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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 52 - Nr. 60 (1. Juli - 29. Juli)
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oder ohne Noth beunruhizt werden, mochte das, was drau-

ßen geſchah und noch geſchehen ſollte, gerichtet ſein, gegen

wen immerhin, der Herr des Hauſes mußte wiſſen, ob

ſeinem Hauſe eine Gefahr drohe. Er wußte, wenigſtens
wahrſcheinlich, noch von nichts. ö
Die Frau Erhardt verließ ihr Stübchen. Es liett
an einem kleiren Quergange, der in einen längeren Kor-
ridor mündete. Sie trat in den kleinen Gang. Es
herrſchte ebenſo tiefe Stille wie Finſterniß darin. Sie
blieb ſtehen, in die entfernteren Theile des Gebändes zu
horchen. Es war überall ſtill. Sie vernahm kein Ge-
räuſch, weder im Innern des Schlofſes noch von außen
her. Sie ſchritt weiter in dem kleinen Gange, in der
entzegengeſetzten Richtung vom Korridor. Sie gelangte
zu einer Hintertreppe, die für die Domeßiren des Hauſes
beſtimmt war. Sie ſtieg die ſchmale Treppe hinunter,
ein, zwei Stockwerke. Sie hatte die Etage erreicht, in
der die Schlafgemächer der Herrſchaft ſich befanden. Sie
war wieder in einem kleinen Gange, der in einen langen
Korridor einmündete. An rem Korridor lagen die Schlaf-
gemächer zu denen ſie wollte. Es herrſchte auch hier die-
ſelbe Stille und Finſterniß, aus der fie gekommen, in der
ſie weiter gegangen war. Sie ſchritt zu dem Corridor.
Sie hatte ſich vorher Alles überlegt. Sie wollte ſo
wenig beunruhigen wie möglich. Die Generalin ſollte
nicht geweckt werden, nichts erfahren, bis es nothwendig
ſei. Wenn es nothwendig ſei, ſollte der General beſtim-
men. Dieſen wollte ſie wecken; nicht auch den Kammer-
diener Georp, der entfernt ſchlief.
Auch den Wachtmeiſter nicht? An ihn und ſeine
Hilfe, wenn eine ſolche Noth thue, hatte ſie wohl zuerſt
gedacht; aber der alte und finſtere, der treue und ver-
ſchloſſene Diener ſchlief in einem noch entfernteren Theile
des Gebäudes. ö ö
Sie wollte weiter ſchreiten. Sie hemmte plötzlich ihre
Schritte, als höre ſie ein Geräuſch in dem Korridor, dort
wo an dieſem das Ziwmer des Generals lag, vielleicht
gerade an der Thür des Zimmers. Sie ſtand, ſie horchte.
Sie vernahm nichts mehr. Getäuſazt batte ſie ſich nicht.
Es hatte ſich in dem Korridor etwas bewegt, hatte es
auch noch ſo unbeſtimmt gelautet, mochte es ein Menſch
oder ein Thier ſein. War ihr Schritt gehört worden,
daß plötzlich ſich nichts mehr regte? Sie ſtand eine Weile
unſchlüſſig. ö
Da glaubte ſie drunten etras zu vernehmen, unter
den Mauern des Schloſſes, ein Hin⸗ und Hergehen, ein
Gemurmel, wie wenn mehrer Menſchen durcheinander.
ſprechen. War der Menſchenhaufen zurückgekehrt, den ſie
vorhin von ihrem Stübchen aus wahrgenommen hatte?
Ste war eine muthige Frau. Sie ſchritt entſchloſſen
zu der Thür des Generals.
Eine große, kräftige Geſtalt trat ihr entgegen.
Keinen Laut, Frau Erhardt! ö
Der alte Wachtmeiſter flüſterte ihr dieſe Worte zu.
Er zog fie auf die Seite, von der Thür des Gere-
rals zurück.
Was wollen Sie hier? fragte er.

es?
Antworteten Sie mir! erwiderte
Sie mußte ihm antworten.
Den Herrn General wecken. —
Und er erwiderte ihr: Wenn Sie ſeinen Tod wollen
dann wecken Sie ihn. — —
Aber was giebt es denn hier, Herr Taudien?
Nichts fur Sie! Kehren Sie in ihr Stübchen zurück!
Das wollte, das koante die Frau nicht.
Herr Wachtmeiſter, Sie find ein treuer Diener des
Herrn! Sie wollen ihn nicht verlaſſen. Aber ich kann
auch meine Herrin nicht vorlaffen.
Gehen Sie zu ihr.
Der Wachtmeiſter ſagte es raſch. als wenn ihm plötz-
lich ein Gedanke gekommen ſei. Aber in dem Augenblicke
hatte er ſich ſchon anders beſonnen.
Gehen Sie nicht. Unter keinen Umſtänden!
Aber warum nicht? ö
Warum nicht? wiederholt er, und ſeine Stimme hatte
einen ſo ſonderbaren Klang; ſie ſollte rauh ſein und ver-
mochte doch nicht zu verbergen, daß die Bruft, aus der
ſtie hervorkam, voll von Schmerz und Weh war. Wa-
rum nicht, Frau Erhard? Sie dürfen es richt wiſſen?
Niemals, wenn Ihnen Ihr Leben, das Heil ihrer Seele
lieb iſt! ö ö
Es waren Worte, wohl eben ſo ſeltſam und ſonder-
bar, wie der Ton, mit dem ſie geſprechen wurden. —
Die Frau ſtand unentſchloſſen.
Kehren Sie in Ihr Stübchen zurück, ſagte er, und
verlaſſen Sie es heute Nacht nicht wieder! Mag ge-
ſchehen was will, mogen Sie auch das Schlimmſte hör-
ren. Verſprechen Sie es mir. Ihrer Herrin geſchieht
nichts. Das verſpreche ich Ihnen.
Es waren wohl wieder ſeltſame Worte, namentlich
dieſes Verſprechen.
Aber die Frau kannte die Treue des Mannes, der
es gab, und ſie vertraute ſeinem alten Muth, den er,
nach den öfteren Erzählungen dis Generals, an deſſen
Seite in ſo waͤncher heißen Schlacht bewährt hatte.
Oarf ich denn gar nicht wiſſen, was hier geſchieht?
mußte ſie dennoch fragen.
Mit keiner Silbe.
Gehen Sie, drängte er dann. Und verlaſſen Sie
Ihr Zimmer nicht, was auch geſchehen mag! Sie ver-
hüten größeres Unglück dadurch. Verſprechen Sie es
mir! Geben Sie mir die Hand darauf!e
Sie gab ihm die Hand; das Weinen war ihr ſo
nahe dabei, und wie ſie die Treppen zu ihrem Stüͤb⸗
chen hinunter ſtieg, hörte ſie das Tröpfeln der Thränen,
die von dem kummer⸗ und angſtvoll vorgebeugten Ge-
fichte auf die ſteinernen Stufen herniederfieler.
Sie hatte ihr Stübchen erreicht. Sie hatte auf
dem Wege nichts weiter vernommen. Sie vernahm auch
ferner nichts. Ihr Bett ſuchte ſie nicht wieder auf; ſie

um des Himmels willen, Herr Thaudien, was giebt
ihr der finſtere Maur.

ſetzte ſich auf einen Stuhl vor ihm. Es war ihr ſo
weh um das Herz. Ein Unglück drohte; ſie konnte es
 
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