geidelberger Volksblatt.
Nr. 87.
Mittwoch, den 10. Mai 1876.
9. Jahrg.
Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgaſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei ben Jandboten und Poſtanſtalten.
Es geht doch!
Novellette von Th. Osman:
Schluß.)
So hatte die Freundſchaft zwiſchen dem Profeſſor
und dem Fräulein Laura durch dieſes Ereiginß einen
empfindlichen Stoß erlitten. Bei der nächſen Zuſammen-
kunft machte er ſeinen ſehr linkiſchen Verſuch, ſeine
Dankbarkeit nochmals auszudrücken und fühlte ſich ſehr
gekränkt, als ſie ihm gerade in's Geſicht lachte und die
ganze Sache als einen höchſt komiſchen Spaß auffaßte.
meden ſich vor, ein für allemal ihre Geſellſchaft zu
meiden. ö
Eines Tages, als er einen Feldwez zwiſchen zwei
Zäunen entlang ging und über die Nothwendigkeit ſeiner
Heirath nachgrübelte, wurde er plötzlich durch einen lau-
ten Angſtſchrei hinter ſich aus ſeinen Träumereten auf-
geſtört. Laura ſtand nicht weit von ihm und ſchaute
aus einiger Entfernung auf ſi⸗ lostrabte. Vergebens
ſuchte ſie zu entfliehen; die Angſt bielt ſie am Boden
gefeſſelt; ſie konnte nur den einen Schrei ausſtoßen und
ſank ohnmöchtig in die Knie. Der Profeſſor ſtürmte an
ihr vorbei, rief: „Schnell fort, Fräulein, ſchnell!“ und
rannte gerade auf den Stier los. Als ſie eine Men-
ſchenſtimme hörte, ermannte ſie ſich und lief, ſo ſchaell
fie ihre Füße tragen wollten, zum nächſten Gartenthor-
weg, durch den ſie eintrat und die Pforte hinter ſich zu-
warf. Sie ſchaute nun mit pochendem Herzen über den
Zaun; idre Angſt hatte nachgelaſſen, aber jetzt bemäch-
tigte ſich ihrer ein furchtbarer Schrecken. Sie ſah, wie
der Profeſſor auf den Bullen zulief, wie derſelbe über-
raſcht einige Schritte zurückwich, dann aber mit vergrö-
ßerter Wuth auf den Unglücklichen zuſtürzte. Im Nu
hatte er ihn mit den Hörnern erfaßt und hoch in die
Luft geſchleudert; dann ftürzte er auf den armen Pro-
feſſor, um ihm vollends den Garaus zu machen. Glück-
licherweiſe hatten Arbeiter auf dem nahen Felde das
Schreien des Fräuleins gehört, und kamen jetzt gerade
zuc richtigen Zeitpunkte, um den Stier dingfeſt zu ma-
chen und den Profeſſor vor einem ſicheren Tode zu ret-
ten. Bewußtlos lag er mit blutender Stirn auf der
Erde. Ohne Zögern befaßl jetzt Laura, daß er in das
Haus ihrer Eltern gebracht werde. ö
mit angſterfüllten Zügen anf einen mächtigen Stier, der nung gebracht zu werden.
Der Arzt wurde geholt, er unterſuchte den Kranken.
Zwei Rippen waren ihm zerbrochen. Nach und nach
kam er zum Bewußtſein und verlangte am andern Mor-
gen dringend, nach Hauſe geſchafft zu werden. Als man
die Vorbereitungen dazu traf, kam Laura in das Zim-
mer des Leidenden; ſie war bleich, ihre geröcheten Au-
gen zeigten, das ſie geweint hatte. ö
„Herr Profeſſor“, begann ſie mit zitternder Stimme,
„ich finde keine Worte des Dankes!“
„Liebes Fräulein“, erwidert“ er mühſam lächelnd,
„Sie ſchulden mir keinen Dank; hätten Sie mir nicht
mein Leben gerettet, ſo würde ich Ihnen nicht haben
dienen können; Nichts hat mich jemals ſo gedrückt als
meine Verpflichtung, die ich Ihnen gegenüber fühlte für
eine That, die eigentlich der Mann dein Weibe ſchuldet,
und nicht umzekehrt. Jetzt habe ich einen Theil meiner
Schuld abgetragen: wir ſind quitt und ich bin glücklich!“
Laura ſchien von dieſem ſeinem Glück durchaus nicht
erbaut zu ſein und wurde noch mehr verſtiamt, als
der Profeſſor energiſch darauf beſtand, in ſein Woh-
Man mußte ihm Folge lei-
ſten und Laura wünſchte ihm beim Abſchiede ziemlich
kühl gute Beſſerung.
Natürlicherweiſe wurde der Heldenmuth des Pro-
feſſors ſofort ein beliebtes Tyema in jedem Raffeeklatſch;
daß hier eine unauslöſchbare Liebe vorhanden ſei, war
jeder der Kaffeeſchweſtern eine unbeſtritteue Wahrheit.
Die alten ſtritten hin und her, welches Unglück zuverſt
in einer ſo komiſchen Ehe ſich zeigen werde, und die
jungen rümpften das Näschen, fanden den Profeſſor
27 ledern, und bedauerten die arGlüc a „ die
elbſtverſtändlich im Innern um ihr Glück, ag dem au
ſie nicht zweifelten, beueidelen.
Selbſtverſtändlich hinterbrachten gute Freunde dem
Profeſſor ſowohl wie Laura das Stadtgerede brühwarm
und mit peinlicher, wahrhaft rührender Genauigkeit;
nichts natürlicher alſo, als daß Beide nach der Geneſung
des Profeſſors auf das Sorgfältigſte jede Zuſammen-
kunft zu vermeiden wußten.
An einem ſchönen Sonntagvormittage, als die Glocken
des Städtchens feierlich durch die laue Luft ertönten,
ſpazierte der Profeſſor gedankenvoll in ſeinem Gartchen
auf und ab. Plötzlich wurde er durch einen dumpfen
weithallenden Knall aufgeſchreckt. Er blickte nach der
Gegend, woher derſelbe kam und ſah eine dicke Rauch-
wolke aufwirbeln gerade an der Stelle, an welcher das
Nr. 87.
Mittwoch, den 10. Mai 1876.
9. Jahrg.
Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgaſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei ben Jandboten und Poſtanſtalten.
Es geht doch!
Novellette von Th. Osman:
Schluß.)
So hatte die Freundſchaft zwiſchen dem Profeſſor
und dem Fräulein Laura durch dieſes Ereiginß einen
empfindlichen Stoß erlitten. Bei der nächſen Zuſammen-
kunft machte er ſeinen ſehr linkiſchen Verſuch, ſeine
Dankbarkeit nochmals auszudrücken und fühlte ſich ſehr
gekränkt, als ſie ihm gerade in's Geſicht lachte und die
ganze Sache als einen höchſt komiſchen Spaß auffaßte.
meden ſich vor, ein für allemal ihre Geſellſchaft zu
meiden. ö
Eines Tages, als er einen Feldwez zwiſchen zwei
Zäunen entlang ging und über die Nothwendigkeit ſeiner
Heirath nachgrübelte, wurde er plötzlich durch einen lau-
ten Angſtſchrei hinter ſich aus ſeinen Träumereten auf-
geſtört. Laura ſtand nicht weit von ihm und ſchaute
aus einiger Entfernung auf ſi⸗ lostrabte. Vergebens
ſuchte ſie zu entfliehen; die Angſt bielt ſie am Boden
gefeſſelt; ſie konnte nur den einen Schrei ausſtoßen und
ſank ohnmöchtig in die Knie. Der Profeſſor ſtürmte an
ihr vorbei, rief: „Schnell fort, Fräulein, ſchnell!“ und
rannte gerade auf den Stier los. Als ſie eine Men-
ſchenſtimme hörte, ermannte ſie ſich und lief, ſo ſchaell
fie ihre Füße tragen wollten, zum nächſten Gartenthor-
weg, durch den ſie eintrat und die Pforte hinter ſich zu-
warf. Sie ſchaute nun mit pochendem Herzen über den
Zaun; idre Angſt hatte nachgelaſſen, aber jetzt bemäch-
tigte ſich ihrer ein furchtbarer Schrecken. Sie ſah, wie
der Profeſſor auf den Bullen zulief, wie derſelbe über-
raſcht einige Schritte zurückwich, dann aber mit vergrö-
ßerter Wuth auf den Unglücklichen zuſtürzte. Im Nu
hatte er ihn mit den Hörnern erfaßt und hoch in die
Luft geſchleudert; dann ftürzte er auf den armen Pro-
feſſor, um ihm vollends den Garaus zu machen. Glück-
licherweiſe hatten Arbeiter auf dem nahen Felde das
Schreien des Fräuleins gehört, und kamen jetzt gerade
zuc richtigen Zeitpunkte, um den Stier dingfeſt zu ma-
chen und den Profeſſor vor einem ſicheren Tode zu ret-
ten. Bewußtlos lag er mit blutender Stirn auf der
Erde. Ohne Zögern befaßl jetzt Laura, daß er in das
Haus ihrer Eltern gebracht werde. ö
mit angſterfüllten Zügen anf einen mächtigen Stier, der nung gebracht zu werden.
Der Arzt wurde geholt, er unterſuchte den Kranken.
Zwei Rippen waren ihm zerbrochen. Nach und nach
kam er zum Bewußtſein und verlangte am andern Mor-
gen dringend, nach Hauſe geſchafft zu werden. Als man
die Vorbereitungen dazu traf, kam Laura in das Zim-
mer des Leidenden; ſie war bleich, ihre geröcheten Au-
gen zeigten, das ſie geweint hatte. ö
„Herr Profeſſor“, begann ſie mit zitternder Stimme,
„ich finde keine Worte des Dankes!“
„Liebes Fräulein“, erwidert“ er mühſam lächelnd,
„Sie ſchulden mir keinen Dank; hätten Sie mir nicht
mein Leben gerettet, ſo würde ich Ihnen nicht haben
dienen können; Nichts hat mich jemals ſo gedrückt als
meine Verpflichtung, die ich Ihnen gegenüber fühlte für
eine That, die eigentlich der Mann dein Weibe ſchuldet,
und nicht umzekehrt. Jetzt habe ich einen Theil meiner
Schuld abgetragen: wir ſind quitt und ich bin glücklich!“
Laura ſchien von dieſem ſeinem Glück durchaus nicht
erbaut zu ſein und wurde noch mehr verſtiamt, als
der Profeſſor energiſch darauf beſtand, in ſein Woh-
Man mußte ihm Folge lei-
ſten und Laura wünſchte ihm beim Abſchiede ziemlich
kühl gute Beſſerung.
Natürlicherweiſe wurde der Heldenmuth des Pro-
feſſors ſofort ein beliebtes Tyema in jedem Raffeeklatſch;
daß hier eine unauslöſchbare Liebe vorhanden ſei, war
jeder der Kaffeeſchweſtern eine unbeſtritteue Wahrheit.
Die alten ſtritten hin und her, welches Unglück zuverſt
in einer ſo komiſchen Ehe ſich zeigen werde, und die
jungen rümpften das Näschen, fanden den Profeſſor
27 ledern, und bedauerten die arGlüc a „ die
elbſtverſtändlich im Innern um ihr Glück, ag dem au
ſie nicht zweifelten, beueidelen.
Selbſtverſtändlich hinterbrachten gute Freunde dem
Profeſſor ſowohl wie Laura das Stadtgerede brühwarm
und mit peinlicher, wahrhaft rührender Genauigkeit;
nichts natürlicher alſo, als daß Beide nach der Geneſung
des Profeſſors auf das Sorgfältigſte jede Zuſammen-
kunft zu vermeiden wußten.
An einem ſchönen Sonntagvormittage, als die Glocken
des Städtchens feierlich durch die laue Luft ertönten,
ſpazierte der Profeſſor gedankenvoll in ſeinem Gartchen
auf und ab. Plötzlich wurde er durch einen dumpfen
weithallenden Knall aufgeſchreckt. Er blickte nach der
Gegend, woher derſelbe kam und ſah eine dicke Rauch-
wolke aufwirbeln gerade an der Stelle, an welcher das