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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 9 - Nr. 16 (2. Februar - 26. Februar)
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geidelberger

Volksblatt.

Nr. 16.

Samſtag, den 26. Februar 1876.

9. Johrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne Nummer d 6 Pf. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgaſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Aus dunkler Zeit.
Sittenbild von Marte von Roskowska —

(Fortſetzung.)

Katharina tanzte indeß ſo unermüdlich, wie ſie ſich
ſchon längſt darnach geſehnt. Zuweilen wollte zwar ein
Schauer ſie überrieſeln und eine Art Reuegefühl. Die
naͤchtliche Erſcheinung in ihrem Hauſe fiel ihr ein und
die Geſchichte des Nachtſchmieds, dazwiſchen gedachte ſie
ihrer Hausgenoſfin, die ſie vor dieſen rauſchenden Luſt-
barkeiten ſtets gewarnt hatte und nun einſam und voller
Sorge um die Mutter in ihrem Kämmerlein ſpann. Aber
Faſchingsdienſtag war ja blos einmal im Jahre — ſie
nahm ſich vor, nur heute noch recht nach Herzensluſt
zu tanzen und dann fromm uno arbeitſam zu werden;
gab es doch auch in der Faſtenzeit keine Tanzluſtbarkei-
ten. Uebrigens hatten ſogar die Eltern nichts gegen ihr
heutiges Vergnügen, machten ſich ja ſelber nach ihrer
Weiſe einen frohen Abend und verlangten nur, daß ſie
zur Zeit nach Hauſe käme. Wie wild es bei dem Tanze
zuging, davon hatten ſie freilich keine Ahuung; das
junge Volk wurde von Jahr zu Jahr zuchtloſer. Auch
war da heute ein Hanswurſt, den Niemand kannte, der
aber vie Spielleute ſo reichlich bezahlte und den Platz-
meiſter ſo ſehr traktiite, daß jene auch verbotene Tänze
aufſpielten und der Platzmeiſter weder zu ſehen noch zu
hören ſchien, daß etwas Ungehöriges vorging.
Und dieſer Hanswurſt, ein großer Mann, ſchwang
eben Käthe ſo wild umher, daß die anderen Tänzer,
vom Nachahmungetrieb ergriffen, es ihm möglichſt nach-
zuthun ſtrebten. Sie vergaß in der Laſt des Augen-
vlicks alles Andere, bis ihr ploͤtzlich ein Gedanke kam,
der ſie mit eigenthümlichem Schrecken ja mit Grauen und
doch auch mit Freude erfüllte. „Wir tanzen nicht zum
erften Mal mit einander“, flüſterte ſie ihm zu. „Ich er-
kenne Euch gar wohl, Herr von Keudelitz.“ —
Sein unwillkürliches Zuſammenfahren verrieth, ſie
habe die Wahrheit getroffen. Dann heftete er einen
bittenden und zugleich verſchmitzten Blick auf ſie. „Ich
weiß, Ihr werdet mich nicht verrathen, Jungfer Käthe“,
gab er leiſe zurück. „Was aber die Edelmannſchaft be-
trifft, ſo bin ich froh, daß ich damit jetzt nicht mehr zu
prunken und in geborgten Federn einherzuſtolziren brauche.
Sie ſaßen mir gar zu unbequem, wie Ihr wohl gemerkt

haben werdet. Ich wenigſtens hatte bei jedem Wort und
bei jedem Tritt Angſt, mich zu verrathen, obgleich ich.
doch ſonſt ein kecker und auch gewandter Burſche bin.“
Voll Spannung blickte ſie ihn an. Redete nun das
Bier aus ihm, von dem er freilich ſchon ungeheure
Maſſen vertilgt hatte und in jeder Tanzpauſe zu ver-
tilgen fortfuhr? Betreten ſchüttelte ſie den Kopf. Aller-
lei ſeltſame Vermuthungen kamen ihr. ö
„Was macht Ihr hier in der Stadt?“ forſchte ſie.

Es mochte ihm nun doch einfallen, daß ſeine Offen-
heit nicht angebracht ſei und üble Folgen haben könne.
Daher ſchwieg er, oder vielmehr, er begann' eine andere
Art der Unterhaltung, er drückte ihr zärtlich die Hand.
„Ohne, daß Ihr es mir ſaget, weiß ichs!“ beharrte

ſie. „Ihr ſucht den jungen Herra, der die Vohtalin
entführen wollte. Id er denn noch in der Stadt?“
„Straf' mich Gott, wenn ich das weiß!“ ſtieß er
hervor. „Aber Ihr ſeid eine kleine Hexe, könnt mir

Alles aus dech Herzen herausleſen.“

Die Muſik verſtummie und er beeilte ſich, wieder zu
trinken und auch ſie mtt Getränk und Konfekt zu ver-
ſorgen. Nur zu gern hätte ſie die Geſchichte ganz ge-
wußt, ließ ſich alſo ſeine Aufmerkſamkeiten gefallen.
„Hier werdet Ihr Euern Freund freilich nicht fin-
den!“ begann ſie wieder, ſo bald die Gelegenheit ſich
darbot. ö
Er zuckte ſchmerzlich die Achſeln. „Habe ihn ſtun-
denlang umſonſt geſucht, bis die Verzweiflung mich zu-
letzt zur Luſtigkeit trieb. Ich kann meinem armen
Herrn ja doch nicht helfen — ich will alſo wenigſtens
tanzen! Noch einen Tanz!“
Sie haite eine Bewegung des Staunens gemacht.
„Es iſt al'o Euer Herr?“
Die Umſtehenden wurden aufmerkſam und neckten
das Paar wegen ſeiner angelegentlichen Unterhaltung,
oder verſpotteten den Hanswurſt, der traurig zu werden
ſchten, was ſich für ihn noch weniger zieme als für an-
dere Masken. ö
Joſt drang weiter in Käthe, ihm in die Reihen zu
folgen, ziemlich ungeſtüm, zärtlich oder zudringlich —
wie man es nun gerade nennen will. Heftig ſtieß ſie
ihn zurück — von Angft erfaßt. Dieſer Menſch, der
ſich früher für einen Edelmann ausgab, war der Diener
deſſen, den das Gericht heute wegen Jungfrauenraubes
geächtet! Alles, was ſie über eine beſtehende Bande
vernommen, ſchwirrte in ihrem Kopf durcheinander —
 
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