr. 4.
Samſtag, den 15. Januar 1876.
9. Jahrg.
Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgaſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.
Aus dunkler Zeit.
Sittenbild von Marie von Roskowska.
(Fortſetzung.)
Benigna mußte ſich beſinnen. „Gehört habe ich ei-
gentlich nichts weiter!“ Was ihr Katharina übern Hrn.
von Orbitz erzählt, das hielt ſie als müßiges Gerede
nicht der Mittheilung werth! „Aber ich —“
Die Mutter ſtand auf und machte ſich an der Truhe
etwas zu ſchaffen, wohtn der Lampenſchimmer nicht
drang. „Du haſt Dich gewiß gewundert und die En-
gernſteins werden ſich auch gewundert haben, daß ich
Dir nicht erlaubte, Engelbrechta ſchmücken zu helfen.“
Vrrgebens bemühte ſie ſich, dem ſchwankenden Ton
einige Feſtigkeit zu verleihen. „Ich hätte es wenig-
ſtens nicht heftig verbieten ſollen, als die Engernſteinin
herſandte. Aber es empörte meine ganze Seele, daß
Du das Mädchen bedienen ſollteſt wie eine Magd.“
Benigna las aus der ſeltſamen Betonung des letz-
ten Satzes heraus, daß ihre Mutter, wie ja auch Käthe
behauptete, tief gekränkt ſei durch der Vohtalin ſtolzes
Weſen. Sanft entgegnete ſie: „Freundinnen und Schwe-
ſtern leiſten einander ſolche Dienſte gern.“ ö
„Sie behandelt Dich ſo freundſchaftlich, ſo fchweſter-
lich!“ Dem höhniſchen und zugleich zornigen Ton miſchte
ſich ein herber Schmerz bei.
Eine Wolke zog über die klare Stirn des Mädchens.
Es war die Erinnerung an das unfreundliche Benehmen
der Jugendgeſpielin heute Abend, die nicht einmal ihren
Gruß erwiderte. Sie hatte es völlig überſehen, Ka-
tharina es aber auf dem Heimwege verſichert —, als
Aller Blicke ſich auf die Tanzenden richteten, wandte
Engelbrechta allein ſich mit hochmüthigem Kopfaufwer-⸗
ſen zurück und verſchmähte es auch, ſich in die Reihen
zu miſchen. Benigna ſchwieg jedoch davon, wollte der
ohnehin gegen den ehemaligen Pflegling verſtimmten
Mutter nicht neue Nahrung zu ſo ſchmerzlichem Groll
geben. Im Gegentheil, ſie ſagte, an ihre letzten Worte
anknüpfend, als habe ſie den mütterlichen Einwand
überhört':: „Und meine Luſt obenein iſt ſolche Dienſt-
leiſtung, zumal bei Engelbrechta. Sie ſah ſo ſchön
aus in dem reichen Schmuck. Noch ſchöner als ſonſt.“
So ſehr Frau Kerbelin dem undankbaren Pflegling
grollte — deſſen Schönheit hörte ſie gern rühmen; ſie
fragte jetzt alfo lebhaft: „Haſt Du ſie denn geſehen?“
Benigna erzählte, daß ſie mit Katharina ſtehen ge-
blieben, Herr Sigismund dazu gekommen ſei und ſie
ins Kaufhans hineingenommen habe.
Die Wittwe machte eine Bewegung, als wolle ſie
etwas ſagen, unterdrückte ihre Bemerkung jedoch und
unterbrach auch die ſernere Mittheilung nicht. Sie
hatte ſich wieder an den Tiſch geſetzt, zog ihr Spinn-
rad heran, ließ die Hände aber in den Schooß ſinken
und hörte aufmerkſam zu. Offenbar ſchmeichelte die
ihrer Tochter wiederfahrene Ehre dem Mutterherzen.
Sie ſchüttelte nur leicht den Kopf darüber, daß Käthe,
nicht ihre Tochter, von dem Vornehmſten der Herren
mit einem Tanz verehrt worden. — Das Umgekehrte
würde nicht nur ſie, die Mutter natürlich gefunden
haben, ſondern jeder Fremde. Käthe war ein recht
hübſches Mädchen, aber bei Weitem nicht ſo hübſch
um —
Da kniſterte es draußen auf der Stiege, die Thür
ward geöffnet und Katharina ſchlüpfte herein. Sie
mußte das wichtige Ereigniß, nachdem ſie es den Ih-
rigen umſtändlich erzählt hatte, nun doch auch hier
noch durchſprechen.
Frau Kerbelin war dazu geneigt. Durch Käthens
lebhafte Schilderung gewann ſie von dem Wortgange
einen andern Eindruck, als bei Benigna's beſcheidener
Zurückhaltung. ö
„So eitel bin ich nicht, mir einzubilden, es geſchah
um meinetwillen!“ rief die Schmiedstochter in ihrer
liebenswürdigen Offenheit. „Ich habe ja auch, Gott-
lob, meine Augen im Kopf. Da gewahrte ich gar wohl,
daß der ſchwarze Magiſter dem Herrn von Kendelitz
winkte, daß der raſch zu ihm ging und ſie leiſe mit
einander redeten, wobei ſie nach uns hinblickten; vor-
her war das dem Edelmann gar nicht eingefallen, wohl
aber hatte der Andere es von Anfang an gethan. Und
Wem ron uns Beiden es galt, was ich vorher nicht
wußte, das ſtellte ſich ja bei dem Aufziehen zum Tanz
heraus. Er hat nur ſeinen vornehmen Begleiter vor-
geſchoben und ihn an mich gewieſen, damit Benigna
nicht verſchüchtert würde nnd es nicht ſolch Aufſehen
machte, daß er mit ihr tanzen wollte! Oh, wer meines
Vaters Tochter täuſchen wollte, der müßte früher auf-
ſtehen, als ſo ein ſtudirter Herr! Aber eine eigene
Bewandniß hat es mit ihm, das iſt ſicher. Dem Stadt-
pfeifer gab er für den Tanz, den er uns verehrte,
einen blanken ungariſchen Dukaten! Wer ſo mit Geld
um ſich werfen kann, der dürfte nicht ein ſo ſchlichtes
Wams tragen, könnte auch Pluderhoſen haben, wenn
Nr. 4.
Samſtag, den 15. Januar 1876.
9. Jahrg.
Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgaſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.
Aus dunkler Zeit.
Sittenbild von Marie von Roskowska.
(Fortſetzung.)
Benigna mußte ſich beſinnen. „Gehört habe ich ei-
gentlich nichts weiter!“ Was ihr Katharina übern Hrn.
von Orbitz erzählt, das hielt ſie als müßiges Gerede
nicht der Mittheilung werth! „Aber ich —“
Die Mutter ſtand auf und machte ſich an der Truhe
etwas zu ſchaffen, wohtn der Lampenſchimmer nicht
drang. „Du haſt Dich gewiß gewundert und die En-
gernſteins werden ſich auch gewundert haben, daß ich
Dir nicht erlaubte, Engelbrechta ſchmücken zu helfen.“
Vrrgebens bemühte ſie ſich, dem ſchwankenden Ton
einige Feſtigkeit zu verleihen. „Ich hätte es wenig-
ſtens nicht heftig verbieten ſollen, als die Engernſteinin
herſandte. Aber es empörte meine ganze Seele, daß
Du das Mädchen bedienen ſollteſt wie eine Magd.“
Benigna las aus der ſeltſamen Betonung des letz-
ten Satzes heraus, daß ihre Mutter, wie ja auch Käthe
behauptete, tief gekränkt ſei durch der Vohtalin ſtolzes
Weſen. Sanft entgegnete ſie: „Freundinnen und Schwe-
ſtern leiſten einander ſolche Dienſte gern.“ ö
„Sie behandelt Dich ſo freundſchaftlich, ſo fchweſter-
lich!“ Dem höhniſchen und zugleich zornigen Ton miſchte
ſich ein herber Schmerz bei.
Eine Wolke zog über die klare Stirn des Mädchens.
Es war die Erinnerung an das unfreundliche Benehmen
der Jugendgeſpielin heute Abend, die nicht einmal ihren
Gruß erwiderte. Sie hatte es völlig überſehen, Ka-
tharina es aber auf dem Heimwege verſichert —, als
Aller Blicke ſich auf die Tanzenden richteten, wandte
Engelbrechta allein ſich mit hochmüthigem Kopfaufwer-⸗
ſen zurück und verſchmähte es auch, ſich in die Reihen
zu miſchen. Benigna ſchwieg jedoch davon, wollte der
ohnehin gegen den ehemaligen Pflegling verſtimmten
Mutter nicht neue Nahrung zu ſo ſchmerzlichem Groll
geben. Im Gegentheil, ſie ſagte, an ihre letzten Worte
anknüpfend, als habe ſie den mütterlichen Einwand
überhört':: „Und meine Luſt obenein iſt ſolche Dienſt-
leiſtung, zumal bei Engelbrechta. Sie ſah ſo ſchön
aus in dem reichen Schmuck. Noch ſchöner als ſonſt.“
So ſehr Frau Kerbelin dem undankbaren Pflegling
grollte — deſſen Schönheit hörte ſie gern rühmen; ſie
fragte jetzt alfo lebhaft: „Haſt Du ſie denn geſehen?“
Benigna erzählte, daß ſie mit Katharina ſtehen ge-
blieben, Herr Sigismund dazu gekommen ſei und ſie
ins Kaufhans hineingenommen habe.
Die Wittwe machte eine Bewegung, als wolle ſie
etwas ſagen, unterdrückte ihre Bemerkung jedoch und
unterbrach auch die ſernere Mittheilung nicht. Sie
hatte ſich wieder an den Tiſch geſetzt, zog ihr Spinn-
rad heran, ließ die Hände aber in den Schooß ſinken
und hörte aufmerkſam zu. Offenbar ſchmeichelte die
ihrer Tochter wiederfahrene Ehre dem Mutterherzen.
Sie ſchüttelte nur leicht den Kopf darüber, daß Käthe,
nicht ihre Tochter, von dem Vornehmſten der Herren
mit einem Tanz verehrt worden. — Das Umgekehrte
würde nicht nur ſie, die Mutter natürlich gefunden
haben, ſondern jeder Fremde. Käthe war ein recht
hübſches Mädchen, aber bei Weitem nicht ſo hübſch
um —
Da kniſterte es draußen auf der Stiege, die Thür
ward geöffnet und Katharina ſchlüpfte herein. Sie
mußte das wichtige Ereigniß, nachdem ſie es den Ih-
rigen umſtändlich erzählt hatte, nun doch auch hier
noch durchſprechen.
Frau Kerbelin war dazu geneigt. Durch Käthens
lebhafte Schilderung gewann ſie von dem Wortgange
einen andern Eindruck, als bei Benigna's beſcheidener
Zurückhaltung. ö
„So eitel bin ich nicht, mir einzubilden, es geſchah
um meinetwillen!“ rief die Schmiedstochter in ihrer
liebenswürdigen Offenheit. „Ich habe ja auch, Gott-
lob, meine Augen im Kopf. Da gewahrte ich gar wohl,
daß der ſchwarze Magiſter dem Herrn von Kendelitz
winkte, daß der raſch zu ihm ging und ſie leiſe mit
einander redeten, wobei ſie nach uns hinblickten; vor-
her war das dem Edelmann gar nicht eingefallen, wohl
aber hatte der Andere es von Anfang an gethan. Und
Wem ron uns Beiden es galt, was ich vorher nicht
wußte, das ſtellte ſich ja bei dem Aufziehen zum Tanz
heraus. Er hat nur ſeinen vornehmen Begleiter vor-
geſchoben und ihn an mich gewieſen, damit Benigna
nicht verſchüchtert würde nnd es nicht ſolch Aufſehen
machte, daß er mit ihr tanzen wollte! Oh, wer meines
Vaters Tochter täuſchen wollte, der müßte früher auf-
ſtehen, als ſo ein ſtudirter Herr! Aber eine eigene
Bewandniß hat es mit ihm, das iſt ſicher. Dem Stadt-
pfeifer gab er für den Tanz, den er uns verehrte,
einen blanken ungariſchen Dukaten! Wer ſo mit Geld
um ſich werfen kann, der dürfte nicht ein ſo ſchlichtes
Wams tragen, könnte auch Pluderhoſen haben, wenn