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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 9 - Nr. 16 (2. Februar - 26. Februar)
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58

Entſetzen ergriff fie, das Entſetzen, zur Strafe ihres
Leichtfinns auch zum Opfer dieſer Verbrecher auserſehen zu
ſein. Die Angft ſchnürte ihr die Kehle zuſammen. Als
er ihren Arm erfaßte und ſie mit Gewalt zum Tanz
fortziehen wollte, riß ſie ſich los, ſich dabei mit aller
Kraft zurückſtemmend gegen die Wand. Dieſe, bei den
ſogenannton Tanzläuben nur aus Brettern leicht erbaut,
wich hinter ihr. Eine Bohle brach los — ſie ſtürzte
mit einem gellenden Schrei hinab auf die Gaſſe.
Die Muſik verſtummte, allen Andern voran ſtürmte
der Urheber dieſes Unfalles die Stiege hinunter. Das
Mädchen lag regungslos auf dem Schnee.
„Sie iſt todt!“ ſchrie er entſetzt und fuhr dann wild
herum. Eine Hand legte ſich auf ſeine Schulter.
„Joſt — Du? Welche Streiche! — fort!“
Ein vom Haupt bis zu den Füßen in Werg Ver-
mummter ſtand vor ihm.
So verworren es in Joſts Kopf auch ausſah, die
Gewohnheit des Gehorſams behielt die Oberhand. „Ihr
— Herr? — Die Pferde ſtehen bereit“, ſtotterte er.
Eine gebieteriſche Hand bewegung deutete ihm den
Weg an, den er einzuſch lagen habe.
Die Tänzer und Tänzerinnon hatten ſich um Köthe
verſammelt und hoben fie auf. Sie ſtoͤhnte ſchmerzlich
— hatte einen Fuß gebrochen. „Todt ift ſie nicht —
gottlob!“ hieß es.
Der Hanswurſt war ſort. Man hatte ihn vielleicht
abſichtlich nicht ſogleich feſtgehalten, um ihm Gelegenheit
zu geben, der Strafe zu entrinnen. Die Mädchen mein-
ten: „Warum zierte ſie ſich ſo?“ Die Geſellen dach-
ten, es hätte Jedem von ihnen auch begegnen können,
war jja ſchon öfter paſſirt. Sie trugen Käthe, deren
Faſchingsluſt ein ſo unerwartetes Ende genommen, nach
der Wohnung ihrer Eltern. —
An den äußeren Thoren wurde zwar Jedermonn
hinein gelaffen, doch Niemand hinaus, ohne daß man
ihn genau darauf angeſehen hatte, daß es nicht der Ge-
ächtete ſei. Ohne den lebhaften Verkehr, der heute, auch
nach Abends, zwiſchen Stadt und Umgebung ſtattfand,
wären die Fallgatter an den Seitenpforten ſchon herab-
gelaſſen worden. Indeß genügten ja die angewandten
Vorſichtsmaßregeln. Jeder Thorwächter hatte eine Be-
ſchreibung der betreffenden Perſon erhalten und war
ſehr eifrig in Ausübung ſeines Dienſtes. Im Laufe des
Tages waren ſchon verſchiedene Männer mit dunkeln
Augen angehalten und auf das Rathshaus geſchafft, dort
aber entlaſſen worden, wenn ſie ſich gehörig ausgewieſen.
Das gab viel unnütze Mühe, allein es war beſſer, als
zu wenig thun und am ſicherſten, jeden Dunkeläugigen
feſtzunehmen, bis ſich herausgeſtellſ, es ſei nicht der
Jungfrauenräuber. —
Zwei Masken ſtanden in der Nähe des Thores ſtill
und redeten mit einander. Plötzlich begann die Werg-
hülle des Einen zu brennen und er rannte wie raſend
auf den Thorhüter zu, der dienſttreu neben der Pforte
lehnte. Der Andere ibm nach.

„He, Thorwart, Thorwart!“ rief der Brennende

und ſtürzte auf dieſen los. Erſchrocken wich der Mann
zurück — auch die Stadtſoldaten, die ihm zur Hilfeßbei-
gegeben, rührten ſich ncht, dem Hilfloſen beizuſpringen.
Derſelbe lief in finnloſer Angſt geradezu zur Pforte
hin us und ſein Begleiter hinter ihm drein. Der Letztere
ſtieß einen lauten Schrei aus — die Flammen um-
hüllten ſeinen Gefährten. ö
Jetzt warf dieſer ſich in den Schnee und wälzte ſich
darin umher. „O Herr, das hätte ein übles Ende
nehmen können, war zu toll!“ keuchte Joſt.
„Je toller, je beſſer!“ lachte Thymo auf. „Nun
weiter — voran!“ Er warf die verkohlten Wergfetzen
von ſich — ebenſo die gleichfalls verbrannten Reſte des
ſchwarzen Zeuges, in welchem er den Teufel dargeſtellt.
Der Lederanzug, den er darunter trug, hatte ſeinen
Körper vor den Flammen geſchützt, das Geficht der
Epah en des Kollers, den er in die Höhe geſchlagen
gehabt.
„Grüßt die Herren des Rathes von mir!“ ſchrie er
der Bemannung des Thores zu, die verdutzt daftand.
„Sagt ihnen: den Thymo Rächer bekommen Sie nicht
leicht.“
00 folgte ſeinem Gefährten — mehrere von der
Thorwache ihm. Sie ergriffen auch bald eine Perſon,
die ihnen entgegenkam, es war indeß eine Frau — die
Wittwe Kerbelin, die halb verfroren der Stadt zu wankte.
In einer verfallenen Scheuer harrte ein Knecht mit
drei Pferden — Joſt's Zuruf aus der Ferne trieb ihn
heraus, ihnen entgegen.
Vergebens war es, daß die Stadroſſe, welche im
Marſtall geſattelt zu einer Verfolgung bereit ſtanden,
augenblicklich requirirt wurden — die Flüchtlinge hatten
einen zu großen Vorſprung,

10.

Katharina hatte in ihrem Schmerz und in ihrer
Verwirrung ausgeplaudert, ihr ungeſtümer Tänzer ſei
Herr von Keudelitz geweſen und was ihr derſelbe ge-
ſagt. Der Gedanke lag nahe, daß beide fremde Hoch-
zeitsgäſte Wenzel Engernſtein's Abenteurer ſeien, den
wirklichen Herrn von Keudelitz vielleicht gar ermordet
und ſich ſeiner Habe bemächtigt hatten. Der Rath ſandte
einen Boten an den Herrn von Orbitz, fur deſſen Gäſte
ſich beide ausgegeben. Der Junker war indeß nicht da-
heim, war ſchon vor einem Monat nach Prag gereiſt.
Was die Hausleute ausſagten, bewies nur die Richtig-
keit der Vermuthung, ein Verbrechen liege vor. Herr
von Keudelitz war gar nicht auf Dahlenberg geweſen.
Auskunft über deſſen Ausſehen konnte Niemand geben;
nur einer ſeiner Leute, ein großer Rothkopf, war ein-
mal mit einem Briefe ſeines Herrn an den Junker nach

Dahlenberg geſendet worden. Von einem Magiſter Rächer

wußte Niemand.
Herr von Keudelitz gehoͤrte nicht unter die Schutz-
befohlenen der Stadt — mochten ſeine Freunde ſich um
ihn kümmern und Gerechtigkeit ſuchen, wenn wirklich
ein Verbrechen an ihm begangen. Sofern es auf Stadt-
 
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